Eine Heimat für die multidimensionale Traumaforschung
Trauma-Forschungsgebäude für 73 Millionen Euro
Die Ulmer Traumaforschung erhält für 73 Millionen Euro ein neues Zentrum auf dem Campus – niemals zuvor gingen mehr Bundesmittel für ein Forschungsgebäude nach Baden-Württemberg. Im Neubau „Multidimensionale Trauma-Wissenschaften“ (MTW) werden ab voraussichtlich 2024 Forschende aus Medizin und Naturwissenschaften ihre Kompetenzen bündeln. Dazu stehen ihnen hochspezialisierte biomedizinische Labore, eine Biobank sowie ein klinisches Studienzentrum zur Verfügung.
Die Traumaforschung zählt zu den strategischen Entwicklungsbereichen der Universität Ulm. Dabei ist die international anerkannte wissenschaftliche Arbeit der Forschenden auch gesellschaftlich hoch relevant: Denn nach wie vor gelten schwere Verletzungen als häufigste Todesursache bei jüngeren Erwachsenen unter 45 Jahren. Künftig sollen die Forschungsaktivitäten zur körpereigenen Reaktion und zur Regeneration nach Trauma in einem Gebäude „Multidimensionale Trauma-Wissenschaften“ konzentriert werden – der Ausschuss Forschungsbauten des Wissenschaftsrats hat den entsprechenden Antrag als „herausragend“ bewertet.
Gesamtbaukosten: 65,4 Mio. Euro
Erstausstattung: Mehr als 7 Mio. Euro
Großgeräte: ca. 2,166 Mio. Euro
Finanziert von Bund (50 %), Land und Medizinischer Fakultät.
Antrag gemäß der Hochschulbauförderung nach Art. 91 b GG
Genehmigung/Empfehlung des Wissenschaftsrats (Note „herausragend“): 2019
Baubeginn: voraussichtlich 3/2021
Nutzfläche: 5000 m2
Architekten: Heinle, Wischer und Partner, Stuttgart
Projektleitung: Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Ulm
Das etwa 5000 Quadratmeter große Gebäude wird auf dem Parkplatz 43 entstehen, in unmittelbarer Nähe der naturwissenschaftlichen Institute, der Universitätsklinik und des Bundeswehrkrankenhauses Ulm. Neben biomedizinischen und infektiologischen Laboren der Sicherheitsstufe 2 sowie Räumen für bildgebende Verfahren beherbergt das MTW-Gebäude ab 2024 virtuelle Traumalabore für Computersimulationen. Für die zeitnahe Übertragung von Forschungsergebnissen in klinische Diagnostik-, Therapie- und Präventionskonzepte sorgen ein Studienzentrum, in dem auch Proben entnommen und Patienten untersucht werden, sowie eine Biobank mit Blut- und Gewebeproben aus aller Welt.
Eine Besonderheit der Ulmer Traumaforschung – die intensive Zusammenarbeit scheinbar weit entfernter Disziplinen wie Unfallchirurgie, Innere Medizin, Biochemie, Genetik und etwa Psychiatrie – wird sich auch räumlich im MTW-Gebäude ausdrücken: Kommunikationsflächen regen den fächerübergreifenden Austausch an. „Bisher ist weltweit oft nur monodisziplinär zu schweren Verletzungen, wie sie bei Unfällen oder Terroranschlägen entstehen, geforscht worden. Ulmer Alleinstellungsmerkmal und Erfolgsrezept ist jedoch die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen in der Traumaforschung und die enge Kooperation mit dem Bundeswehrkrankenhaus“, erläutert Professor Thomas Wirth, Dekan der Medizinischen Fakultät und Präsident der Deutschen Traumastiftung.
Wichtige wissenschaftliche Grundlagen für die Bewilligung des MTW-Gebäudes sind innerhalb der Ulmer Kooperationsplattform „Zentrum für Traumaforschung“ (ZTF) gelegt worden. Diese Plattform bündelt die Aktivitäten des 2018 verlängerten Sonderforschungsbereichs 1149 „Gefahrenantwort, Störfaktoren und regeneratives Potential nach akutem Trauma“ sowie klinischer Forschergruppen. Dabei ist die Erforschung der Wechselwirkung körperlicher und psychischer Traumata eine Ulmer Spezialität. „Bei allen Forschungsvorhaben haben wir ,Störfaktoren‘ wie Vorerkrankungen und das Lebensalter der Patienten im Sinn, denn diese Faktoren können die körpereigene Reaktion auf Trauma erheblich beeinflussen“, erklären die Gründungsdirektoren Professor Markus Huber-Lang und Professorin Anita Ignatius (stv.).
Maßgefertigt für die Traumaforschung
Doch allen wissenschaftlichen Erfolgen zum Trotz ist das Verständnis der körpereigenen „Gefahrenantwort“ sowie der Regeneration nach Trauma noch immer beschränkt. Zur Schließung dieser Forschungslücken soll das MTW-Gebäude einen wichtigen Beitrag leisten. Ziel sind individuelle, auf das jeweilige Verletzungsmuster des Patienten abgestimmte Therapien. In 19 Arbeitsgruppen werden über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im MTW-Gebäude verschiedenste Aspekte der Traumaforschung in den Blick nehmen: Zur besseren Behandlung einer gestörten Knochen- und Wundheilung beforschen sie zum Beispiel vielversprechende therapeutische Ansätze mit Stammzellen. Weiterhin fahnden die Forschenden nach Biomarkern für organspezifische Störungen nach Trauma und sie untersuchen – unter anderem anhand von „Minibrains“ aus pluripotenten Stammzellen – veränderte Nervenzellverschaltungen beim Schädel-Hirntrauma. Als neue Schwerpunkte sollen im MTW- Gebäude Entzündungsreaktionen und Veränderungen der körpereigenen Mikroorganismen bei Traumapatienten untersucht werden. Daher wird ein zusätzlicher Forschungsbereich etabliert, der sich mit der Entstehung von Giften durch Bakterien nach schweren Verletzungen beschäftigt (Traumatoxikologie). Außerdem gewinnt der Brückenschlag in die Peptid-, Tumor- und Alternsforschung in Zukunft weiter an Bedeutung.
„Am Universitätsstandort Ulm werden physische und psychische Traumata seit vielen Jahren auf höchstem Niveau erforscht und versorgt. Das große Engagement der beteiligten Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfährt mit dem nun bewilligten Forschungsbau eine nachhaltige Würdigung. Die Entscheidung des Wissenschaftsrates ist eine hervorragende Auszeichnung für die Universität und das Universitätsklinikum. Ulm wird damit weltweit in der Traumaforschung eine noch stärkere Ausstrahlung erlangen“ – so bewertet die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer die Bewilligung des Gebäudes für Multidimensionale Trauma-Wissenschaften.
Text: Annika Bingmann
Abbildungen: Heinle, Wischer und Partner, Freie Architekten
Fotos: Heiko Grandel, Martina Fischer