Die Architekten des Oberen Eselsbergs
Bauen für die Wissenschaft
Die Universität Ulm wächst weiter: Erst kürzlich ist der weltweit einzigartige Forschungsbau Zentrum für Quanten- und Biowissenschaften (ZQB) eingeweiht worden. Darüber hinaus sorgen das Trainingshospital To Train U und das gerade bewilligte Forschungsgebäude für Multidimensionale Trauma-Wissenschaften (MTW) dafür, dass Architekten und Handwerkern die Arbeit nicht ausgeht. Doch worauf kommt es beim Bauen für die Wissenschaft eigentlich an? Wilmuth Lindenthal, der Ulmer Amtsleiter von Vermögen und Bau Baden-Württemberg (VB-BW) und einer der Architekten der Wissenschaftsstadt, steht Rede und Antwort.
Herr Lindenthal, Vermögen und Bau Baden-Württemberg ist an der Universität Ulm für die unterschiedlichsten Baumaßnahmen zuständig – vom Studierendenwohnhaus bis zum Forschungsbau. Was ist das Besondere am Bauen für die Wissenschaft?
Lindenthal: „Forschungsgebäude sind jedes Mal eine Herausforderung: Sie werden maßgeschneidert für das jeweilige Forschungsvorhaben geplant und umgesetzt. In einem Fall benötigen die Wissenschaftler zweigeschossige Räume für besonders hohe Geräte wie das Supermikroskop SALVE, und im anderen Fall müssen hohe Sicherheitsstandards eingehalten werden – beispielsweise wenn mit Bakterien und Viren geforscht wird.
Anders als beim Bau eines Verwaltungsgebäudes braucht man für die Umsetzung von Forschungsgebäuden einen Stab aus Spezialisten. Es ist jedes Mal eine komplexe, aber auch hochinteressante Aufgabe, die technischen Rahmenbedingungen mit architektonischer Qualität zusammenzubringen. Am Ende sollen sich Forschende und Studierende im Gebäude wohlfühlen – und bestenfalls ist auch der Architekt zufrieden.“
Wie läuft die Planung und Umsetzung ab, wenn ein Gebäude wie kürzlich der Forschungsbau für Multidimensionale Trauma-Wissenschaften bewilligt wird?
„Wird ein solches Projekt an uns herangetragen, erstellen wir entweder selbst einen Entwurf oder wir veranstalten einen Architektenwettbewerb. Dann wählt eine Jury aus, welches Konzept am besten zum wissenschaftlichen Projekt passt. Dabei beurteilen Forschende die wissenschaftliche Komponente und VB-BW die architektonische. Im nächsten Schritt erstellen wir Bauunterlagen, in denen alle Anforderungen an das Gebäude sowie Termine und Kosten fixiert werden. Schließlich verabschieden das Ministerium und mögliche weitere Geldgeber das Vorhaben und wir können mit der Beauftragung der Bauunternehmer beginnen.
Während dieser Zeit – die Planungsphase dauert meist ein- bis eineinhalb Jahre – treffen wir uns regelmäßig mit den späteren Nutzern des Gebäudes. In Jour Fixes tauschen sich Wissenschaftler, Architekten, Fachingenieure und Vertreter der Universität aus, und wir als VB-BW versuchen aus baulicher Sicht, auf die Anforderungen zu reagieren. Abhängig von der Komplexität dauert der eigentliche Bau meist zweieinhalb bis drei Jahre.“
Zur Person
Wilmuth Lindenthal (Jahrgang 1954) studierte Architektur in Karlsruhe und Zürich. Anschließend arbeitete er in verschiedenen Architekturbüros und legte 1988 – nach dem Referendariat für den höheren bautechnischen Verwaltungsdienst – die Staatsprüfung ab. Daraufhin hat er an verschiedenen Standorten für Vermögen und Bau Baden-Württemberg gearbeitet.Vor seinem Wechsel nach Ulm war
Lindenthal Amtsvorstand des staatlichen Vermögens- und Hochschulbauamts Stuttgart. Seit 2007 ist der Architekt Amtsleiter in Ulm. Sein erstes großes Projekt am Standort war der Forschungsbau N27.
Wilmuth Lindenthal gefällt das breite Aufgabenspektrum bei VB-BW: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen Projekte „vom Vordach des Pfarrhauses auf der Schwäbischen Alb bis zum hochkomplexen Forschungsbau.“
Das Zentrum für Quanten- und Biowissenschaften, in dem Forschende mit hochsensiblen Geräten arbeiten, ist gerade der Universität übergeben worden. Wie haben Sie baulich auf die besonderen Anforderungen reagiert?
„Tatsächlich sind die Anforderungen an das Gebäude sehr hoch: Quantenphysiker um Professor Fedor Jelezko benötigen beispielsweise erschütterungsfreie und schallgeschützte Räume für ihre technisch aufwendige Laserforschung. Schon kleinste Störungen können die Ergebnisse der hier durchgeführten Experimente verfälschen. Im Untergeschoss des ZQB sind daher zwei Spezialräume mit entkoppelter
Bodenplatte entstanden. Wir haben lange nachgebessert und ständig gemessen, bis die von den Forschenden vorgegebenen Voraussetzungen erfüllt waren.“
Welcher Forschungsbau war denn bisher am aufwendigsten und warum?
„Besonders herausfordernd wird es immer, wenn es keine Vorbilder gibt. Damit meine ich ähnliche Gebäude oder Labore, an denen wir uns orientieren können. Ein Beispiel ist das 2017 fertiggestellte und weltweit einzigartige Gebäude für das Supermikroskop SALVE. Als noch komplexer empfinde ich allerdings das Trainingshospital To Train U, das am James-Franck-Ring entsteht. Auch dieses Gebäude für die Medizinerausbildung ist ein absoluter Prototyp, in dem die Behandlung von medizinischen Notfällen realitätsnah nachgestellt werden soll – von der Notaufnahme über den Simulations-OP bis zur Arztpraxis.
Auf einen Hörsaal mit 450 Plätzen im Untergeschoss bauen wir kleinteilige Strukturen wie Seminarräume und Sprechzimmer. Gemeinsam mit der Medizinischen Fakultät ein Konzept für dieses Kleinstkrankenhaus mit Hörsaal und Seminarräumen zu erstellen, war eine sehr komplexe Aufgabe.“
N27 war vor rund zehn Jahren der erste hochmoderne Forschungsbau, der auf dem Campus in Betrieb genommen wurde. Hat das damals preisgekrönte Gebäude noch Vorbildcharakter?
„Für mich ist N27 nach wie vor ein super Gebäude – auch wenn es schon zehn Jahre alt ist. Der Bau umfasst viele innovative Ansätze: Beispielsweise sind Leitungen über spezielle Schächte von außen erreichbar, ohne dass ein Labor stillgelegt werden muss. Für einen guten Schallschutz sorgen umgekehrt verbaute Ziegel, deren Poren nach draußen zeigen. Insgesamt ist es geglückt, mit ,Allerweltsmaterialien‘ eine gute und funktionale Gestaltung zu verwirklichen. Nachhaltige Forschungsgebäude müssen ja vor allem räumlich und von der Versorgung her flexibel sein, denn wir wissen nicht, was Forschende in 30 Jahren benötigen. Auch finde ich die Kunst am Bau, die eine Symbiose mit dem Gebäude eingeht, sehr gelungen.“
An der 1967 gegründeten Universität wird nicht nur neu gebaut, sondern auch saniert. Wie geht es dabei im Kernbereich voran?
„Die Gebäudekreuze stammen aus den Anfangsjahren der Universität und sind entsprechend sanierungsbedürftig. Zwei von 13 Kreuzen haben wir bereits durchsaniert und nach der Mensa ist O25 als nächstes dran. Jedes Mal stehen wir allerdings vor einer logistischen Herausforderung und müssen 5000 bis 6000 m2 Nutzfläche, auf denen geforscht und gelehrt wird, frei bekommen. Eine Sanierung bei laufendem Betrieb ist schwierig und langwierig: Nutzer und Handwerker stören sich gegenseitig. Daher plädiere ich für ein Verfügungsgebäude, in das Forschende und Studierende ausweichen können – im Notfall müssen wieder Container als Ausweichflächen herhalten. Ursprünglich waren zweieinhalb bis drei Jahre für die Sanierung eines Gebäudekreuzes anberaumt, doch dies ist im laufenden Betrieb nicht zu halten. Im ungünstigsten Fall rechnen wir mit bis zu sechs Jahren.“
Viele Forschungsgebäude, wie auch der gerade bewilligte Trauma-Forschungsbau, entstehen auf Parkplätzen. Wie werden die dann fehlenden Parkflächen ausgeglichen?
„Ich bin der festen Überzeugung: Bevor man in die Natur eingreift, sollten zunächst versiegelte Flächen verbaut werden – wie dies bei den neuen Forschungsbauten auch geschieht. Allerdings wollen Pendlerinnen und Pendler natürlich weiter auf dem Eselsberg parken. Es gibt eine gewisse Entspannung durch die neue Straßenbahnlinie 2, die durch die Wissenschaftsstadt führt und den Campus an die Innenstadt anschließt. Dadurch können wir an Park-and-Ride-Lösungen arbeiten. Am Kreisel zwischen James-Franck-Ring und Albert-Einstein-Allee entsteht ja bereits ein städtisches Parkhaus, das je nach Bedarf erweitert werden kann. Wer in der Wissenschaftsstadt arbeitet, könnte sein Auto künftig dort abstellen und mit dem Jobticket die letzten Stationen bis zum Arbeitsplatz mit der Straßenbahn fahren. Insgesamt sollten wir an neuen Mobilitätskonzepten wie E-Biketrassen arbeiten, um die Wissenschaftsstadt nicht weiter mit Autos zu verstopfen.“
Weitere Informationen
Vermögen und Bau Baden-Württemberg ist im Land für Neu- und Umbauten sowie Sanierungs- und Bauunterhaltungsmaßnahmen zuständig. Ein Schwerpunkt liegt auf der Unterbringung von Ministerien und nachgeordneten Dienststellen wie von Gerichten und Polizeidienststellen.
Weiterhin steht der Hochschulbau im Fokus: VB-BW plant und steuert die Umsetzung von Bauten für Universitäten, Hochschulen und Universitätskliniken. Darüber hinaus beraten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum wirtschaftlichen Bauen, zu Sanierungen und Neubauprojekten.
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Die BUND-Hochschulgruppe fordert einen Abholzstopp bei Baumaßnahmen. Sie schlagen unter anderem vor, eher in die Höhe oder Tiefe zu bauen. Wie stehen Sie zu dem Vorschlag?
„Die Vorschläge der BUND-Hochschulgruppe sind bekannt und werden nach Möglichkeit auch umgesetzt: Wir verdichten nach und bauen – wie im Fall des fünfgeschossigen Trainingshospitals – in die Höhe. Allerdings können wir nicht jeden Baum schützen, führen aber zeitnah Ersatzpflanzungen durch. Architektur und Natur gehören für mich untrennbar zusammen, weshalb wir gemeinsam mit Natur- und Artenschützern nach Lösungen für Neubauten und Sanierungen suchen.“
Was sind laut Masterplan die nächsten großen Baumaßnahmen in der Wissenschaftsstadt auf dem Oberen Eselsberg?
„Als nächste große Baumaßnahme wird das neue Modul 1 des Universitätsklinikums an die Chirurgie angedockt. Das Gebäude entsteht im Bereich des Niki-Teichs und auf den angrenzenden Parkplätzen. Auslöser für den mehrstöckigen Neubau ist die Klinik für Innere Medizin aus dem Jahr 1988, die nicht im laufenden Betrieb saniert werden kann. Zunächst wird also die Innere Medizin in das Modul ziehen und später folgen Kliniken, die heute noch auf dem Michelsberg angesiedelt sind. Im Bereich der Universität beschäftigt uns weiter die Sanierung der Gebäudekreuze und der Bau möglicher weiterer Forschungs- sowie Lehrgebäude.“
Interview/Texte: Annika Bingmann
Fotos: Elvira Eberhardt, H-R Flugbild/Montage: Eberhardt, Albrecht Schnabel, Götzis (A)
Entwurf MTW-Gebäude: Heinle, Wischer und Partner, Freie Architekten
Grafik: 123RF/aomarch
Video: Daniela Stang