Kronen-Crashtest und Molekularbiologie
Forschung in der Klinik für Zahnärztliche Prothetik
Die Forschung an der Universitätsklinik für Zahnärztliche Prothetik ist seit 2007 systematisch aufgebaut worden. Zunächst waren Projekte oft mechanisch orientiert: In einem innovativen Kausimulator haben die Zahnärztinnen und Zahnärzte beispielsweise "Crashtests" für Zahnersatz wie Kronen und Brücken durchgeführt. Diese Untersuchungen sind immer noch wichtig, doch mittlerweile ist das wissenschaftliche Spektrum der Klinik unter Leitung von Professor Ralph Luthardt deutlich breiter und reicht von Zahnersatzstudien bis zur Erforschung biologischer Prozesse auf subzellulärer Ebene.
Ist es für den Patienten vorteilhaft, einen tief zerstörten Zahn zu ziehen und die Lücke mit einem Implantat zu schließen? Oder sollte der Behandler versuchen, den Zahn so lange wie möglich zu erhalten? Teilweise über viele Jahre laufen an der Klinik für Zahnärztliche Prothetik solche Zahnersatzstudien. Anhand zufällig zusammengestellter Patientengruppen gilt es, Auswirkungen und Erfolg verschiedener Behandlungen zu vergleichen - auch unter ökonomischen Aspekten. Dazu werden die Probanden für die eine oder andere Behandlung eingeteilt und regelmäßig untersucht. "Unsere ältesten, teils DFG-geförderten Studien, sind bereits Ende der 1990er-Jahre gestartet und haben das Ziel, Patienten bis ins hohe Lebensalter optimal zu versorgen", erklärt Professor Luthardt. Neben Empfehlungen aus solchen klinischen Studien gibt die Klinik auch literaturbasierte Leitlinien heraus, die weltweit beachtet werden - etwa zum herausnehmbaren Zahnersatz.
Was genau im Weichgewebe passiert, wenn der Zahnarzt ein Implantat mit einer Wurzel aus Titan oder einem anderen gängigen Werkstoff setzt, untersuchen die Forschenden mit molekularbiologischen und immunhistochemischen Methoden. In Kooperation mit der Klinischen Chemie wird unter anderem die Flüssigkeit analysiert, die sich um die künstliche Zahnwurzel bildet. Dazu kommen Untersuchungen des Zahnfleischs - dank der Core Facility Laser Microdissection können auch kleinste Zellverbände angeschaut werden - und Genexpressionsanalysen. Insgesamt haben die Zahnmediziner vor allem Entzündungsmarker im Visier.
Die BMBF-geförderte Studie "ReversFix", die seit 2010 in Kooperation mit dem Institut für Lasertechnologien in der Medizin und Messtechnik (ILM) läuft, hat sogar einen Innovationspreis gewonnen. Ziel ist es, Zahnersatz oder kieferorthopädische Brackets per Laser möglichst unbeschadet aus dem Gebiss zu entfernen. Oberärztin Dr. Katharina Kuhn beschreibt folgendes Szenario: "Der Patient klagt über Schmerzen an einem überkronten Zahn. Normalerweise müssen wir für eine genaue Untersuchung und Behandlung die intakte Krone zerstören.
Per Laser wollen wir den Zahnersatz jedoch unbeschadet entfernen und eventuell nach der Behandlung wieder einsetzen." Diese Technik wurde bereits an mehreren Keramiken erprobt und bald soll eine Studie nach dem Medizinproduktgesetz (MPG) starten - ein Novum an der Universitätsklinik Ulm.
Nicht unerwähnt bleiben sollen die wissenschaftlichen Aktivitäten der Klinik im Bereich Lehrforschung, die beispielsweise neuen E-Learning-Projekten den Weg bereiten. Bei so umfangreichen und unterschiedlichen Forschungsvorhaben ist es kein Wunder, dass die DFG-geförderte Nachwuchsakademie und das darauf vorbereitende Science Camp von der Klinik koordiniert werden: Diese Angebote sollen junge promovierte Zahnärztinnen und -ärzte fit für die Forschung machen.
Durch Zufall von der Zahnarztpraxis in die Wissenschaft
Prothetik-Forschungskoordinatorin PD Dr. Heike Rudolph
Eigentlich wollte die Zahnärztin Heike Rudolph gerade eine Praxis in ihrer Heimat Dormagen übernehmen - doch dann musste ihr Ehemann aus beruflichen Gründen nach Dresden ziehen und die Familie kam mit. Dieser Ortswechsel sollte 1999 der Ausgangspunkt ihrer wissenschaftlichen Karriere werden. "Da es in Dresden zu dieser Zeit unmöglich war, eine Praxis zu eröffnen, bewarb ich mich initiativ um eine Promotion an der Universitäts-Zahnklinik. Seither hat mich die Begeisterung für die Wissenschaft gepackt", erinnert sich die gebürtige Rheinländerin, die erfolgreich über die CAD/CAM-Technik promovierte. Darunter versteht man die computergestützte Herstellung von Zahnersatz.
Heute ist PD Dr. Heike Rudolph habilitierte Oberärztin und leitet den Bereich Forschung an der Ulmer Klinik für Zahnärztliche Prothetik. Dort ist sie verantwortlich für alle Forschungsvorhaben - vom Antrag bis zum Abschlussbericht.
Dabei blickt die Zahnmedizinerin auf jede Menge Aufbauarbeit zurück. "Als ich 2007 mit meinem Dresdner Chef Prof. Luthardt nach Ulm kam, gab es an der Klinik nur etwas Werkstoffforschung aber keine nennenswerten Drittmittelprojekte. Inzwischen werben wir einen für zahnmedizinische Verhältnisse erklecklichen jährlichen Betrag ein, was für unser kleines Team nicht schlecht ist", sagt Heike Rudolph.
Neben Forschungsprojekten liegt der 50-Jährigen auch die Nachwuchsqualifizierung und Doktorandenausbildung am Herzen. Während früher noch fast jeder Zahnarzt einen Doktortitel hatte, sinkt die Bereitschaft, neben der fordernden Assistentenzeit zu promovieren. Diese Entwicklung ist ein nicht zu unterschätzendes Problem, denn im Studium wird wissenschaftliches Arbeiten nur in Grundzügen vermittelt. Trotzdem sollten fertige Zahnärztinnen und -ärzte klinische Studien interpretieren und den Nutzen einer neuen Therapie für ihre Patienten erkennen können. "Inzwischen versuchen wir, bereits im vorklinischen Abschnitt wissenschaftliche Hilfskräfte für unsere Projekte zu gewinnen. So finden die Studierenden oft Promotionsthemen und manche bleiben uns auch als Assistenten und für die Forschung erhalten", erklärt Rudolph.
Ein weiteres Projekt, das sie mitorganisiert hat, ist die DFG-geförderte Nachwuchsakademie Zahnmedizin. Dieses vom Ärztlichen Direktor Professor Luthardt initiierte Angebot gibt es bereits seit 2012: Innerhalb einer Woche sollen promovierte Zahnärztinnen und -ärzte erlernen, wie sie mit ihrem Forschungsantrag überzeugen können. Dabei werden sie von wissenschaftserfahrenen Professoren unterstützt und dürfen ihr Konzept weiterentwickeln. Die Fortschritte präsentieren die jungen Forschenden abschließend der Gruppe und den Tutoren. Die nächste Nachwuchsakademie findet im November in Ulm statt und hat klinische Studien zum Thema. "Als Ergebnis sollen die rund 20 Absolventen 2019 einen fertigen Antrag für ein Forschungsprojekt einreichen - die bisherige Förderquote lag bei 50 Prozent", so Rudolph.
Neben diesen Aktivitäten fand Heike Rudolph noch Zeit, die Werkstoffkundevorlesung im vorklinischen Studienabschnitt praxisnah zu überarbeiten. Zudem gestaltete sie den Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Zahnmedizin mit und wurde zur Sprecherin des Querschnittsbereichs Biomaterialien und klinische Werkstoffkunde gewählt. Ohne flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit im Home Office zu arbeiten, wäre diese Karriere nicht möglich gewesen, denn Rudolph hat drei Kinder und einen ebenfalls beruflich sehr eingespannten Mann. Auch aufgrund ihres eigenen Hintergrundes setzt sie sich stark für die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft ein. Dafür wurde ihr im Frühjahr der Mileva Einstein-Maric-Preis der Universität Ulm verliehen. Zu ihrer Motivation sagt die habilitierte Zahnärztin: "Forschung macht mir einfach Spaß - und das möchte ich weitergeben."
Text: Annika Bingmann
Fotos: Dr. Sebastian Quaas, Dr. Timo Weihard, Uniklinikum Ulm, Mariam Seyfang, Johannes/Fraunhofer IKT, Dr. Heike Rudolph, Elvira Eberhardt