Fake News und Verschwörungstheorien
Von Querdenkern, Social Bots und alten Säugetieren
Das neuartige Coronavirus ist eine chinesische Biowaffe, der Klimawandel existiert nicht und Bill Gates will die Weltherrschaft an sich reißen. Solche Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten sich vor allem in den sozialen Medien rasant. Insbesondere die Corona-Krise scheint Desinformationen einen fruchtbaren Nährboden zu bieten. Was Fake News ausmacht und wie Social Media Plattformen auf das Phänomen reagieren können, wissen die Ulmer Psychologen Professor Christian Montag und Dr. Cornelia Sindermann.
„Stimmt es, dass das Universitätsklinikum Ulm keine ‚normalen‘ Patienten mehr aufnimmt und in den Garagen Beatmungsplätze für COVID-Kranke eingerichtet worden sind?“, wollte die Journalistin wissen, die Ende März in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit anrief. Die Kollegin am Universitätsklinikum konnte diese auf WhatsApp kursierende Meldung umgehend widerlegen. Doch für hunderte Iraner, die aufgrund von etwaigen Gerüchten in den sozialen Medien giftiges Methanol als Coronavirus-Prophylaxe tranken, kam jede Aufklärung zu spät. Laut der Friedrich-Naumann-Stiftung, die eine repräsentative Umfrage in sieben Ländern beauftragt hat, haben sich solche Fake News noch nie so rasant und flächendeckend verbreitet wie in der Corona-Krise.
An der Universität Ulm forschen Professor Christian Montag und Dr. Cornelia Sindermann zum Phänomen Fake News. Da der Begriff in Wissenschaft und Politik ganz unterschiedlich benutzt wird, gibt es keine allgemein gültige Definition. Die beiden Psychologen bedienen sich einer kommunikationswissenschaftlichen Begriffsbestimmung: Demnach sind Fake News Inhalte mit geringem Wahrheitswert, die bewusst erstellt und in einem journalistischen Format verbreitet werden. Oft verfolgen die Absender politische oder kommerzielle Interessen. Verschiedene Studien zeigen, dass sich Fake News stärker, schneller und weiter als sonstige Nachrichten verbreiten, denn sie zielen oft auf Ärger, Angst und Aufregung ab. „Das alte Säugetier in uns springt auf solche Meldungen an: Neues und Ungewöhnliches erregt unsere Aufmerksamkeit“, so Christian Montag, Leiter der Abteilung für Molekulare Psychologie.
Prof. Christian Montag absolvierte zunächst eine Banklehre und war technischer Assistent beim Privatfernsehen, bevor er ein Psychologiestudium an der Universität Gießen aufnahm. Nach Promotion und Habilitation (Universität Bonn) kam er 2014 als Heisenberg-Professor an die Universität Ulm. Der Leiter des Instituts für Molekulare Psychologie dürfte vielen durch seine Forschung zur Smartphone- und Computersucht bekannt sein. Im Forschungsfeld Psychoinformatik befasst er sich auch mit „Fake News“. Weitere Forschungsschwerpunkte reichen von der Neuroökonomie bis zur Molekulargenetik von Emotionalität und Persönlichkeit. Neben seiner Professur in Ulm ist Christian Montag „Visiting Professor“ an der University of Electronic Science and Technology of China in Chengdu.
Insbesondere soziale Medien wie Facebook und Twitter wirken bei Fake News als Brandbeschleuniger: „Auf diesen Plattformen kann jeder kostenfrei Inhalte erstellen und verbreiten. Zudem sind seriöse Nachrichten und Fake News auf den ersten Blick kaum unterscheidbar“, erklärt Cornelia Sindermann. Weiterhin setzen soziale Medien auf personalisierten Content: Algorithmen stellen sicher, dass Nutzerinnen und Nutzer wiederholt Beiträge in ihrem Newsfeed sehen, die zu den eigenen Interessen und Überzeugungen passen. In extremen Fällen sprechen die Psychologen von Filterblasen und Echokammern. Generell neigen Menschen dazu, Inhalte zu glauben, die ihren eigenen Meinungen entsprechen. Wenn ihnen in sozialen Medien vorranging solcher Content angezeigt wird, fühlen sie sich bestätigt und halten diese Meldungen – darunter womöglich Fake News – für glaubwürdig. Hinzu kommt, dass sich in den Netzwerken meist Personen mit ähnlichem Weltbild „befreunden“, und von Freunden veröffentlichte oder geteilte Inhalte wirken tendenziell vertrauenswürdig. Eine Studie von Cornelia Sindermann und Christian Montag zeigt: Vor allem jüngere Menschen haben ein vergleichsweise hohes Risiko, in eine Art Filterblase zu gelangen. Diese Gruppe konsumiert eher weniger unterschiedliche Nachrichtenquellen und informiert sich vermehrt über den Newsfeed sozialer Medien. Eine weitere Untersuchung der Psychologen bestätigt, dass Probandinnen und Probanden seriöse Nachrichten und Fake News umso besser unterscheiden können, je mehr Nachrichtenquellen sie nutzen – auch wenn die Effekte gering ausfielen.
Der US-Wahlkampf 2016 hat weitere Möglichkeiten der Meinungsmache in den sozialen Medien aufgezeigt. Mithilfe persönlicher Daten von Millionen Facebook-Mitgliedern, die das Unternehmen „Cambridge Analytica“ unrechtmäßig erworben hatte, betrieb das republikanische Wahlkampfteam offenbar Microtargeting. Unentschlossenen Personen oder zum Beispiel Unterstützern der Demokratischen Partei wurden passgenau zugeschnittene und potenziell manipulative Inhalte angezeigt, um Donald Trump zum Wahlsieg zu verhelfen. Nicht zu vergessen sind so genannte Bots, die sich besonders gut für Marketingzwecke oder für die politische Kommunikation eignen. Diese automatisierten Accounts imitieren menschliches Verhalten: In den sozialen Netzwerken suchen sie nach Schlüsselbegriffen und liken, teilen oder kommentieren die entsprechenden Inhalte, wodurch diese mehr Sichtbarkeit erhalten.
Verschwörer auf dem Vormarsch
Neben Fake News scheinen vor allem Verschwörungstheorien in der Corona-Krise Aufwind zu haben. Man denke nur an die Fernsehbilder von den Querdenken-Demonstrationen, wo Impfgegner mit Regenbogenflaggen neben Reichsbürgern protestierten und hier und da ein großes Q auf Plakaten auftauchte – Symbol der in den USA beheimateten Verschwörungstheorie QAnon. Die zentralen Behauptungen: Eine globale politische und wirtschaftliche Elite entführt und tötet Kinder, um aus deren Körpersäften ein Verjüngungsserum zu gewinnen. Zudem werde die Welt von einer Geheimregierung („Deep State“) gesteuert. Dieses Konstrukt wird nach Bedarf ergänzt – etwa um die These, dass der Software-Milliardär Bill Gates spätere Corona-Massenimpfungen nutzen wolle, um Menschen Mikrochips zu implantieren. „Verschwörungstheorien und Fake News greifen ineinander, denn Falschmeldungen tragen womöglich dazu bei, eine Verschwörungstheorie entstehen zu lassen, und sie sind eventuell Bestandteil eines solchen Konstrukts. Allerdings können einzelne Falschmeldungen im Gegensatz zu Verschwörungstheorien einfacher widerlegt werden“, erklärt Cornelia Sindermann. Tatsächlich entspinnen sich die meisten Verschwörungen um komplexe Sachverhalte: Es geht darum, Schuldige für eine unübersichtliche Situation zu finden. Oft glauben die Verbreiter, Zusammenhänge zu durchschauen und wollen ihre unwissende Umgebung aufklären.
Den Absendern von Fake News und Verschwörungstheorien treten Forschende sowie (Wissenschafts-)Journalisten entgegen: In der Corona-Krise rücken Virologinnen und Virologen ins Rampenlicht, die sich bemühen, allgemeinverständlich über den neuen Erreger zu informieren. Omnipräsent sind zudem die Medienauftritte von Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts. „Im Gegensatz zu anderen Ländern wurde in Deutschland recht gut auf Corona-Fake News reagiert. Der Podcast des Virologen Professor Christian Drosten hat eine große Hörerschaft. Zudem gab es schnell so genannte Myth-Buster-Seiten, die Falschmeldungen widerlegen“, so Sindermann. Ein lokales Beispiel ist der Faktencheck des SWR zum YouTube-Video „Die Zerstörung des Corona-Hypes“. Der Beitrag eines Ulmer Studenten mit Bezug zur „Querdenken-Szene“ zweifelt an der Verhältnismäßigkeit von Lockdown und Kontaktsperren. Innerhalb einer Woche brachte es das Video auf mehr als 500 000 Aufrufe. Im Faktencheck analysierten SWR-Journalisten den Beitrag und legten argumentative Fehler offen. Darüber hinaus hat die Plattform YouTube selbst angekündigt, Videos mit Falschmeldungen zur Coronavirus-Pandemie und Impfstoffentwicklung zu löschen. Facebook und Twitter wollen insbesondere gegen Desinformationen der QAnon-Bewegung vorgehen. In jüngster Zeit markiert Twitter auch Beiträge des US-Präsidenten Donald Trump, in denen dieser seine Wahlniederlage negiert, als „umstritten und möglicherweise irreführend.“
Dr. Cornelia Sindermann studierte Psychologie an der Universität Ulm und promovierte über die biologischen Grundlagen sozialer Kognition und pro-/ antisozialer Tendenzen. Als Postdoktorandin in der Abteilung für Molekulare Psychologie beschäftigt sie sich unter anderem mit dem Phänomen „Fake News“ und weiteren Themen der Digitalisierung, etwa im Kontext politischer Einstellungen und Verhaltensweisen. Als sich Cornelia Sindermann zu Beginn der Corona-Pandemie Fake News für eine neue Studie ausdenken wollte, wurde sie von der Realität eingeholt: Nach wenigen Tagen stimmten die erdachten und ursprünglich viel zu hoch angesetzten coronabedingten Todeszahlen mit den tatsächlichen Werten überein.
Mit Medienkompetenz gegen Fake News
Christian Montag begrüßt die Bemühungen der sozialen Netzwerke, Unwahrheiten zu löschen oder zu markieren, verweist aber auch auf die Meinungsfreiheit. Der Psychologe setzt vielmehr auf einen Ausbau der Medienkompetenz: Eine kürzlich von Politologen veröffentlichte Studie zeigt, dass Nutzerinnen und Nutzer Fake News häufiger erkennen, wenn sie vorab Hinweise auf typische Merkmale wie eine reißerische Überschrift oder eine auffällige URL erhalten. Um die Ausbreitung von Falschmeldungen tatsächlich zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen, müssten laut Montag die Algorithmen hinter Social Media Plattformen massiv verändert werden: Bisher erzielen nämlich insbesondere emotional aufgeladene Inhalte – was auf Fake News eben oft zutrifft – eine große Reichweite.
Es gibt aber auch gute Nachrichten: In der neuesten Studie der Ulmer Psychologen konnten viele Teilnehmende Fake News identifizieren. Dazu bekamen 530 Probandinnen und Probanden, die zuvor einen Intelligenz- und Persönlichkeitstest gemacht hatten, wahre und ausgedachte Nachrichten gezeigt. „Im Ergebnis hängt das Allgemeinwissen damit zusammen, wie gut jemand seriöse Nachrichten und Fake News unterscheiden kann. Die allgemeine, fluide Intelligenz hat nur einen kleinen Einfluss auf die Erkennungsleistung von Fake News. Dafür besteht ein relativ starker Zusammenhang mit hohen Werten auf der ,Interpersonal Trust Skala‘, die unter anderem das Vertrauen in Institutionen misst“, resümiert Cornelia Sindermann. Vorherige Studien von Forschenden um Dr. Gordon Pennycook hatten bereits auf die Wichtigkeit des analytischen Denkens für das Erkennen solcher Falschmeldungen hingewiesen. Insgesamt scheinen also eine gewisse Medienkompetenz, Allgemeinwissen und die Nutzung verschiedener Nachrichtenquellen eine gute Versicherung gegen Fake News und Verschwörungsmythen zu sein.
In einer neuen Studie untersucht Dr. Cornelia Sindermann gesellschaftliche und politische Einstellungen, und inwieweit sich diese im Verlauf des Wahljahres 2021 in Abhängigkeit von Medien, dem Nachrichtenkonsum und persönlichen Gegebenheiten ändern. Für diese Studie werden noch für die Bundestagswahl 2021 wahlberechtigte Teilnehmende ab 18 Jahren gesucht.
Text: Annika Bingmann
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