Corona-­Chronik der Uni Ulm

Monat Januar bis März

Januar

Anfang Januar mehren sich die Berichte über eine neue Lungenkrankheit im chinesischen Wuhan. Das auslösende Coronavirus scheint tierischen Ursprungs zu sein, doch bald wird klar, dass auch eine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich ist. Schwerpunkt des Infektionsgeschehens ist zunächst China.

Ende Januar wird allerdings ein Mann im bayerischen Starnberg positiv auf das neue Coronavirus getestet. Er hatte sich offenbar bei einer chinesischen Kollegin angesteckt, die auf Dienstreise in Deutschland war.

Februar

Das neue Coronavirus erhält den Namen SARS-CoV-2 und die Krankheit heißt Covid-19. Das Infektionsgeschehen ist nicht mehr auf China begrenzt: Vor allem in Norditalien breitet sich der Erreger massiv aus.

Ende des Monats infizieren sich zahlreiche Karnevalisten in Heinsberg (NRW), und auch Baden-Württemberg vermeldet erste Corona-Fälle.

März

Am 11. März ruft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pandemie aus. Wenig später gilt eine weltweite Reisewarnung und Deutschland schließt seine Grenzen. Eine beispiellose Rückholaktion deutscher Staatsbürger aus dem Ausland läuft an. Schulen und Kindergärten schließen ebenso wie Restaurants, Freizeiteinrichtungen und die meisten Geschäfte.

Am 22. März treten die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen bundesweit in Kraft. Viele Deutsche decken sich zu Beginn des „Shutdowns“ mit Toilettenpapier, Nudeln und Desinfektionsmittel ein. Im weltweiten Vergleich überholen die USA China bei den Infektionszahlen.

Anfang März erreicht das neue Coronavirus den Campus: Eine 45-Jährige, die sich wohl im Skiurlaub infiziert hat, wird im Universitätsklinikum Ulm behandelt. Auch die Universität Ulm ergreift erste Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen: Unter anderem geht eine  Informations-Webseite online und Veranstaltungen werden abgesagt. So enden die mit stark reduzierter Besucherzahl begonnenen Präsenzvorträge der Ulmer Denkanstöße vorzeitig am Freitag, den 13. März. Zwei Tage später, am Sonntag, erhalten Beschäftigte und Studierende eine Rundmail von Universitätspräsident  Prof. Michael Weber: Wer kann, soll bereits ab Wochenbeginn von zuhause aus arbeiten. Ebenfalls am Montag stellen die Mensen und Cafeterien des Studierendenwerks den Betrieb ein.

gesperrte Sitzplätze der Cafeteria Southside
Schild über Notbetrieb an der Uni

Am Dienstag, 17. März, verfügt der Pandemiestab unter Leitung von Universitätspräsident Prof. Michael Weber, die Universitätsgebäude zu schließen. Nur noch Beschäftigte, die für den Notbetrieb der Universität unverzichtbar sind, dürfen ab Donnerstag, 19. März, um 18:00 Uhr, den Campus betreten. Alle anderen sind aufgefordert, die Heimarbeit vorzubereiten und Forschungsarbeiten vorübergehend einzustellen. Ausnahmeregelungen gelten für Vorhaben, die der Bewältigung der Pandemie dienen – wie das neue Coronavirus-Forschungsprojekt des Instituts für Molekulare Virologie, Fight-nCoV.

Derzeit sind Semesterferien: Mindestens bis zu Beginn der Vorlesungszeit werden Lehrveranstaltungen, Hochschulprüfungen, Tagungen sowie alle sonstigen universitären Veranstaltungen abgesagt. Zahlreiche Medizinstudierende folgen dem Aufruf von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und helfen ehrenamtlich im Universitätsklinikum oder im Gesundheitsamt.

Ab Mitte März wird die Ausgestaltung des Notbetriebs sowie der späteren Betriebsstufen in regelmäßigen Videokonferenzen des Krisenstabs aus Präsidiumsmitgliedern und verschiedenen Arbeitsgruppen festgesteckt. Grundlage sind die Corona-Verordnungen des Landes.

Die vom Präsidium festgelegten Betriebsstufen der Universität lauten:
■ Notbetrieb
■ Stufe 2:
reduzierter Forschungsbetrieb, Onlinelehre
■ Stufe 3: weiter gelockerter Forschungsbetrieb, reduzierte Präsenzlehre und Prüfungen
■ Normalbetrieb

An der Universität herrscht vor dem Übergang in den Notbetrieb hektisches Treiben: Akten und Büropflanzen werden aus dem Verwaltungsgebäude getragen, in den Laboren werden laufende Experimente so gut es geht abgeschlossen. In den ersten Tagen im Homeoffice kämpfen manche Beschäftigte mit Rufumleitung, VPN-Zugang und dem neuen Videokonferenzdienst WebEx. Im Notbetrieb wird jeden Tag eine Liste mit den Zutrittsberechtigungen verschickt, wer an die Universität kommen muss, erhält eine Pendlerbescheinigung. Im Notbetrieb ist der Campus wie ausgestorben: Selbst die Frühjahrsakademie des Zentrums für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung (ZAWiW), die in der vorlesungsfreien Zeit Heerscharen von Seniorinnen und Senioren an die Uni lockt, findet erstmals in ihrer Geschichte online statt.

Auch während des Shutdowns sind Ulmer Forschende gefragte Experten: Medienvertreter recherchieren z. B. zu den psychischen Auswirkungen der Quarantäne, zur Corona-Angst und zu Hamsterkäufen. Auch die Frage, wie das Virus vom Tier auf den Mensch überspringen konnte, ist von großem Interesse. Der emeritierte Virologe Prof. Thomas Mertens veröffentlicht  regelmäßig Beiträge rund um das Coronavirus in der Schwäbischen Zeitung.

April

Die Kontaktbeschränkungen gelten über das Osterfest hinaus. Glücklicherweise ist es in Deutschland bisher nicht zu einer Überlastung des Gesundheitswesens gekommen – obwohl die benötigte Schutzausrüstung vielerorts knapp war. Ab dem 20. April darf der Einzelhandel unter strengen Auflagen wieder öffnen. Eine Woche später tritt allerdings die Maskenpflicht in Geschäften und im Öffentlichen Nahverkehr in Kraft. Auf Bundes- und Landesebene werden Corona-Nothilfefonds aufgelegt – auch für Studierende, die zum Beispiel ihren Nebenjob verloren haben.

Hochschulen in Baden-Württemberg wappnen sich - TV-Beitrag SWR Aktuell Baden-Württemberg, 14.4.2020

Das Sommersemester soll möglichst umfassend stattfinden: In den Homeoffices der Uni-Lehrenden werden also mit Hochdruck Online-Varianten der geplanten Vorlesungen, Seminare oder Übungen vorbereitet. Praktische Veranstaltungen, für die beispielsweise ein Laborarbeitsplatz notwendig ist, sollen in der zweiten Semesterhälfte angeboten werden. Eine Ausnahmeregelung gilt für Medizinstudierende: Angehende Ärztinnen und Ärzte beginnen vorzeitig ihr Praktisches Jahr und legen den zweiten Abschnitt der ärztlichen Prüfung erst 2021 ab. Die Universität hat eine Satzung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Studium und Lehre erlassen, darin sind unter anderem abweichende Vorlesungszeiten festgelegt: Das Sommersemester endet erst am 21. August. Bereits seit dem 6. April können einige mündliche Abschlussprüfungen per Videotelefonie erfolgen.

Am 20. April startet das Sommersemester digital mit einer Videobotschaft von Universitätspräsident Prof. Michael Weber. Insgesamt sollen Studierenden durch das onlinebasierte Sommersemester so wenige Nachteile wie möglich entstehen.

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Derweil werden im Universitätsklinikum zwei Covid-19-Patienten aus dem schwer betroffenen Elsass behandelt. Am Monatsende besucht Wissenschaftsministerin Theresia Bauer das Klinikum, an dem gerade die landesweite Corona-Kinderstudie angelaufen ist.

Ausschlafen, im Jogginganzug die Mails checken und mittags in der eigenen Küche raffinierte Menüs brutzeln. Ganz so entspannt geht es leider in den wenigsten Homeoffices zu. Vor allem Mitarbeitende, deren Nachwuchs nicht in den Kindergarten oder in die Schule gehen kann, sind gefordert. Bereits nach wenigen Wochen in Heimarbeit ist die Freude über Lebenszeichen der Kolleginnen und Kollegen groß. Wer braucht schon Netflix, wenn Universitätspräsident Weber Videobotschaften aufgezeichnet hat? Weitere webbasierte Angebote von Uni-Einrichtungen reichen vom Online-Gottesdienst bis hin zu Trainingsvideos des Hochschulsports, die den Corona-Pfunden den Kampf ansagen. Trotzdem lässt sich der Lagerkoller nicht immer vermeiden: Aus der Bevölkerung mehren sich die Beschwerden über die coronabedingte Schließung des Botanischen Gartens. Offensichtlich wollen viele Ulmer raus aus dem Homeoffice und rein in die Natur.

Frau im Lotossitz
Yoga am Morgen mit Marion (Videoscreenshot)
Monat Mai

Mai

Die Corona-Schutzmaßnahmen zeigen offenbar Wirkung: Das Infektionsgeschehen in Deutschland bewegt sich weiterhin auf relativ niedrigem Niveau. Daher dürfen im Laufe des Monats Restaurants, Kinos, Theater und etwa Fitnessstudios öffnen. Ganz anders ist die Situation in Lateinamerika, das sich zum neuen Schwerpunkt der Pandemie entwickelt. Inzwischen weiß man: Covid-19 ist nicht nur eine Lungenkrankheit. Das neue Coronavirus kann zu überschießenden Reaktionen des Immunsystems führen und weitere Organe befallen. Auch über Langzeitfolgen wird zunehmend berichtet.

Der Mai beginnt an der Universität Ulm mit dem Übertritt in die Betriebsstufe 2: Der Forschungsbetrieb an der Uni läuft langsam an – und damit auch zwei neue BMBF-Projekte zum besseren Verständnis des neuen Coronavirus. Arbeiten, die nicht im Homeoffice durchgeführt werden können, sind wieder vor Ort an der Universität erlaubt. Studierende belegen weiterhin Online-Varianten ihrer Lehrveranstaltungen. Allerdings dürfen sie die Uni zu Prüfungszwecken – oder wenn sie an einer Abschlussarbeit schreiben – betreten. Später sind sogar erste Praxisveranstaltungen und Exkursionen möglich. Zu bestimmten Zeiten öffnet die Bibliothek jetzt ihr Foyer für die Sofort-Abholung. Auch das Studierendenwerk verkauft wieder eine kleine Auswahl an Speisen und Getränken. Auf den Verkehrswegen innerhalb der Universität Ulm gilt allerdings eine Maskenpflicht. Zudem hat das Gebäudemanagement ein detailliertes Raum- und Wegekonzept ausgearbeitet.

gesperrte Sitzplätze in der Bibliothek

Wer nach einigen Wochen zuhause für absolut notwendige Arbeiten an die Uni Ulm zurückkehrt, sieht vor allem: Warnhinweise und gestreiftes Absperrband.  Zudem weisen auf den Boden geklebte Pfeile allen Rückkehrern den rechten Weg – und dieser führt oft an Desinfektionsspendern vorbei. Die Universität erinnert ein bisschen an einen verlassenen Abenteuerspielplatz – zu diesem Eindruck trägt auch die umfassende Sicherheitsbelehrung bei, die Beschäftigte unterschreiben. Für einige Uni-Mitglieder ist die Maskenpflicht Grund genug, kreativ zu werden: Raubtierflecken oder Spatzen, die ums Unilogo fliegen, zieren ihre selbstgemachten Gesichtsbedeckungen. Eine Maske wünschen sich vielleicht auch die Ulmer Virologen: Mit einem Beitrag zum Coronavirus in Muttermilch erregen sie mehr mediale Aufmerksamkeit als ihnen lieb ist.

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Monat Juni/Juli

Juni/Juli

Das Virus scheint im Zaum, doch die Wirtschaft ist am Boden. Daher beschließt die Bundesregierung ein Konjunkturpaket über 130 Milliarden Euro. Ende Juli wird bei einem viertägigen EU-Sondergipfel ein milliardenschwerer Aufbaufonds auf den Weg gebracht. Vor Beginn der Urlaubszeit werden Reisewarnungen für fast alle europäischen Länder aufgehoben und die lange angekündigte Corona-Warnapp steht endlich zum Download bereit. Kindergärten und Schulen öffnen sukzessive. Wenig später beherrscht allerdings ein großer Coronavirus-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies die Schlagzeilen. Außerdem gibt es fast täglich Berichte über Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 und leider auch wieder steigende Infektionszahlen.

Beginn der neuen Normalität an der Universität Ulm. Der 15. Juni markiert den Übertritt in die Stufe 3 und für viele Beschäftigte das Ende der Heimarbeit. Unter Beachtung der Hygiene- und Schutzmaßnahmen kehren sie an den Arbeitsplatz zurück. Im Juni werden immer mehr Lehrveranstaltungen in Präsenz durchgeführt. Zudem dürfen Studierende online Lernflächen in der Bibliothek reservieren. Die Regelstudienzeit wird in ganz Baden-Württemberg verlängert und Studierende in Notlagen können Überbrückungshilfen des BMBF beantragen. In den Sommermonaten laufen die Vorbereitungen für das Wintersemester auf Hochtouren. Ab dem 2. November soll eine Mischung aus Präsenz- und Onlineveranstaltungen starten.

Sie sind wieder da! Zwar bedeckt eine Maske die untere Gesichtshälfte des Hausmeisters. Es ist aber offensichtlich, dass er strahlt. Nach monatelanger Einsamkeit kehren die Kolleginnen und Kollegen wieder an die Universität zurück. Auch der Botanische Garten und der benachbarte Biergarten haben wieder geöffnet und bieten Gelegenheit, auf die neue, oft noch maskierte Normalität auf dem Eselsberg anzustoßen.

Unterdessen sammelt ein Ulmer Student mit seinem Video „Die Zerstörung des Corona-Hypes“ auf der Plattform YouTube mehrere hunderttausend Klicks. Schnell machen in den sozialen Medien falsche Gerüchte die Runde, wonach die Universität Ulm plane, den Studenten zu exmatrikulieren. Dabei steht fest:  Studierende dürfen ihre Meinung zu jeder zeit frei äußern.

Die Universität bleibt selbstverständlich bei ihrer Strategie zur Eindämmung des Coronavirus. Denn eines ist unstrittig: die Pandemie ist noch nicht vorbei und wird den Unialltag womöglich über das Wintersemester hinaus prägen.

Text: Annika Bingmann

Fotos: Elvira Eberhardt, Andrea Weber-Tuckermann, Annika Bingmann