Generalschlüssel und weitere Kniffs der Coronaviren
Zwei neue Forschungsprojekte: SARS-CoV-2 verstehen
Mit zwei neuen Forschungsprojekten trägt das Institut für Molekulare Virologie zu einem tieferen Verständnis von SARS-CoV-2 bei. Gefördert vom BMBF untersuchen die Virologinnen und Virologen, wie verschiedene Coronaviren die körpereigene Immunantwort austricksen, und ob ein Generalschlüssel für Zellen die Ausbreitung des Erregers erleichtert.
Kaum war das neuartige Coronavirus auch in Deutschland nachgewiesen worden, haben verschiedene Drittmittelgeber Förderprogramme aufgelegt: Mit gleich zwei Anträgen war das Ulmer Institut für Molekulare Virologie beim BMBF-Förderaufruf „zur Erforschung von Covid-19 im Zuge des Ausbruchs von SARS-CoV-2“ erfolgreich. Ausgestattet mit insgesamt über 900 000 Euro ergründen die Forschenden Eigenschaften und Ausbreitung des neuartigen Erregers.
Das Zusammenspiel verschiedener Coronaviren mit der körpereigenen Immunreaktion steht im Mittelpunkt des Projekts „Restrict SARS-CoV-2“. Die Forschenden um Institutsdirektor Professor Frank Kirchhoff untersuchen, welchen Einfluss die Stimulierung der angeborenen Immunantwort und aktivierte Entzündungsreaktionen darauf haben, wie sich Coronaviren vermehren und entwickeln.
Tatsächlich unterscheiden sich die Mitglieder dieser „Viren-Familie“ deutlich in ihrer Pathogenität, also in ihren krankmachenden Eigenschaften. Auswirkungen einer Infektion reichen von einer leichten Erkältung bis hin zu lebensbedrohlichen Lungenerkrankungen wie sie zum Beispiel der MERS-Erreger und in selteneren Fällen SARS-CoV-2 auslösen.
Diese unterschiedlichen Krankheitsverläufe lassen sich offenbar auf Eigenschaften der Viren und auf die Immunantwort des infizierten Wirts zurückführen. Dementsprechend untersuchen die Forschenden sowohl die Fähigkeit von Coronaviren, die körpereigene Immunantwort zu manipulieren, als auch Verteidigungsmechanismen der Zielzellen. „Einigen Coronaviren gelingt es zunächst, die Immunreaktion ihres Wirts so zu unterdrücken, dass sie sich ungestört vermehren können. Eine spätere, aufgrund der hohen Viruslast überschießende Abwehrreaktion des Infizierten kann dann allerdings zu schweren, mitunter tödlichen Krankheitsverläufen führen“, erklärt Professor Kirchhoff.
Biologische Grundlagen von Coronaviren
Der Schwerpunkt des Vorhabens liegt auf dem aktuell grassierenden Virus SARS-CoV-2, dem SARS-Erreger, MERS-CoV und einigen relativ harmlosen Coronaviren, die Menschen oder Tiere befallen. Erstes Projektziel ist ein tieferes Verständnis der biologischen Grundlagen verschiedener Coronaviren. Wichtige Forschungsfragen lauten: Welche Fähigkeiten ermöglichen es den Erregern, die antivirale Immunantwort ihres Wirts auszuschalten? Und weshalb können einige Coronaviren die Artgrenze vom Tier zum Menschen überspringen? Zudem soll ergründet werden, inwiefern sich SARS-CoV-2 im Verlauf der Pandemie an den Menschen anpasst. Vor allem aber will die Gruppe herausfinden, ob sich die körpereigene Immunantwort soweit modulieren lässt, dass eine zuverlässige Kontrolle von SARS-CoV-2 gelingt. Diese Erkenntnisse könnten den Grundstein für eine Immuntherapie gegen SARS-Coronaviren legen.
Der Projektleiter und Leibniz-Preisträger Professor Frank Kirchhoff gilt als führender Experte der HIV/AIDS-Pandemie – der am besten erforschten Zoonose: Erkenntnisse zum Ursprung von HIV und zur Anpassung dieses Erregers an den Menschen sind auch für das Verständnis der Coronavirus-Pandemie relevant.
Erreger im Vergleich
Um so genannte Spike-Proteine dreht sich das Projekt „protACT“, eingeworben von Dr. Daniel Sauter. Diese Proteine in der Virushülle verschaffen Coronaviren Zutritt zur Zielzelle, in der sie sich vermehren. Allerdings muss der „Schlüssel“ zum neuen Wirt vorab aktiviert werden, indem er durch zelluläre Proteasen „geschnitten“ wird. Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 scheint hierbei im Vorteil gegenüber anderen Erregern zu sein. „Mit seiner polybasischen Schnittstelle für die häufige Protease Furin verfügt es sozusagen über einen Generalschlüssel. Dieser könnte die Ausbreitung des Virus erleichtern und seine krankmachenden Eigenschaften verstärken“, erklärt Daniel Sauter, Juniorprofessor am Institut für Molekulare Virologie. Die genaue Rolle von Furin und anderen Proteasen bei der Aktivierung des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 will er im neuen Projekt erforschen. Vor allem ein Vergleich zwischen verschiedenen Coronaviren – darunter sind auch Erreger von Fledermäusen und Schuppentieren – soll zeigen, welchen Einfluss eine polybasische Schnittstelle auf die Infektiosität hat. Dazu kommen Analysen von Mutationen, die im Verlauf der aktuellen Covid-19-Pandemie auftreten.
Projektziel sind zum einen neue Einblicke in die Aktivierung von SARS-CoV-2. Zum anderen hoffen die Forschenden um Sauter, neue therapeutische Angriffspunkte zu finden. Lässt sich durch die Hemmung von Furin der Vermehrungszyklus und somit die Ausbreitung des neuen Coronavirus hemmen?
Die beiden neuen Forschungsvorhaben ergänzen das bereits am Ulmer Institut für Molekulare Virologie angesiedelte EU-Projekt Fight-nCoV, in dem antivirale Wirkstoffe gegen das neue Coronavirus erprobt werden.
• Die Förderung des von Prof. Frank Kirchhoff geleiteten Projekts „Immunaktivierung und Hemmung von SARS-CoV-2“ (Restrict SARSCoV-2) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beträgt für 1,5 Jahre mehr als 542 000 Euro.
• Die BMBF-Förderung des Vorhabens „Aktivierung und therapeutische Hemmung des SARS-CoV-2 Spike-Proteins“ (protACT) beläuft sich auf rund 367 000 Euro. Dr. Daniel Sauter kooperiert unter anderem mit Forschenden der Universitäten Tübingen und Tokio sowie des DPZ in Göttingen.
Text: Annika Bingmann
Fotos: Gerd Altmann/Pixabay, Uniklinik Ulm, privat/Picslocation