Forschung mit Nachhaltigkeitswert
Wie nachhaltig ist die Forschung an der Universität Ulm? In allen Fakultäten finden sich Forschungsprojekte, die sich mit Klima-, Umwelt- und Artenschutz befassen. Eine Auswahl stellen wir hier vor.
Auf der Suche nach der umweltfreundlichen Batterie der Zukunft
Lange Jahre haben Lithium-Ionen Akkus unsere Laptops oder Smartphones zuverlässig angetrieben. Doch inzwischen bringen Zukunftstechnologien wie die Elektromobilität oder die Notwendigkeit, regenerativ erzeugte Energie zu speichern, solche Systeme an ihre Grenzen. Zudem sind die Vorräte von derzeitigen Batteriebestandteilen wie Lithium und Kobalt endlich. Die Suche nach leistungsstarken und umweltfreundlichen Alternativen läuft also auf Hochtouren – und die Universität Ulm ist im Wettlauf um die Batterie der Zukunft vorne mit dabei.
In der Ulmer Wissenschaftsstadt hat die elektrochemische Grundlagenforschung eine lange Tradition: Diese Aktivitäten sind Keimzelle des 2011 gegründeten Helmholtz Instituts Ulm (HIU), in dem Uni-Forscher gemeinsam mit Kollegen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) neuartige Speichersysteme entwickeln. Dabei decken die Forschenden aus Chemie, Physik, Material- und Ingenieurwissenschaften die gesamte Wertschöpfungskette ab: Sie entwickeln und testen Batteriematerialien, untersuchen die Alterung von Energiespeichern und schlagen eine Brücke in die Industrie. Assoziierte Partner sind das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) mit seiner Pilotproduktionsanlage für Batterien in Ulm sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Diese erfolgreiche, standortübergreifende Zusammenarbeit wurde 2018 mit dem deutschlandweit einzigen Exzellenzcluster zur Batterieforschung belohnt. Gefördert mit fast 50 Millionen Euro werden im Exzellenzcluster POLiS (Post Lithium Storage) nachhaltige Energiespeichersysteme jenseits von Lithium entwickelt – von Computersimulationen auf atomarer Ebene bis zur Batterieherstellung. Dabei gelten vor allem Energiespeicher auf Basis von Natrium und Magnesium als aussichtsreiche Kandidaten. Eingebettet ist das Exzellenzcluster wiederum in eine der weltweit größten Batterie-Forschungsplattformen „CELEST“ (Center for Electrochemical Energy Storage Ulm-Karlsruhe).
Das Ulmer Portfolio wird durch das Zentrum für Energieforschung und -technologie (ZET) komplettiert. Dieser Zusammenschluss von Universität und Technischer Hochschule Ulm sowie vom ZSW befasst sich unter anderem mit intelligenten Stromnetzen, synthetischem Kraftstoff und Brennstoffzellen. Nicht vergessen werden sollte ein besonderer „Werbeträger“ der Universität Ulm und des DLR: Das klimafreundliche Flugzeug HY4 hebt mit einem Hybridantrieb aus Batterie und Brennstoffzelle ab.
Energiewandler nach dem Vorbild der Natur
Die Sonne ist ein schier unerschöpflicher Spender natürlicher Energie. Doch um diese nutzen oder speichern zu können, muss der Mensch die Lichtenergie der Sonnenstrahlen entweder in elektrische oder in chemische Energie umwandeln. Wie Letzteres geht, zeigt die Natur am Beispiel der Photosynthese. Bei diesem einzigartigen biochemischen Prozess wird die Lichtenergie der Sonne in chemisch gebundene Energie umgewandelt.
An diesem natürlichen Vorbild orientieren sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Sonderforschungsbereichs SFB/TRR 234 „Catalight“, der im Mai 2018 bewilligt wurde. Sprecher des SFB ist Professor Sven Rau vom Institut für Anorganische Chemie I. Forschende aus der Chemie, der Physik und den Materialwissenschaften suchen in diesem Verbundprojekt, an dem auch Wissenschaftler aus Mainz und Jena beteiligt sind, nach neuen Materialien und Methoden zur lichtgetriebenen Wasserspaltung.
Für die nachhaltige Bewältigung der Energiewende ist diese Technologie von großer Bedeutung. Denn Solarenergie wird hier direkt in chemische Bindungsenergie umgewandelt. Die chemischen Solarenergiewandler, die dabei zum Einsatz kommen, basieren sowohl auf altbekannten wie auf neuartigen Metallverbindungen, die als lichtgetriebene Katalysatormoleküle in weiche Materie eingebettet werden können, um diese zu stabilisieren, zu steuern und langlebiger zu machen. Gesucht wird dabei gezielt nach Molekülverbindungen, für die weder seltene Erden noch andere teure oder problematische Rohstoffe eingesetzt werden müssen. Das Fernziel: die perfekte Nachahmung der natürlichen Photosynthese mit Hilfe künstlicher Chloroplasten, das sind die Zellorganellen, die für die biochemische Energiewandlung in der Zelle zuständig sind.
Auch die Forschung zu organischen Solarzellen und Solarfolien hat an der Universität Ulm eine jahrelange Tradition. Dabei kooperieren Forschende aus dem Institut für Organische Chemie II und Neue Materialien von Professor Peter Bäuerle mit der Firma Heliatek, einer Ausgründung der Universitäten Ulm und Dresden. Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leisten also einen wesentlichen Beitrag, um die Energie der Sonne für den Menschen auf nachhaltige Weise nutzbar zu machen.
Nachhaltige Textilien und umweltfreundliche Fortbewegung
Nachhaltigkeit heißt nichts anderes, als die zukünftigen Generationen mit an den Verhandlungstisch zu holen. Wie verantwortungsvolles Handeln im Hinblick auf die Zukunft aussehen kann, daran forschen auch Wirtschaftswissenschaftler der Universität Ulm. Ein besonders erfolgreiches Format ist hier das „Reallabor“. Dabei geht es darum, im Dialog mit den Bürgern und in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft neue Formen des Wissenstransfers zu entwickeln. Ein Beispiel ist das Reallabor zur nachhaltigen Textilwirtschaft, das 2014 unter der Leitung von Professor Martin Müller (Institut für Nachhaltige Unternehmensführung) mit der Hochschule Reutlingen ins Leben gerufen wurde.
Dabei ging es um die nachhaltige Transformation der textilen Wertschöpfungskette und die Wiederbelebung verödeter Innenstädte. Die jährliche Textilmesse in der Projektstadt Dietenheim zeigt, wie das Reallabor in die lokale Wirtschaft und Öffentlichkeit hineinwirkt; nicht zuletzt mit dem Ziel, das Bewusstsein der Kunden für hochwertige, umweltverträgliche und fair produzierte Ware zu schärfen. Genau daran knüpft ein weiteres Reallabor an, das Jugendliche für nachhaltigen Textilkonsum begeistern möchte. In Zusammenarbeit mit ausgewählten Schulen wird nach kreativen neuen Lehr- und Lernformaten gesucht, um 14- bis 17-jährige junge Menschen für das problematische Thema Fast Fashion zu sensibilisieren.
Dass individuelles Handeln massive kollektive Effekte hervorbringt, gilt auch im Bereich der Mobilität. Daher forschen die Ulmer Wirtschaftswissenschaftler
aus dem Institut für Nachhaltige Unternehmensführung nun auch zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Das Ergebnis einer groß angelegten aktuellen Studie für Ulm und Neu-Ulm mit Daten aus 2019 hat gezeigt, dass Gratisfahrten an Samstagen nicht nur Zuwächse bei den Fahrgastzahlen gebracht haben. Unter den Fahrgästen waren auch viele sporadische ÖPNV-Nutzer, die ihr Auto in der Garage stehen gelassen haben, um auf Bus oder Straßenbahn umzusteigen.
Thematisch breiter ist der brandaktuelle Antrag für ein „Reallabor Klima“, das an die übergreifende Klimaschutzstrategie 2030 anknüpft. Hier geht es um ein umfassendes Konzept für das Ulmer Industriegebiet Donautal, das die Bereiche Energie, Mobilität, Bildung und Infrastruktur mit einbezieht. Die erste Hürde der Bewilligung wurde bereits erfolgreich genommen.
Die Nachhaltigkeitsforscher der Uni Ulm sind gut vernetzt mit dem Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. (unw). Die regionale Initiative, deren Vorstandsvorsitzender Professor Müller ist, setzt auf die enge Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Denn nur gemeinsam wird es möglich sein, nachhaltige Lösungen für die Zukunft zu finden.
Video: Nachhaltige Textilproduktion durch regionale Wertschöpfung
Der Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e. V. (unw) ist Think Tank und Aktionsplattform zugleich. Die Initiative, die sich – wie der Name schon sagt – in der Region für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung stark macht, sieht sich als aktiver Vermittler zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Im Mittelpunkt steht dabei das Wissen über nachhaltig geprägte Arbeits- und Wirtschaftsweisen. Der unw wurde im Jahr 1994 vom Stuttgarter Nachhaltigkeitsökonom Professor Helge Maier gegründet. Vorstandsvorsitzender des Initiativkreises ist seit 2011 Professor Martin Müller. Der Wirtschaftswissenschaftler leitet an der Universität Ulm das Institut für Nachhaltige Unternehmensführung.
Ihren Kernauftrag sieht die Nachhaltigkeitsplattform darin, politische Prozesse und Entscheidungen kritisch und konstruktiv zu begleiten – von der kommunalen bis zur Bundesebene. Die Initiative orientiert sich dabei an einem breiten Nachhaltigkeitsbegriff, der neben einer ökologischen auch eine soziale und ökonomische Dimension hat. Der unw ist Initiator und Unterstützer zahlreicher Projekte aus den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz sowie nachhaltige Mobilitätskonzepte oder Klimawandel. Er fördert zudem freizeit- und schulpädagogische Projekte rund um das Thema nachhaltige Lebenswelt. In diesem Sinne ist der Initiativkreis Mitherausgeber des „Klimasparbuchs Ulm/Neu-Ulm“. Dieser Nachhaltigkeitsstadtführer gibt Tipps für eine ressourcenschonende Lebensweise sowie für umweltfreundlichen und fairen Konsum. Die Zusammenarbeit mit nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen aus der Region sowie mit der Kommunalpolitik ist eng; so engagiert sich der unw auch im Projekt „Digitale Zukunftskommune“ der Stadt Ulm und im Photovoltaik-Netzwerk Donau-Iller.
Von Feuchtgebieten und Trockenresistenzen
Wozu braucht die Welt Feuchtgebiete? „Wetlands“ wie Moore sind hervorragende Kohlenstoffspeicher. Doch Mensch und Klimawandel setzen diesen besonderen Ökosystemen immer mehr zu. Wie sich der Verlust der Moore wiederum auf das Klima auswirkt, daran wird auch an der Universität Ulm geforscht.
Die Wissenschaftler vom Institut für Systematische Botanik und Ökologie um Professor Marian Kazda gehen außerdem der Frage nach, wie sich Moorlandschaften wiederherstellen lassen. Im Fokus ihrer wissenschaftlichen Arbeit stehen Fragen zur Ökophysiologie der Feuchtgebietspflanzen und der Ökosystemdynamik. Welche besonderen Wechselwirkungen gibt es in Feuchtgebieten zwischen Pflanzen, Boden, Gasen und Nährstoffen? Besonders im Fokus: der Sauerstoff- und Kohlenstoffumsatz von Wasserpflanzen. Die Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessieren sich auch für anaerobe Prozesse, die biotechnologisch in der Biogasproduktion Anwendung finden. Am Institut für Mikrobiologie und Mikrotechnologie wiederum wird zur „Gasfermentation“ geforscht, also zur mikrobiellen Herstellung von Chemikalien aus Gasen wie Kohlenstoffdioxid. Gesucht wird dabei nach Wegen, wie sich Treibhausgase als Karbonquelle nutzen und damit deaktivieren lassen.
Doch der Klimawandel macht nicht nur feuchtigkeitsliebenden Pflanzen zu schaffen. Lang anhaltende Dürren und wiederholte Hitzeperioden mit Rekordtemperaturen plagen große Teile der Pflanzenwelt. Die Schäden sind nicht nur für die Landwirtschaft beträchtlich. Die Photosyntheseleistung der Pflanzenwelt geht zurück, und es wird weniger CO2 verbraucht – mit entsprechenden Folgen für das Klima. Trockenresistenz wird zur entscheidenden Überlebensstrategie der Flora und zu einem wichtigen Klimafaktor. Wie Pflanzen auf Trockenheit reagieren und sich im Laufe der Evolution an Wassermangel angepasst haben, wird ebenfalls am Institut für Systematische Botanik und Ökologie untersucht (Arbeitsgruppe von Professor Steven Jansen). Grundlegend hierfür ist ein detailliertes Verständnis, wie Wasser in Pflanzen transportiert und gespeichert wird. Leitgewebe und Pflanzenflüssigkeit sind so beschaffen, dass sie selbst bei Wasserknappheit noch höchstgelegene Blätter und Äste mit Nährstoffen und Wasser versorgen können. Wie die Ulmer Forschenden herausfanden, helfen dabei poröse Mikrostrukturen in den Leitstrukturen sowie pflanzliche Tenside, die die Bildung von Luftbläschen verhindern, die als Embolien den Wassertransport blockieren.
Pestizide, Klimawandel und Krankheitserreger
Wie wirken sich der Klimawandel, Pestizide oder neue Krankheitserreger auf Tiere und Menschen aus? Dieser Frage gehen an der Universität Ulm vor allem Forschende des Instituts für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik auf den Grund – vom Botanischen Garten über das Biodiversitätsexploratorium Schwäbische Alb bis in die Tropen. Schon lange bevor das Bienensterben Schlagzeilen machte, haben Forschende der Uni Ulm die Bestäuber ergründet. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Sozialverhalten von Bienen und ihrer chemischen Kommunikation. Bienen und weitere Insekten organisieren ihr Zusammenleben nämlich oftmals über verhaltensändernde Duftstoffe. Darüber hinaus werden sie von Pflanzen mit Blütenduft oder Farbsignalen angelockt. Allerdings sind die Wahrnehmungsorgane der Insekten hochsensibel: Durch Pestizide oder Auswirkungen des Klimawandels auf Pflanzen können sie leicht gestört werden. Der Übergang von der Bienenforschung zum Umweltschutz ist daher fließend.
Im Projekt BienABest gehen Forschende der Uni Ulm und des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) dem Bienensterben auf den Grund und wollen herausfinden, unter welchen Bedingungen die Wildbienen zurückkehren. Dazu werden in ländlichen Umgebungen idealtypische Bienenweiden angelegt. Dort und an unveränderten Referenzflächen verfolgen die Biologen die Entwicklung der Bienenpopulation. Weiterhin nehmen sie Bodenproben, um das Vorkommen von Pestiziden zu untersuchen. Anhand dieser Daten wollen die Forschenden um Prof. Manfred Ayasse künftige Schutzmaßnahmen ausrichten. Erst kürzlich ist das vom Bundesamt für Naturschutz geförderte Vorhaben als offizielles Projekt der Dekade biologische Vielfalt ausgezeichnet worden. Weiterhin befassen sich die Biologen mit dem Einfluss von Agrar-Umweltmaßnahmen auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Bestäubern – beispielsweise in einer Langzeitstudie der Biodiversitätsexploratorien.
Darüber hinaus dreht sich das kürzlich mit einem ERC Consolidator Grant ausgezeichnete Projekt BeePath (Prof. Lena Wilfert) um die Varroamilbe, die Bienen mit einem lebensgefährlichen Virus infiziert. Allerdings ist die Forschung am Institut weder auf eine Tierart noch auf einen Landschaftstyp begrenzt. Getreu dem Ansatz „Ecohealth“ wird weltweit untersucht, wie die Gesundheitszustände von Tieren, Menschen und der Umwelt zusammenhängen.
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Texte: Andrea Weber-Tuckermann, Annika Bingmann
Fotos: Elvira Eberhardt, Heiko Grandel, Jean-Marie Urlacher/DLR, Heliatek, Pixabay, Stefan Loeffler (unw), Institut für Systematische Botanik und Ökologie, H. Cochard, Elvira Eberhardt, Hans Schwenninger
Videos/Podcasts: POLIS, Wemake, VDI