Das Ex­pe­di­ti­ons­ge­fühl bleibt

Fünf Fragen an heutige Naturforscher wie Prof. Marco Tschapka

Der Fledermausspezialist Professor Marco Tschapka aus dem Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik forscht seit vielen Jahren in tropischen Regenwaldgebieten in Costa Rica und Panama. Im Interview erzählt der Ökologe, der bei der Herbstakademie einen Vortrag über die Vielfalt dieser besonderen Tiere gehalten hat, wie Naturforscher heute arbeiten. Beim Gespräch mit dabei waren Gloria Gessinger und Jan Bechler. Beide forschen für ihre Doktorarbeiten ebenfalls regelmäßig in Mittelamerika.

 

Naturforscher wie Alexander von Humboldt gibt es heute nicht mehr. Wissenschaftler wie Sie arbeiten aber ebenfalls in schwer zugänglichen und abgelegenen Gebieten. Was ist heute anders als früher?

Prof. Tschapka: „‚Abgelegenheit‘ ist heute etwas anderes als früher. Wenn ich meine Studierenden heute frage, wer schon mal auf einem anderen Kontinent war, strecken drei Viertel die Hand. Außerdem haben sich die Reisezeiten extrem verkürzt. Heute brauchen wir etwas mehr als einen Tag, um zu unseren Forschungsstationen in Costa Rica oder Panama zu kommen.
Humboldt war mehrere Wochen lang auf See, um nach Südamerika zu gelangen. Bei dieser berühmten Expedition war er fünf Jahre unterwegs. Derart lange Forschungsaufenthalte sind heute eher unüblich. Und wir haben heute das Glück, dass wir gut ausgebaute Forschungsstationen mit einer kompletten Infrastruktur nutzen können. Das Praktische daran: Man fällt morgens aus dem Bett und ist direkt im Urwald.“

Prof. Marco Tschapka
Prof. Marco Tschapka ist viel unterwegs in den Regenwäldern Mittelamerikas

Technik und Ausrüstung sind heute um ein Vielfaches besser als zu Zeiten Humboldts. Wovon profitieren Sie am meisten?

„Es ist kaum zu glauben, wie sich die Kommunikation allein in den letzten 30 Jahren verändert hat. Als ich 1994–96 für meine Doktorarbeit 18 Monate lang in Costa Rica war, habe ich vielleicht fünf Mal zu Hause angerufen. Ein Telefongespräch kostete damals rund 30 Dollar. Mein Vater hat sich dann extra ein Faxgerät angeschafft. Heute kauft man vor Ort eine SIM-Karte und kann über E-Mail, Skype, Whats-App oder Face-Time jederzeit mit Familie und Freunden in Kontakt bleiben, teilweise sogar mitten im Wald. Über das Internet haben wir außerdem Zugang zur Fachliteratur weltweit. Aber die Rundum-Erreichbarkeit hat auch ihren Nachteil. So läuft der E-Mail-Verkehr durch die Zeitverschiebung rund um die Uhr, und man kann sich auch nur schwer vom Tagesgeschäft in Ulm lösen. Doch sobald man die Tür öffnet und aus den klimatisierten Räumen heraustritt, hat man die feucht-warme Luft der Tropen in der Nase und das Expeditionsgefühl ist wieder da.“

Blumenfledermaus saugt an der hängenden Blüte von Merinthopodium neuranthum
Eine Blumenfledermaus saugt an der hängenden Blüte von Merinthopodium neuranthum. Wie diese besondere Fledermausart mit diesem Nachtschattengewächs interagiert, erforscht der Biologe Jan Bechler von der costa-ricanischen Forschungsstation La Selva aus

Expeditionen wollen gut vorbereitet sein. Und doch geht nicht immer alles nach Plan. Was waren die größten Herausforderungen auf Ihren Forschungsreisen?

„Eine große Herausforderung ist es für uns noch immer, die ‚richtigen‘ Fledermäuse zu fangen. Murphys Gesetz gilt ja auch in den Tropen. Man fängt also immer die Fledermausart, die man für die laufende Studie gerade nicht braucht. Außerdem bekommen wir auch in Mittelamerika den Klimawandel zu spüren. Gerade die letzten beiden Jahre waren voller Extreme. In Costa Rica war es 2019 so trocken wie noch nie seit Aufzeichnung der Wetterdaten. Und ein Jahr zuvor war der Regen teils so stark, dass Gebiete der Forschungsstation unter Wasser standen. Keiner konnte mehr in den Wald. Und selbst auf dem Stationsgelände brauchte man mitunter das Boot, beispielsweise um in den Speisesaal zu kommen, wie Jan das mehrfach erlebt hat. Zum ersten Mal überhaupt gab es auch Tornados in der Region. Hunderte von großen Bäumen wurden zu Fall gebracht und blockierten die Wege. Eine ständige Herausforderung sind auch Moskitos und Zecken. Als Biologe freut einen ja grundsätzlich alles, was umherflattert. Aber Mückenstiche und Insektenbisse sind nicht nur lästig. Sie können auch Krankheitserreger übertragen, die nicht ganz ungefährlich sind. Wir schützen uns mit langer Kleidung, Hut und Schal. Wegen der Schlangen tragen wir im Gelände immer Gummistiefel.“

Blumenfledermaus besucht eine Merinthopodium-Blüte

Woran muss man sich als Naturforscher in den Tropen gewöhnen?

„Ungewohnt sind gerade für Neulinge die lauten Nachtgeräusche im Tropenwald. Die können einen manchmal ganz schön erschrecken. Wenn man nachts erschöpft und übermüdet stundenlang am Fangnetz auf Fledermäuse wartet, dann geht mit einem manchmal die Phanta- sie durch. Man glaubt dann, Schritte oder größere Tiere zu hören. Ein Wildschwein? Ein Jaguar? Wenn dann überhaupt etwas kommt, ist es oft ein Gürteltier, das sich in der Nacht laut raschelnd durch Laub und Unterholz wühlt. Etwas unheimlich ist auch der Brunftschrei des Wickelbärs: Der klingt wie ein schreiendes Kind.

Unsere Fledermaus-Forscherinnen und Forscher vor Ort haben immer mit Schlafmangel zu kämpfen, weil die Tiere ja nachtaktiv sind. Und morgens mal eben ausschlafen geht meistens nicht, weil die Stationsarbeiter die Morgenkühle nutzen, um mit Laubbläsern, Rasenmähern und Baumscheren zu verhindern, dass sich der Urwald die Forschungsstation wieder einverleibt. Gloria, die ebenfalls bei mir promoviert, hat auch schon mal im Flugkäfig bei ihren Schwertnasenfledermäusen übernachtet.“

Auf welche Gegenstand möchten Sie bei Ihren Forschungseinsätzen nicht verzichten?

Ganz klar: auf die Stirnlampe. Die erleichtert uns die Arbeit sehr. Meine erste Kopflampe, die ich Anfang der 1990er-Jahre getragen habe, sah damals aus wie eine Fahrradlampe. An einem Kabel war ein Bleiakku angeschlossen, den ich in der hinteren Hosentasche getragen habe. Der war so schwer, dass ich einen Gürtel brauchte, damit die Hose oben blieb. Heute sind die Stirnlampen unglaublich leistungsfähig, leicht und sparsam. Gloria hat sogar immer zwei dabei, eine fokussierbare und eine mit Rotlicht, um die anderen Tiere nicht zu erschrecken. Nicht vergessen dürfen wir unsere universell einsetzbaren handgenähten Fledermausbeutel aus weichem Fließ. Ebenfalls sehr praktisch: Zip-Lock-Beutel, Kabelbinder und Panzerklebeband. Ganz wichtig ist natürlich die Vakuumpumpe, die bei Insektenstichen oder vielleicht sogar bei Schlangenbissen zum Einsatz kommen kann, und die mit Unterdruck das Gift aus der Wunde zieht. Wir haben sie bisher nur bei Skorpionsstichen, giftigen Ameisen oder Stachelrochen verwenden müssen. Und wenn man allein im Wald unterwegs ist, nimmt man natürlich ein Walkie-Talkie mit. Für schnelle Fotos, kurze Notizen oder Aufnahmen, und um GPS-Daten zur Lokalität zu erfassen, ist auch das Smartphone ganz praktisch. Und es hilft dabei, dass man im Tropenwald nicht verloren geht.“

Gut geschützt untersucht die Wissenschaftlerin Gloria Gessinger eine gefangene Fledermaus
Gut geschützt untersucht die Wissenschaftlerin Gloria Gessinger eine gefangene Fledermaus

Interview: Andrea Weber-Tuckermann

Fotos: Jan Bechler, Michael Speidel, privat

Video: Jan Bechler