Heißes Metall im All

Materialforschung aus Ulm auf der Internationalen Raumstation ISS

Der Elektromagnetische Levitator (EML) bringt flüssiges Metall zum Schweben. Das hochkomplexe Analysegerät, das die physikalischen Eigenschaften von Schmelzen untersucht, funktioniert am Besten in der Schwerelosigkeit. Seit 2014 arbeitet diese einzigartige Anlage, die von Ulmer Wissenschaftlern mitentwickelt wurde, auf der Internationalen Raumstation ISS. Der EML hilft der Materialforschung dabei, unter Metallen, Legierungen und Halbleiterverbindungen neue Kandidaten für Supermaterialien zu finden; beispielsweise für Nanogläser und Nanodrähte.

In 400 Kilometern Höhe rast die Internationale Raumstation ISS um die Erde, mit einer Umlaufgeschwindigkeit von 28 000 Stundenkilometern. An Bord herrscht Schwerelosigkeit, die alles frei zum Schweben bringt, was nicht festgeschraubt, angebunden oder mit Magneten fixiert ist. Im Columbus-Labor, das die Europäer für ihre Experimente im Weltall benutzen, schwebt in einer besonderen Apparatur ein kugelförmiger Tropfen aus 2000 Grad heißem flüssigen Metall. Er ist etwa acht Millimeter groß und kann beliebig abgekühlt oder erhitzt sowie in Schwingung versetzt werden.

Möglich macht dies ein so genannter Elektromagnetischer Levitator (EML). Die hochempfindliche Apparatur kann Metalle, Legierungen und Halbleiterverbindungen mit Hilfe von elektromagnetischen Feldern verflüssigen und die Schmelze zum Schweben bringen. Das Verfahren ist kontaktlos, es gibt also keine störenden Interaktionen zwischen Schmelze und Gefäßwand, die das Materialverhalten der Probe beim Erhitzen oder Abkühlen verändern. Der EML wurde im Rahmen des europäischen ThermoLab-Forschungsprogramms der European Space Agency (ESA) realisiert. Mit dabei sind Wissenschaftler des Ulmer Instituts für Funktionelle Nanosysteme wie Professor Hans-Jörg Fecht, Dr. Markus Mohr, Dr. Yue Dong und Dr. Kai Brühne.

Elektromagnetischer Levitator
Der Elektromagnetische Levitator bringt Metalle nicht nur zum Schmelzen, sondern auch zum Schweben; dafür sorgen die elektromagnetischen Kraftfelder der Spule

Alexander Gerst muss beim Aufbau auf der ISS zur Metallsäge greifen

Der EML gehört zu den komplexesten Instrumenten, die bislang auf der ISS zusammengebaut und in Betrieb genommen wurden. Die 400 Kilogramm schwere und 30 Millionen Euro teure Apparatur, hergestellt von Dornier, jetzt Airbus Defence & Space, in Friedrichshafen, wurde 2014 im Columbus-Modul der Internationalen Raumstation installiert. Der deutsche Astronaut Dr. Alexander Gerst, der mit der Montage betraut war, erinnert sich in einem Buchbeitrag zum ThermoLab-Projekt noch gut an die unvorhersehbaren Probleme beim Aufbau; und an die Angst, die millionenschwere Anlage und die jahrelang vorbereiteten Experimente nicht zum Laufen zu bringen. Ein Sicherungsbolzen ließ sich nicht entfernen, und nach langem Hin und Her musste er schließlich zur Metallsäge greifen. Um die Metallspäne in der Schwerelosigkeit aufzufangen, nahm Gerst – seit jungen Jahren ein großer »MacGyver«-Fan – einen Hygieneartikel aus seinem Kulturbeutel: eine Dose Rasierschaum. Das wissenschaftliche Bodenteam, das die Experimente der Europäer vom Kontrollzentrum Köln aus überwacht und fernsteuert hat, war per Live-Video zugeschaltet; unter ihnen die Forscher aus Ulm. Ein detailgetreues Duplikat des Levitators, aufgebaut im Kontrollraum des Nutzerzentrums für Weltraumexperimente (MUSC), half dem Bodenteam dabei, die nervenaufreibende Inbetriebnahme von dort unten aus zu begleiten.

Dr. Alexander Gerst im Columbia-Labor der ISS
Dr. Alexander Gerst im Columbus-Labor der ISS. Der Astronaut hat den EML (Apparatur untere Bildmitte) an Bord der Raumstation erfolgreich installiert

Der Elektromagnetische Levitator funktioniert übrigens auch auf der Erde – allerdings nur eingeschränkt. Denn die natürliche Gravitation ist hier so groß, dass die elektromagnetischen Kräfte zur Überwindung der Schwerkraft extrem stark sein müssen, um die Metallschmelzen zum Schweben zu bringen. Dies hat zur Folge, dass die Metallproben deformiert werden und sich im Schwebezustand so stark aufheizen, dass sie nicht mehr ausreichend heruntergekühlt werden können. »Die Kühlung ist aber notwendig, um die thermophysikalischen Prozesse bei der Erstarrung des Materials untersuchen zu können, für die sich nicht nur die Materialwissenschaften, sondern auch die Metallindustrie brennend interessieren«, erklärt Professor Hans Fecht, Leiter des Instituts für Funktionelle Nanosysteme an der Universität Ulm. Je nachdem, wie schnell das Metall abkühlt und erstarrt, bilden sich unterschiedliche Nanostrukturen aus, die wiederum die Materialeigenschaften beeinflussen.

Hans Fecht, Leibniz-Preisträger von 1998, forscht seit gut 30 Jahren zu den technologischen Grundlagen der Elektromagnetischen Levitation, und das an ganz unterschiedlichen Stationen. Schon in seiner Zeit am California Institute of Technology (CalTech) in Pasadena arbeitete er in einem NASA-Materialforschungsprogramm für die Raumfahrt, an dem später auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit drei Space Shuttle-Experimenten beteiligt war.

2004 stieg Fecht mit seinem Institutskollegen Dr. Rainer Wunderlich für das ThermoLab-Projekt in einen Airbus A
300 Zero-g, ein Spezialflugzeug für Parabelflüge. Nach dem Übertritt vom Scheitelpunkt in den Sturzflug entsteht für 15 bis 30 Sekunden ein Zustand der Schwerelosigkeit, den die Materialforscher für erste Null-Gravitationsexperimente mit einem frühen EML-Gerät nutzten, um Titan- und Nickel-Basis-Legierungen zu untersuchen. Zehn Jahre später schweben die Schmelzen im Weltall – im neu konstruierten Levitator.

Die empirischen Daten, die der EML zu den thermophysikalischen Eigenschaften spezieller Metallverbindungen liefert, helfen dabei, realitätsnahe Modelle von metallischen Gießprozessen zu entwickeln und Computersimulationen für industrielle Herstellungsprozesse durchzuführen. Untersucht werden können mit dieser Messanlage für Schmelzen im Prinzip alle elektrisch leitfähigen Flüssigkeiten. Besonders interessant für die Materialforschung sind flüssige Metalle und Legierungen mit hohem Schmelzpunkt. Aber auch dotierte Halbleitermaterialien auf Silicium- oder Germanium-Basis lassen sich mit dem EML analysieren.

Portrait von Prof. Hans Fecht
Prof. Hans Fecht
Flüssige Schmelze im Hochofen

Die vollautomatisierten Experimente werden von der Erde aus gesteuert

Ein erster Satz mit 18 sicher verpackten Material-Proben pro Kartusche kam zusammen mit den Astronauten an Bord der ISS. Mittlerweile nutzt das europäische ThermoLab-Team, das den EML betreibt, aber auch die Falcon-Trägerraketen aus Elon Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX, um weitere Probekartuschen zum Columbus-Labor der ISS zu bringen. Von der Erde aus, in Köln, werden die vollautomatisierten softwaregesteuerten Experimente gestartet und durchgeführt. Untersucht werden die Materialien mit hitzebeständigen Spezialgeräten wie Pyrometern und Thermoscannern, mit hochauflösenden Kameras und Instrumenten zur kontaktlosen Messung elektrischer Leitfähigkeit. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die am ThermoLab-Projekt der ESA beteiligt sind, interessieren sich insbesondere für die Kristallisationsprozesse bei der Erstarrung, weil diese entscheidend sind für spätere Materialeigenschaften wie Härte oder Temperaturbeständigkeit. Weiter analysiert werden Dichte und Viskosität, sowie Fließverhalten und Oberflächenspannung – alles in Abhängigkeit zur Temperatur.

 

Der Aufwand für die ThermoLab-Experimente, die über das DLR finanziert werden, ist enorm. Die Kosten sind exorbitant. Doch auch der Nutzen für Wissenschaft und Wirtschaft ist beträchtlich; die Forschung ist einerseits grundlagenorientiert, andererseits ausgerichtet auf die industrielle Anwendung. Es geht um die Entwicklung neuer Spezial-Produkte und Verfahren, um optimierte Produktionsprozesse und hochinnovative Einsatzgebiete – nicht nur in der Metall- und Halbleiterindustrie, sondern auch in Bereichen wie E-Mobilität, 3D-Druck oder neuartige Wasserstoffspeicher. Besonders gesucht: heiße Kandidaten für Nanogläser und Nanodrähte.

»Mit den Experimenten, die wir im Weltall über das Thermo-Lab-Projekt durchführen, wollen wir in erster Linie Probleme lösen, die wir auf der Erde haben. Auch wenn das ein oder andere Forschungsergebnis sicherlich dabei helfen wird, noch hitzebeständigere, robustere und leichtere Materialien für die Luft- und Raumfahrt zu entwickeln«, sagt Dr. Markus Mohr, der als Postdoc an diesem Forschungsprojekt beteiligt ist. Weltraumforschungsprojekte wie dieses sind außerdem ein schönes Beispiel für weltumspannende Forschung und Best Practice in Science. Beteiligt sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Europa, Kanada und den USA, aus Japan, Indien und mittlerweile auch aus China. Und nach einem Jahr gehören die Forschungsergebnisse der ganzen Menschheit!

Raumfähre dockt an der ISS an
Eine Raumfähre dockt an der ISS an

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Texte: Andrea Weber-Tuckermann

Fotos: Airbus Defence and Space, DLR, Uni Ulm, Panksvaouny/Shutterstock, Elvira Eberhardt, wikiimages/Pixabay

Video: Daniela Stang