Flugroboter als Lebensretter und Klimaforscher
Ulmer Ingenieure revolutionieren Radartechnik für Drohnen
Bei der Suche nach Lawinenopfern oder bei kontinuierlichen Klima-Messungen in unzugänglichen Gebieten stoßen mit Radartechnik ausgestattete Fahrzeuge und sogar Satelliten schnell an ihre Grenzen. Die flexible Lösung kommt aus Ulm: Uni-Ingenieurinnen und Ingenieure haben Radartechnik auf Flugroboter übertragen und ermöglichen so ungeahnte Einblicke in die Bio- und Kryosphäre. Im kürzlich eingeworbenen Graduiertenkolleg leisten sie sogar Pionierforschung in der Erdbeobachtung mit vernetzten Drohnenschwärmen.
Die Gefahr lauert in der irakischen Wüste, im Dschungel von Kolumbien oder in der Ukraine: Sprengkörper und explosive Kriegsreste haben laut „Landminen-Monitor“ alleine 2019 mehr als 5550 Opfer weltweit gefordert. Die Lokalisierung und Räumung solcher Minenfelder ist anspruchsvoll und gefährlich. Doch nun kommt Unterstützung aus der Luft: Mithilfe der Drohnen-gestützen Radartechnik können Forschende der Universität Ulm auch vergrabene Minen zuverlässig aufspüren.
Dabei ist die Geschichte der Drohnenforschung am Institut für Mikrowellentechnik noch jung. Als Institutsleiter Professor Christian Waldschmidt 2013 aus der Industrie an die Universität wechselte, galt er eigentlich als Experte für Automobilradare und Hochfrequenztechnik. Doch eines Tages wandten sich Drohnenhersteller mit einem drängenden Problem an den Ingenieur. „Noch vor fünf Jahren endete mancher Drohnenflug in Zäunen oder Stromnetzen. Denn die verbauten Videokameras konnten solche Hindernisse oder auch weiße Wände nicht erkennen. Zur Kollisionsvermeidung haben wir am Institut ein Konzept entwickelt, wie sich konventionelle Kameradrohnen mit bildgebender Radartechnik ausstatten lassen“, erinnert sich Waldschmidt. Das Problem der Drohnenhersteller war somit gelöst — und die Ingenieure hatten das große Potenzial der Flugroboter erkannt. Denn überall dort, wo Bodenfahrzeuge nicht mehr weiterkommen oder Satelliten an Flugbahnen gebunden sind, können mit Radartechnik ausgestattete Drohnen dreidimensionale Oberflächenmodelle der Erde erstellen. Auf diese Weise lassen sich unzugängliche oder gefährliche Gebiete zeitlich flexibel aus der Luft beobachten. Ein weiteres Anwendungsbeispiel ist die Rettung von Wildtieren vor Landmaschinen auf schlecht einsehbaren Feldern.
Radarwellen dringen aus der Luft in Böden ein
Mit der Oberflächenbeobachtung war ein erster Meilenstein in der Drohnen-Radartechnik erreicht, doch die Institutsmitarbeitenden wollten die Möglichkeiten der Radartechnik ausschöpfen und in verschiedene Bodentypen oder Materialien hineinschauen: „Um den großen Sprung zur Materialanalyse zu schaffen, haben wir Verfahren aus der Satellitenfernerkundung erstmals auf die Flugroboter übertragen – zu nennen ist insbesondere die Apertursynthese, bei der Einzelaufnahmen zusammengefügt werden“, erklärt Institutsleiter Waldschmidt. Hierfür dringen Radarwellen bei niedrigen Frequenzen in den Boden oder das Material ein. Im zweiten Schritt wird die entlang der Drohnen-Flugbahn aufgenommene Bilderreihe zu einer hochaufgelösten Abbildung zusammengefügt, in der zum Beispiel vergrabene Objekte erkennbar werden. „Noch vor drei Jahren hat ein Vertreter des US-Militärs bei einer unserer großen, internationalen Konferenzen vorgetragen, dass Drohnen und Apertursynthese nicht zusammenpassen. Dies können wir eindeutig widerlegen“, bekräftigt Waldschmidt.
Das besondere Ulmer Knowhow in der Radartechnik blieb auch dem Schweizer Unternehmer Urs Endress nicht verborgen. Von seiner Stiftung unterstützt, startete das Institut für Mikrowellentechnik 2016 das Projekt FindMine zur Landminensuche, an dem auch Forschende der Technischen Hochschule Ulm beteiligt sind. Mittlerweile gelingt es dem geschulten Team, zuverlässig Minenfelder aus der Luft aufzuspüren und vergrabene Sprengkörper zu identifizieren. Nach wie vor ist die wellenförmige Ausbreitung der Radarstrahlen in heterogenen Böden mit Wurzeln, Steinen und Wasser eine Herausforderung. Um unter solchen Bedingungen zuverlässig Minen zu identifizieren, analysieren die Ingenieure vom Flugroboter aufgenommene, tomographische 3D-Bilder mit eigens entwickelten Methoden der Signalverarbeitung. Aus Sicherheitsgründen können Professor Waldschmidt und sein Team derzeit nur auf einem Testfeld im Ulmer Süden trainieren, auf dem Attrappen in verschiedenen Bodentypen vergraben sind. Reale Einsätze der Ulmer Drohnen im Irak und in der Ukraine sind aber von der Urs Endress-Stiftung geplant. Womöglich werden Stiftungsmitarbeitende die Flugroboter vor Ort über potenziellen Minenfeldern steigen lassen und die gesammelten Daten zur Auswertung nach Ulm schicken.
Um den großen Sprung zur Materialanalyse zu schaffen, haben wir Verfahren aus der Satellitenfernerkundung erstmals auf die Flugroboter übertragen
Drohnenschwärme für die Erdbeobachtung
Derweil arbeiten die Ingenieurinnen und Ingenieure am Institut für Mikrowellentechnik am nächsten Coup: Mit ganzen Drohnenschwärmen wollen sie nichts weniger als völlig neue Messmöglichkeiten für die Geowissenschaften schaffen. Miteinander korrespondierende Flugroboter sollen hochaufgelöste, dreidimensionale Bilder erzeugen, mit denen zum Beispiel unter Eisschichten oder tief im Boden verdeckte Strukturen sichtbar werden. Doch wie gelingt es, die Einzelbilder der untereinander vernetzten Drohnen zusammenzuführen und effizient auszuwerten? Diese Frage steht im Mittelpunkt des neuen Graduiertenkollegs »Kooperative Apertursynthese für Radartomographie« (KoRaTo) der Universität Ulm und der FAU Erlangen-Nürnberg. Gemeinsam mit Nachwuchsforschenden in der Qualifikationsphase wollen erfahrene Wissenschaftler in den nächsten viereinhalb Jahren ergründen, wie sich riesige Datenmengen intelligent reduzieren und in verschiedensten Forschungsfeldern nutzen lassen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt mit 2,8 Millionen Euro.
Ziel der Pionierforschung im Graduiertenkolleg (GRK) sind korrespondierende Drohnenschwärme, die Erdmassebewegungen oder etwa die Lawinengefahr in einem Skigebiet kontinuierlich überwachen. Außerdem können die Flugroboter Daten für die Klimaforschung sammeln und Veränderungen bei der Bodenfeuchte, der Dicke von Eisschichten oder der Vegetationshöhe messen.
Bis zu 14 Promovierende und Postdocs werden ab Ende 2021 im Graduiertenkolleg ausgebildet. „Wer in dem Forschungsfeld erfolgreich sein will, sollte sowohl ein gutes Verständnis für Hardware und Radartechnik als auch für die Signalverarbeitung mitbringen. Dann steht einer Karriere in Wissenschaft oder Industrie nichts mehr im Weg“, erklärt GRK-Sprecher Christian Waldschmidt.
Bereits in etwa fünf Jahren soll die Drohnen-Radartechnik aus Ulm übrigens marktreif sein und von Bergwachten, Minensuchern oder Klimaforschenden eingesetzt werden.
Drohnenflug im Video
Text: Annika Bingman
Fotos: Elvira Eberhardt, Dimitris Vetsikos/Pixabay, Institut für Mikrowellentechnik