Die Rettung der Wildbienen

Wie Apps und Blühweiden bedrohten Insektenarten helfen sollen

In Deutschland leben 590 Wildbienenarten, die Hälfte von ihnen ist aber vom Aussterben bedroht. Forschende der Universität Ulm versuchen daher im Projekt BienABest herauszufinden, wie Wildbienen gerettet werden können – mit Hilfe von Bienenweiden ebenso wie mittels »Citizen Science«, wenn interessierte Laien das Bestimmen komplexer Bienenarten erlernen.

Der kleine Wiesenflecken wirkt, als hätte ein Hobbygärtner ihn vergessen. Johanniskraut und Königskerze recken zwar noch ihre Blüten in den grauen Himmel, drumherum sind aber viele Stauden und Gräser braun geworden und künden vom Herbst. Eine Hornisse streift umher, auf der Suche nach Nahrung. Besucher des Botanischen Gartens der Universität Ulm würden diesen Ort vielleicht auf der Suche nach interessanteren Beeten links liegen lassen. Aber die Begeisterung, mit der Professor Manfred Ayasse genau hier den Rundgang stoppt, deutet eines an: Eingeweihte sehen hier viel mehr, als es der Laie ahnt.

Experten ist schon lange klar, dass wir einen dramatischen Rückgang an Wildbienen haben, manche Arten sind bereits verschwunden

Das vermeintlich vernachlässigte Beet ist Teil des Forschungsprojekts BienABest: An insgesamt 20 Standorten in ganz Deutschland untersuchen Forscherinnen und Forscher, welche Arten von Wildbienen es dort gibt und wie ihre Bestände nicht nur gestützt, sondern am besten ausgeweitet werden können. Das durch das Bundesumweltministerium und das Bundesamt für Naturschutz geförderte Projekt ist auf sechs Jahre angelegt und läuft noch bis Ende April 2023. Aber die Zeit drängt. »Experten ist schon lange klar, dass wir einen dramatischen Rückgang an Wildbienen haben, manche Arten sind bereits verschwunden«, verdeutlicht Ayasse die Lage der Wildbienen. Zugleich berichtet er von einer ermutigenden Erkenntnis: »Es gibt Mittel und Wege, relativ schnell Erfolge zu erzielen, es ist auch noch Artenpotenzial an seltenen Wildbienenarten vorhanden.« Das ist einer der frühen Rückschlüsse aus BienABest.

 

Portrait von Prof. Manfred Ayasse
Prof. Manfred Ayasse

Das Thema Wildbienen ist für Manfred Ayasse schier unerschöpflich. Schon während seines Studiums befasste er sich mit Wildbienen, promovierte schließlich zu dieser Insektengruppe und blieb dieser vielfältigen Nische seither eng verbunden. »Ich habe als Entomologe begonnen und würde mich heute eher als Ökologen bezeichnen«, sagt er, zumal auch die vielfältigen Interaktionen der Bienen mit den Blütenpflanzen eines seiner Forschungsthemen sind. »Ich finde Insekten aber auch einfach schön«, sagt er und lächelt. Der Schutz der Wildbienen gehört zu seinen Schwerpunkten, seit Ayasse ans Ulmer Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik berufen wurde.

Gebänderte Pelzbiene auf Wundklee

Der Lebensraum von Wildbienen ist bedroht

Dabei könnte es Ayasse fast zum Verzweifeln zumute sein: Die Lebensräume von Wildbienen sind in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch geschrumpft. Zunehmend größere, intensiv genutzte Agrarflächen und der Einsatz von Pestiziden schränkten Wildbienen ebenso ein wie das Verschwinden blütenreicher Acker- und Straßenränder und der Trend zu aufgeräumten, fast sterilen Gärten. Die Wildbienen – das wird im Gespräch mit Ayasse klar – leiden unter dem Problem vieler Insektenarten: Wenn es schlecht läuft, wird ihr Nutzen für die Ökosysteme und schlussendlich für uns Menschen, erst erkannt sein, wenn sie vom Erdboden verschwunden sind. Das zu vermeiden, ist eines der Ziele von BienABest.

590 Wildbienenarten leben in Deutschland. Unter ihnen sind Hummeln die vielleicht noch bekannteste Gruppe mit allein rund drei Dutzend Arten. Ebenso, wie sie als eigenständige Insektenfamilie unterschätzt werden, wird auch vielfach die Arbeit verkannt, die Wildbienen leisten: Beim Pollensammeln bestäuben sie unzählige Pflanzen – auch Nutzpflanzen im Obstbau oder in der Landwirtschaft. Solche Aufgaben, die Flora und Fauna quasi beiläufig zum Nutzen der Menschen erledigen – die Sauerstoffproduktion von Pflanzen oder die Wasserreinigung in Waldböden gehören dazu – werden seit einigen Jahren unter dem Begriff Ökosystemdienstleistungen zusammengefasst. Bei der Bestäubung stehen Wildbienen in der Reihe der fleißigsten Dienstleister. Manche Arten hat die Evolution genau an bestimmte Pflanzen angepasst – finden diese Pflanzen keinen Raum mehr, ist auch die spezialisierte Bienenart zum Untergang verurteilt.

Wildbiene auf Blume

Gemeinsam für den Bienenschutz: Uni-Biologen und VDI

BienABest ist ein in zwei Arbeitspakete unterteiltes Verbundprojekt der Uni Ulm und des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Im so genannten Umsetzungsprojekt entwickeln Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Verfahren, um den Rückgang der Wildbienenbevölkerung zu stoppen und Wildbienenexperten auszubilden. Der VDI standardisiert diese Verfahren in Richtlinien, um sie in der Breite anwendbar zu machen und ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. An den 20 Versuchsstandorten in Deutschland haben die Forscherinnen und Forscher der Uni Ulm mit Hilfe spezieller Samenmischungen insgesamt 60 sogenannte Blühweiden angelegt. Dabei werden Basismischungen, die neben Wildkräutern beispielsweise auch den blütenreichen Ackersenf enthalten, mit standortheimischen Pflanzen ergänzt, die in den verschiedenen Regionen stark differieren können.
Dadurch soll nicht nur die örtliche Artenvielfalt gestützt werden, sondern auch die oft nur regional vertretenen Wildbienen ihre bevorzugten Pflanzen finden, an die sie zum Teil verblüffend gut angepasst sind.

Der Ansatz ist, solche jeweils einen Drittel Hektar großen Blühweiden auf landwirtschaftlichen Flächen anzulegen. Die Landwirte erhalten für ihre Arbeit eine Förderung, immerhin müssen sie die Bienenweiden zu bestimmten Zeitpunkten mähen. So sollen Anreize entstehen, für das Überleben der Wildbienen aktiv zu werden. »Manche Wildbienenarten legen nur wenige Hundert Meter zurück«, erklärt Professor Ayasse. »Daher könnten solche >Trittsteine< auch in weithin intensiv genutzter Landschaft Lebensräume bieten. Immerhin würden die Wildbienen auch hier für ihre Bestäubungsleistungen gebraucht. Hilfreich wäre zudem, wenn Straßenränder als Blühstreifen fungieren und so als Korridore für die Insekten dienen könnten«, sagt der Wissenschaftler. Auch die Funktion von Nisthügeln für in der Erde nistende Wildbienen wird in BienABest untersucht.

Selbst, wenn mancherorts noch zahlreiche Wildbienenarten vorkommen – die Bestimmung der Insekten ist eine Herausforderung. »Wildbienen sind schwierig zu unterscheiden, selbst Expertinnen und Experten stoßen da an ihre Grenzen«, sagt Ayasse. Hinzu kommt: Bislang wurden Insekten zur Bestimmung in der Regel getötet. Im Projekt BienABest ist auch eine Methode zur Lebendbestimmung der Tiere entwickelt worden. Dafür fangen Forschende die Tiere auf den Versuchsflächen und geben sie in einen so genannten Bestimmungswürfel.  Hierbei handelt es sich um einen kleinen Glaskubus, an einer Seite offen, in dem das Insekt behutsam mittels eines Stücks Schaumstoff fixiert und betrachtet werden kann. Sind alle Merkmale erfasst, wird das Tier wieder freigelassen. Anhand von arttypischen Bestimmungsmerkmalen können die Wildbienen genau zugeordnet werden.

Screenshot mit Anschauungsbeispiele aus der Wildbienen-App
Anschauungsbeispiele aus der Wildbienen-App
Vorstellung der Wildbienen-App
Vorstellung der Wildbienen-App (v.l.): Prof. Manfred Ayasse (Uni Ulm), Dr. Ljuba Woppowa (VDI) und Dr. Peter Mullen (Sunbird Images) mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze

Um diese wichtige Monitoring-Arbeit künftig flächendeckend gewährleisten zu können, gibt es im BienABest-Projekt auch eigens entwickelte Schulungen, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowohl Kenntnisse über Wildbienen als auch über deren Lebensräume und Nahrungspflanzen vermittelt bekommen. In einem Grundlagenkurs lernen Anfängerinnen und Anfänger, wie Wildbienen präpariert werden und wie sie verschiedene Gattungen verlässlich bestimmen können, im Aufbaukurs befassen sie sich dann mit den schwieriger einzuordnenden Arten.

Entwickelt wurde zudem die App »Wildbienen ID BienABest«, mit deren Hilfe auch Laien die 100 häufigsten Wildbienenarten Deutschlands bestimmen können. »Diese App wurde im Juni von unserer Umweltministerin Svenja Schulze vorgestellt und mittlerweile gibt es bereits 10 000 Downloads«, freut sich Ayasse über das Interesse an der Wildbienennische. Ein Expertenmodus mit 300 Arten soll das Angebot ergänzen, das dank hochaufgelöster Fotos auch die Vielfalt und Faszination der Wildbienen verdeutlicht.

Text: Jens Eber

Fotos: Elvira Eberhardt, Hans Schwenninger, Sebastian Bänsch