Top-Standort für Traumaforschung
Der Ulmer SFB 1149 schafft es in die dritte Phase
Die Ulmer Universitätsmedizin sichert erfolgreich ihren Anspruch als Top-Standort in der Traumaforschung: Der Sonderforschungsbereich (SFB) zur Trauma-Medizin wird im Spätherbst 2022 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum zweiten Mal verlängert. Für die dritte Förderphase von 2023 bis 2026 erhält der Trauma-SFB 1149 wiederum mehr als 11 Millionen Euro. Profitieren von den Ergebnissen der Ulmer Forschung werden in Zukunft schwerstverletzte Menschen überall auf der Welt.
Gebrochene Knochen, zerquetschte Muskeln, gerissene Sehnen, mehrere verletzte Organe und vielfach zerstörtes Gewebe: Meist sind es Verkehrs- oder Arbeitsunfälle, die zu schweren Mehrfachverletzungen führen. Aber auch Naturkatastrophen, Kriegshandlungen und private Schusswaffen verursachen Schwer- und Schwerstverletzungen. »Nicht nur die Verletzungen selbst und der hohe Blutverlust sind für den Körper eine enorme Belastung. Auch die zellulären ›Aufräumarbeiten‹ fordern vom Organismus ihren Tribut«, erklärt SFB-Sprecher Professor Florian Gebhard, Ärztlicher Direktor der Ulmer Universitätsklinik für Unfall-, Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie. Fresszellen bahnen sich ihren Weg ins beschädigte Gewebe und zersetzen es in seine organischen Bestandteile, die abtransportiert und wiederverwertet oder beseitigt werden müssen. Überall sind Zytokine und Entzündungsfaktoren aktiv und bilden weitreichende Alarmierungsnetzwerke, die allerdings oft dazu neigen, das Immunsystem zu überfordern.
Unser Ziel ist es, bessere Therapien für die effektive Behandlung von Schwerstverletzungen zu entwickeln
»Bei Schwerstverletzten kommt es häufig zu sogenannten Ganzkörperentzündungen mit mehrfachem Organversagen, und die Betroffenen sterben«, sagt Professor Markus Huber-Lang, Direktor des Instituts für Klinische und Experimentelle Trauma-Immunologie und Co-Sprecher des SFB. Im Sonderforschungsbereich 1149 »Gefahrenantwort, Störfaktoren und regeneratives Potential nach akutem Trauma« ergründen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Medizin und den Lebenswissenschaften deshalb, wie solche hochkomplexen Gefahrenantworten des Körpers auf schwere Verletzungen zustande kommen – und zwar auf molekularer, zellulärer sowie auf Organ- und Organismus-Ebene. Der Forschungsverbund umfasst 19 zumeist interdisziplinäre Teilprojekte. Beteiligt daran sind insgesamt 20 Institute und Forschungseinrichtungen aus Ulm, zwei Drittel der Arbeitsgruppen gehören dem Universitätsklinikum an, ein Drittel der Universität.
Ebenfalls untersucht werden im Trauma-SFB sogenannte Störfaktoren, die den Heilungsverlauf beeinträchtigen und zu langfristigen Komplikationen führen können. Wie wirken sich beispielsweise Begleiterkrankungen oder ein ungesunder Lebensstil auf zelluläre Regenerationsprozesse aus? Welche Rolle spielen psychische Faktoren für den Heilungsverlauf? In der dritten Förderphase wurde das Spektrum der Störfaktoren erweitert; es umfasst jetzt die gesamte Lebensspanne. Einbezogen werden erstmals frühkindliche psychische Belastungen, aber auch altersassoziierte Erkrankungen wie Diabetes, Atherosklerose, Osteoporose oder Morbus Parkinson.
Besonders im Zentrum des Trauma-SFB steht die Frage, wie sich das Regenerationspotential voll ausreizen und der Heilungsprozess therapeutisch fördern lässt. »Dies setzt voraus, dass wir verstehen, wie die akute Schadensbekämpfung und die Regeneration von Gewebeschäden abläuft und wie sie auf zellulärer und molekularer Ebene gesteuert wird«, sagt Professorin Anita Ignatius. Die Direktorin des Instituts für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik ist ebenfalls Co-Sprecherin des SFB. Außerdem ist es wichtig, die Pathomechanismen zu verstehen, die dafür verantwortlich sind, dass die Gefahrenantwort des Körpers auf schwere Verletzungen für den Organismus selbst zur Gefahr wird; beispielsweise im Falle einer Ganzkörperentzündung, bei der – wie bereits erwähnt – das Überschießen des Immunsystems lebensgefährliche Folgen haben kann.
Im Fokus des Sonderforschungsbereichs liegen besonders häufige Verletzungsmuster wie Schädel-Hirn-Trauma, Thoraxtrauma oder größere Frakturen. »Unser Ziel ist es, bessere Therapien für die effektive Behandlung solcher Verletzungen zu entwickeln«, erklären die Hauptantragstellenden den translationalen Ansatz des SFBs. In vielen Teilprojekten geht es deshalb darum, neue Behandlungsansätze präklinisch zu erproben. Doch auch die Grundlagenforschung kommt im SFB nicht zu kurz.
Der Sonderforschungsbereich 1149 »Danger Response, Disturbance Factors and Regenerative Potential after Acute Trauma« wurde 2014 erstmals bewilligt. Für die erste Förderphase (2015 bis 2018) erhielt der Trauma- SFB von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 11,2 Mio. Euro. In der zweiten Förderphase (2019 bis 2022) gab es noch einmal 10,6 Mio. Euro. Für die dritte und letzte Phase (2023 bis 2026) hat die DFG nun 11,1 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Insgesamt sind das rund 33 Mio. Euro.
Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des SFB 1149 gelingt es mit ihren transdisziplinären und klinikübergreifenden Projekten außerdem, die Trauma-Medizin in einer bislang ungekannten thematischen Breite neu zu denken und umfassend zu bearbeiten, bestätigen die Gutachterinnen und Gutachter. Was die DFG noch beeindruckt hat, ist die enorm hohe Frauenquote. So wird fast die Hälfte (46%) aller Projekte von Frauen geleitet. »Dies ist auch das Resultat unserer Nachwuchsförderung, und darauf sind wir ebenfalls sehr stolz«, bestätigen Gebhard, Huber-Lang und Ignatius.
Wissenschaftliche Exzellenz, von der verletzte Menschen direkt profitieren
»Ganz nach dem Motto der Uni ›Grenzen überwinden‹ forschen unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Trauma-SFB klinikübergreifend und über Fachbereichsgrenzen hinweg. Das Ergebnis ist wissenschaftliche Exzellenz, die der medizinischen Versorgung schwer- und schwerstverletzter Menschen zugutekommt«, so Professor Michael Weber, Präsident der Universität Ulm. »Die erneute Verlängerung des Trauma-SFBs, der von den Gutachtern mit Spitzennoten versehen wurde, unterstreicht eindrucksvoll die nationale und internationale Sichtbarkeit der Ulmer Traumaforschung«, betont Professor Thomas Wirth, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm. Wie fest dieser Forschungsschwerpunkt an der Universität Ulm etabliert ist, manifestiert sich auch baulich auf dem Campus der Uni – in Form des Forschungsneubaus für »Multidimensionale Traumawissenschaften«, der Tag für Tag mehr Gestalt annimmt. Das multimodale Spezialgebäude, das den Anforderungen modernster Life Science-Forschung bestens gerecht wird, ist die neue Heimat der Ulmer Traumaforschung. In den nächsten zwei bis drei Jahren werden dort zahlreiche Arbeitsgruppen des Trauma-SFBs einziehen. Außerdem wird dort das Zentrum für Traumaforschung (ZTF), das 2015 nach der Erstbewilligung des SFBs gegründet wurde, seinen neuen Sitz haben. Die Erfolgsgeschichte geht also weiter.
Text: Andrea Weber-Tuckermann
Fotos: Heiko Grandel/Uniklinikum Ulm