Innovative Arbeiten zwischen Stress- und Alternsforschung:
Wissenschaftspreis der Stadt Ulm für Prof. Iris-Tatjana Kolassa
Für ihre exzellente Forschung zu traumatischem Stress und Veränderungen des alternden Gehirns hat Professorin Iris-Tatjana Kolassa bei der traditionellen Schwörfeier den Wissenschaftspreis der Stadt Ulm erhalten. Kolassa leitet seit 2010 die Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie an der Universität Ulm. Ihre Forschung verbindet Verhaltenswissenschaften und Biomedizin: Die 33-Jährige untersucht zum Beispiel, welchen Einfluss genetische Faktoren bei Posttraumatischen Belastungsstörungen haben. Darunter versteht man wiederkehrende Albträume und Flashbacks nach einem oder mehreren schrecklichen Erlebnissen – zum Beispiel im Krieg. „Wie wirkt sich traumatischer Stress auf Psyche, Gehirn und Immunsystem aus?“ ist eine wichtige Frage. In der Alternsforschung widmet sich die Psychologin Veränderungen im Gehirn von gesunden und demenzkranken Senioren. Übergeordnetes Forschungsziel ist eine Verzögerung des geistigen Abbaus.
Molekulare Hintergründe der Posttraumatischen Belastungsstörung
Ein aktuell wichtiges Forschungsprojekt sind Untersuchungen an Flüchtlingen, die in Deutschland leben, sowie Überlebenden des ruandischen Genozids und des ugandischen Bürgerkriegs. Als Folge der Posttraumatischen Belastungsstörung ist ihr allgemeiner Gesundheitszustand oft schlecht. Sie sind besonders anfällig für Herz-Kreislauf-Störungen, Infektionen und Autoimmunerkrankungen.
Iris-Tatjana Kolassa ist es erstmals gelungen, Zusammenhänge zwischen der Belastungsstörung und krankmachenden Veränderungen auf molekularer Zellebene herzustellen: Personen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung weisen eine verminderte Anzahl bestimmter Immunzellen auf (naive zytotoxische T-Zellen und regulatorische T-Zellen). So lässt sich ihre erhöhte Anfälligkeit für Infekte und Autoimmunerkrankungen erklären.
Zudem zeigte Kolassa, dass Menschen unter chronischem Stress strukturelle Schäden in der Erbsubstanz ihrer Blutzellen aufweisen, was die Entwicklung von Krebserkrankungen begünstigen kann. Allerdings können bereits zehn Stunden traumafokussierte Psychotherapie Symptome der Belastungsstörung und ebenso das Ausmaß struktureller Zellschädigungen auf molekularer Ebene lindern.
Generell steigt das Risiko einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit der Anzahl traumatischer Erlebnisse, so dass Überlebende des ruandischen Genozids nahezu alle unter chronischem Stress stehen. Einige Personen entwickeln jedoch bereits bei niedriger Stresslast die typischen Symptome. Iris-Tatjana Kolassa hat die Ursache entdeckt: die besonders anfälligen Personen erleben die Kehrseite eines genetisch bedingten guten Gedächtnisses.
Thema mit Zukunft: Alternsforschung
Stress- und Kolassas zweiter Schwerpunkt Alternsforschung scheinen auf den ersten Blick nicht viel gemein zu haben. Die Arbeit der Psychologin zeigt jedoch zunehmend, dass traumatischer Stress Menschen vorzeitig altern lässt. Allerdings gibt es auch hier Abhilfe: In einer kürzlich veröffentlichen Studie haben Kolassa und ihre Arbeitsgruppe gezeigt, dass ein körperliches Fitnesstraining die geistige Leistungsfähigkeit dementer Senioren in nur zehn Wochen verbessern kann. Die Kontrollgruppe baute im gleichen Zeitraum weiter kognitiv ab.
Professorin Iris-Tatjana Kolassa hat in Konstanz Psychologie studiert und in Jena promoviert. Die zweifache Mutter leitete eine Emmy-Noether Nachwuchsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und hat den Förderpreis der „Falk-von-Reichenbach-Stiftung, Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie“ erhalten. Seit 2007 ist die Psychologin Mitglied im WIN-Kolleg und seit 2010 Kollegiatin der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
Kürzlich hat Kolassa den „Janet Taylor Spence Award for Transformative Early Career Contributions“ in Chicago entgegengenommen. Mit diesem Preis der amerikanischen Fachgesellschaft „Association for Psychological Science“ (APS) werden vielversprechende junge Wissenschaftler für ihre neuartige und kreative Forschung ausgezeichnet.
Der Wissenschaftspreis der Stadt Ulm wird seit 1971 alle zwei Jahre für hervorragende wissenschaftliche Leistungen von Personen, Forschungs- oder Arbeitsgruppen vergeben. Bewerben können sich bevorzugt jüngere Forscher, die mit der Universität oder Hochschule Ulm assoziiert sind. In diesem Jahr teilt sich Professorin Iris-Tatjana Kolassa den mit 15 000 Euro dotierten Preis mit Professor Thomas Walter von der Hochschule Ulm (Fakultät Mechatronik und Medizintechnik). Walter wird für seine Forschungsarbeit zum Thema „Radarsensorik und –signaturen und deren Einsatz im automobilen Umfeld“ ausgezeichnet.
Von Annika Bingmann