Zusammenfassung der Forschungsaktivitäten
Prozesse an Oberflächen spielen eine wichtige Rolle in vielen Bereichen. Chemische Reaktionen finden oft nur auf Katalysatoroberflächen mit der gewünschten Effizienz statt; Korrosionsprozesse begrenzen die Lebensdauer von Bauteilen, wobei man dies durch Vergütungen verhindern kann; die Herstellung von Halbleiterbauelementen läuft häufig über Wachstums- und Diffusionsprozesse and Oberflächen ab.
Dies sind nur einige Beispiele, die die technologische Bedeutung von Oberflächen illustrieren. Im Institut für Theoretische Chemie versucht man, die mikroskopischen Grundlagen der Struktur von Oberflächen und ihrer Wechselwirkung mit Atomen und Molekülen zu verstehen. Im ersten Schritt werden dabei Elektronenstrukturrechnungen mit Hilfe der Dichtefunktionaltheorie (DFT, Nobelpreis für Chemie 1998, Walter Kohn) durchgeführt. Diese Rechnungen erlauben die Bestimmung von Gesamtenergien, von denen Gleichgewichtsstrukturen und Wechselwirkungspotentiale abgeleitet werden können. Dabei ermöglicht die Analyse der elektronische Struktur, die grundlegenden Prinzipien abzuleiten, die zu den jeweiligen Strukturen und Prozesse führen.
In einem zweiten Schritt werden dann die Informationen aus den DFT-Rechnungen benutzt, um dynamische Prozesse wie Adsorption, Dissoziation und Desorption zu simulieren, wobei sowohl klassische, semiklassische und quantenmechanische Verfahren eingesetzt werden. Damit kann dann einvollständiges Bild von Reaktionen auf Oberflächen gewonnen werden.
Die Veränderung der Reaktivität von Metalloberflächen aufgrund mechanischer Belastung oder durch Beschichtung mit dünnen Filmen stellt einen besonderen Forschungsschwerpunkt dar, der in enger Zusammenarbeit mit experimentellen Arbeitsgruppen untersucht wird. Bei bimetallischen Schichtsystemen treten einerseits mechanische Verspannungen aufgrund der unterschiedlichen Gitterkonstanten auf. Andererseits ergeben sich Veränderungen der elektronischen Struktur durch die Wechselwirkung der beiden verschiedenen Metalle. In den Rechnungen kann man diese beiden Effekte, im Gegensatz zum Experiment, durch geschickte Wahl der untersuchten Strukturen trennen. Dies führt zu einem tieferen Verständnis der reaktivitätsbestimmenden Faktoren. Ganz konkret werden Platin/Ruthenium- und Palladium/Gold-Schichtstrukturen untersucht, die von besonderer Bedeutung für die heterogene Katalyse und für Brennstoffzellen sind.
Daneben werden aber auch metallische Nanostrukturen und ihre Adsorptionseigenschaften berechnet, um einen Zusammenhang zwischen Struktur und Reaktivität herzustellen. Ein Ziel der theoretischen Untersuchung solch realistischer Systeme ist es, zur Herstellung verbesserter Katalysatoren beizutragen. Allerdings werden in der Arbeitsgruppe auch konkrete Fragestellungen mit industrieller Relevanz bearbeitet. In einer Zusammenarbeit mit einem großem Lampenhersteller wird die Änderung der Elektronenaustrittsarbeit von beschichteten Wolframelektroden untersucht, um effizientere Hochdruck-Gasentladungslampen herzustellen. Am anderen Ende des Spektrums ist ein Projekt, in dem die elektronische Struktur kleiner Aminosäuren, die auf Graphitoberflächen aufgebracht sind, bestimmt wird, um deren Manipulation mit Rastersondenmethoden zu unterstützen.
Ein weiteren Forschungsschwerpunkt stellt die Simulation dynamischer Prozesse an Oberflächen dar. So konnten die mikroskopischen Details der molekularen Adsorption von Sauerstoff auf Platinoberflächen aufgeklärt werden. Dieser vermeintlich einfache Prozesses, der für den Abgaskatalysator von großer Bedeutung ist, war vorher noch nicht vollständig verstanden. Für die Beschreibung der Adsorption und Desorption von Wasserstoff müssen aufgrund der kleinen Masse quantenmechanische Verfahren eingesetzt werden. Dabei ist insbesondere die Stereodynamik untersucht worden. Ein wichtiges Feld, das noch in den Kinderschuhen steckt, ist die Behandlung von Reaktionen an Oberflächen mit elektronischen Übergängen. Hier wurde ein gemischt klassisch-quantenmechanisches Verfahren weiterentwickelt, das die hochdimensionale Simulation von Laser-induzierten Reaktionen an Oberflächen ermöglicht.
Neben der technologischen Ausrichtung kommt aber auch die Untersuchung fundamentaler physikalische Fragestellungen nicht zu kurz. So sind zum Beispiel die Quantenphänomene in der Dynamik von Wasserstoff bestimmt worden. Weiterhin werden mikroskopische Modelle entwickelt, die die elektronische Wechselwirkung an Oberflächen beschreiben. Dieses Spannungsfeld zwischen am Experiment und der Anwendung orientierter Simulationen und der Ableitung fundamentaler physikalischer und chemischer Prinzipien macht den besonderen Reiz der theoretischen Oberflächenphysik aus.
Besonders aktuell sind in letzter Zeit Untersuchungen zur elektrochemischen Energiewandlung und -speicherung. Theoretisch stellen Strukturen und Prozesse an elektrochemischen Grenzflächen eine große Herausforderung dar. Wir unternehmen erste Schritte, um solche Systeme mit ab initio Elektronenstrukturverfahren zu untersuchen.