Die Vermutung der Wissenschaftler: Die Vorliebe der Blumenfledermäuse für Nektar hat sich im Laufe der Evolution zwei Mal unabhängig voneinander entwickelt und dabei wurden vollkommen verschiedene Mechanismen der Nektaraufnahme perfektioniert. Ihre in Panama und in der Ulmer Fledermaus-Haltung gewonnenen Erkenntnisse haben die Biologen vom Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik im Journal „Science Advances“ veröffentlicht.
Neotropische Blumenfledermäuse ernähren sich von nächtlich blühenden Blüten, die sie während des Besuches bestäuben. Dazu haben diese Bewohner Mittel- und Südamerikas Zungen ausgebildet, die sie bis zu körperweit aus dem Maul strecken können. Die meisten Blumenfledermäuse fliegen Blüten in einem kurzen Schwirrflug an und lecken sie dann mit ihrer Pinselzunge aus, die mit haarförmigen Papillen besetzt ist. „Schon seit einiger Zeit wissen wir, dass eine Gruppe von Arten keine derart behaarte Zunge hat. Dafür weist ihre Zunge seitliche Kanäle auf, deren Funktion bisher unbekannt war“, erklärt Professor Tschapka. Um dieser Auffälligkeit auf den Grund zu gehen, setzten die Biologen im Flugkäfig der Forschungsstation Bocas del Toro des Smithsonian Tropical Research Institutes in Panama Highspeed-Kameras ein. So konnten sie die Nahrungsaufnahme der nachtaktiven Säuger an künstlichen Blüten mit unterschiedlichen Tiefen beobachten.
Bei Säugetieren einzigartiger Trinkmechanismus
Die Auswertung des Bildmaterials zeigte zwei deutlich verschiedene Bewegungsabläufe bei den Blumenfledermaus-Gruppen. Zum einen der bekannte Leckverlauf, bei dem die Tiere ihre Zunge in die Nektarflüssigkeit tunken und komplett wieder in die Mundhöhle zurückziehen. Bei dieser Bewegung bleibt Nektar zwischen den haarförmigen Papillen kleben, der dann verschluckt werden kann. Während eines einzigen Blütenanfluges werden in rascher Folge vier bis sechs solcher Leckbewegungen durchgeführt. Bei anderen Arten filmten die Forscher dagegen einen bisher unbekannten Mechanismus: „Die Zungenspitze wird zu Beginn des Trinkvorgangs in den Nektar getaucht und bleibt während des gesamten Anflugs in Kontakt mit der Flüssigkeit. Dabei wird der Nektar über seitliche Kanäle der Zunge ins Maul befördert. Verformungen dieser Zungen-Kanäle lassen auf Pumpbewegungen schließen“, erklärt Mirjam Knörnschild. Ein solcher Pumpmechanismus sei bisher bei keiner anderen Säugetierart beschrieben worden. Die ebenfalls untersuchte Trinkeffizienz zeigte – nicht überraschend – dass beide Gruppen leichter aus Kunstblüten trinken konnten, die fast bis zum Rand mit Nektar gefüllt waren. „Tiefe“ Blüten bereiteten hingegen Probleme.
Insgesamt stützen diese sehr unterschiedlichen Trinkmechanismen – Nektar lecken und Nektar pumpen – bestehende molekulare Verwandtschaftsanalysen, die zeigen, dass sich zwei nektarliebende Fledermaus-Gruppen unabhängig voneinander entwickelt haben. „Womöglich bevorzugen Arten mit unterschiedlichen Zungen verschiedene Blüten. Pinselzungen könnten besonders für Blüten geeignet sein, in denen Nektar in kleinen Mengen verteilt über unterschiedliche Stellen abgegeben wird. Der Pumpmechanismus bietet hingegen eher Vorteile bei Blüten, die an einer Stelle konzentriert große Nektartropfen absondern“, so Tschapka. Den Biologen werden die Fragestellungen also nicht ausgehen.
Filmmaterial:
Movie S1: Nectar lapping in Glossophaga soricina (Detail). In each lapping cycle hairlike papillae trap a nectar coating around the tongue that is transported into the mouth (nectar presented 20 mm below the feeder opening; time expansion 75 x)
Movie S2: Feeding Lonchophylla robusta (Overview), illustrating the constant contact between the tongue and nectar throughout the entire visit (nectar level 20 mm; time expansion 50 x).
Movie S3: Tongue of Lonchophylla robusta (Detail, lateral view). Nectar is transported through the canal through pumping movements of the canal structures (nectar level 20 mm; time expansion 75 x).
Movie S4: Tongue of Lonchophylla robusta, near maximum extension (Detail, lateral view). Feeding is even possible when only the tip of the tongue is in contact with the nectar, as illustrated by nectar appearing in the canal starting at 00:13 s (nectar level ca. 38 mm; time expansion 75 x).
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann