Bisher sind alle Versuche, Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie als Quantentheorie zu formulieren, gescheitert. Diese Unvereinbarkeit nährt Spekulationen, ob die Quantenwissenschaft der richtige Rahmen für eine ultimative Theorie oder sogar die „Weltformel“ sein kann. Nun öffnet Dr. Ludovico Lami, derzeit Humboldt Research Fellow in Albert Einsteins Geburtsstadt, einen Türspalt zu Post-Quantentheorien. Mit internationalen Fachkollegen hat der Stipendiat am Institut für Theoretische Physik der Uni Ulm eine mathematische Verbindung zwischen Superposition, Verschränkung und Quantenkryptographie hergestellt – und das ganz ohne Quantenmechanik. Die Erkenntnisse zwischen Physik und Mathematik sind im Fachjournal „Physical Review Letters“ (PRL) erschienen.
Superposition, Verschränkung und Quantenkryptographie: Alle Physikstudierenden lernen diese Konzepte in ihrer Ausbildung kennen. Praktische Anwendungen reichen von hochleistungsfähigen Messinstrumenten über das Quantencomputing bis zum abhörsicheren Informationsaustausch über geheime Schlüssel. Bisher basierte die einzige mathematische Verbindung auf der Quantenmechanik. Bereits während seiner Doktorarbeit an der Universitat Autὸnoma in Barcelona begann sich Dr. Ludovico Lami jedoch zu fragen, ob es eine theorieunabhängige Querverbindung zwischen Verschränkung und Überlagerung (Superposition) geben kann. „Ich hatte mich mit so genannten GPTs befasst, mit denen sich physikalische Fragestellungen ohne zu viele Annahmen über den zugrundeliegenden theoretischen Rahmen beantworten lassen. Eine mathematische Vermutung, die beide Phänomene verbindet, war auch schnell aufgestellt – doch sie erwies sich als sehr schwer lösbar“, erinnert sich der Humboldt Research Fellow an der Uni Ulm. Bald fand er heraus, dass sich ein Wissenschaftler namens George Barker bereits in den 1970-er Jahren mit diesem mathematischen Problem befasst hat – doch seit über 45 Jahren gab es keinen Fortschritt.
Durch internationale Zusammenarbeit zum Erfolg
Ludovico Lami ließ also seine internationalen Kontakte spielen und suchte Hilfe bei den Fachkollegen Dr. Carlos Palazuelos in Madrid und Dr. Guillaume Aubrun in Lyon, der maßgebliche Impulse gab. Mit einer Mischung aus Konvex-Geometrie, und Funktionalanalysis gelang es ihnen, einige Sonderformen der Barker’schen Vermutung zu lösen. Doch erst die Zusammenarbeit mit Dr. Martin Plávala aus Bratislava (jetzt Universität Siegen) brachte den Durchbruch: „Dank einer Erweiterung des Spektrums um Algebra schafften wir es, nach zwei Wochen intensiver Arbeit die Vermutung zu bestätigen. Es war ein inspirierender Moment“, erzählt Lami. Den Wissenschaftlern war es also erstmals gelungen, eine Verbindung zwischen den drei physikalischen Konzepten ganz ohne Quantenmechanik herzustellen. Diese Entdeckung könnte an den Grundfesten der Physik rütteln, denn sie ist theorieunabhängig und womöglich universell gültig. „In jeglicher physikalischer Theorie kann es den einen Effekt nicht ohne den anderen geben. Sobald Überlagerung stattfindet, kommt auch Verschränkung vor. Und jedes dieser Phänomene erlaubt den Informationsaustausch via Quantenkryptographie“, betonen die Forschenden. Diese Erkenntnis könnte den Weg zu Post-Quantentheorien ebnen, deren Notwendigkeit zum Beispiel durch die Unvereinbarkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik begründet ist. Im Fachjournal PRL wurde die Publikation als „Editor’s suggestion“ hervorgehoben.
Dr. Ludovico Lami, der in Pisa studiert und zuvor an der University of Nottingham geforscht hat, ist seit Ende 2020 Humboldt Research Fellow an der Universität Ulm. Seitdem forscht er wiederholt am Institut für Theoretische Physik und hat die Möglichkeit, zu internationalen Konferenzen und Kooperationspartnern zu reisen. Der 32-jährige Italiener hat sich explizit für die Universität Ulm entschieden: „Professor Martin Plenio ist in meinem Fachgebiet sehr bekannt und ein angesehener Experte für Quantenverschränkung“, so Lami. Institutsleiter Martin Plenio ist selbst als Alexander von Humboldt-Professor im Jahr 2009 von Großbritannien nach Ulm gewechselt.
Über Humboldt-Forschungsstipendien
Mit Humboldt-Forschungsstipendien werden überdurchschnittlich qualifizierte Postdocs oder erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt unterstützt. Ein solches Stipendium ermöglicht langfristige Forschungsaufenthalte von insgesamt bis zu 24 Monaten in Deutschland. Gastgeber und Forschungsprojekt dürfen die Humboldt Research Fellows selbst wählen. Über den Aufenthalt hinaus bleiben die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Stiftung und ihren Gastgebern über die Alumniförderung verbunden.
Publikationsnachweis:
Guillaume Aubrun, Ludovico Lami, Carlos Palazuelos, and Martin Plávala. Entanglement and Superposition Are Equivalent Concepts in Any Physical Theory. Phys. Rev. Lett. 128, 160402 – Published 22 April 2022. DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.128.160402
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann