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Mit dem Duftstoff-Navi zum Nektar
Blüten manipulieren „stehlende“ Hummeln für bessere Bestäubung

Universität Ulm

Duftstoffe von Blüten wirken nicht nur über die Luft, sondern auch als Geschmacksstoffe im Nektar. Das hat ein deutsch-US-amerikanisches Forschungsteam unter Leitung der Universität Ulm herausgefunden. Es konnte zeigen, dass Springkraut-Blüten Hummeln mit einem ausgeklügelten chemischen Leitsystem zum Nektar führen. Mit dieser raffinierten Strategie verhindern die Pflanzen auch, dass die Insekten nur den Nektar stehlen, ohne ihre Arbeit als Bestäuberinnen zu verrichten. Die Ergebnisse der Studie wurden im renommierten Fachjournal Current Biology veröffentlicht.  

Wenn im jetzt beginnenden Frühjahr wieder Bienen, darunter auch Hummeln, und andere Insekten durch Gärten und Parks summen, folgen sie einem ausgeklügelten chemischen Leitsystem: Um Bestäuber anzulocken und ihnen den Weg zu Pollen und Nektar zu weisen, geben Blüten leichtflüchtige organische Substanzen als Duftstoffe ab, und zwar nicht nur in die Luft, sondern auch in den Nektar: Bienen und Hummeln können diese nämlich nicht nur riechen, sondern dank zahlreicher Sinneszellen an ihren Mundwerkzeugen auch schmecken. Diese zweifache Funktion wurde bislang kaum wissenschaftlich untersucht. Ein internationales Team um die Ulmer Forschenden Kim Heuel, Dr. Hannah Burger und Professor Manfred Ayasse konnte jetzt nachweisen, dass sich Duftstoffe in Pflanzenarten mit komplexen Blüten räumlich verteilen und manche flüchtigen organischen Verbindungen nur im Nektar vorkommen.

„Wir konnten erstmals zeigen, dass Pflanzen eine Art chemosensorische Landkarte in ihren Blüten anlegen“, erläutert Erstautorin Kim Heuel. „Bestimmte Duftstoffe – manche zum Riechen, andere zum Schmecken – kommen ausschließlich im Nektar vor und leiten die Bestäuber wie ein Navigationssystem zum Ziel.“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten nordamerikanische Springkraut-Arten mit einem gebogenen Nektarsporn sowie deren typische Bestäuber, die Hummelart Bombus impatiens. Während einige Hummeln tief in die Blüte kriechen, um an den Nektar zu gelangen, und dabei auch gleich die Bestäubung erledigen, nehmen andere eine Abkürzung: Sie beißen von außen ein Loch in den Nektarsporn. So werden sie zu „Nektardieben“, denn die Blüten werden dabei nicht bestäubt.

Diebstahlsicherung schützt vor Nektardieben
Doch die Springkräuter haben eine Art Diebstahlsicherung eingebaut. In aufwändigen Verhaltensexperimenten mit unerfahrenen Hummeln, die zum ersten Mal Blüten erkunden, stellten die Forschenden fest, dass die Insekten unterschiedlich auf die flüchtigen organischen Verbindungen reagieren  – je nachdem, ob sie diese als Duft- oder Geschmacksstoff wahrnehmen. „Typische Nektarduftstoffe wie Vanillin schmeckten den Hummeln gut, während sie die Duftstoffe aus anderen Blütenteilen wie dem Nektarsporn eher mieden“, so Dr. Hannah Burger vom Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik der Uni Ulm, die die Studie koordiniert hat. „Diese räumliche Verteilung der flüchtigen organischen Verbindungen fördert die Bestäubung und schreckt Nektardiebe durch unangenehm schmeckende Substanzen in der Blütenwand ab“, erklärt Dr. Burger. „Die Pflanzen haben eine Art chemischen Türsteher entwickelt.“

Die Bedeutung der Entdeckung geht über die untersuchten Arten hinaus. Die Ergebnisse zeigen, dass Blütenduftstoffe auch als Geschmackssignale eine wichtige Rolle in der Kommunikation zwischen Pflanzen und ihren Bestäubern spielen. „Bisher hat die Wissenschaft die Rolle von Duftstoffen als Geschmackssignale unterschätzt“, betont der Ulmer Bienenexperte und Mitkoordinator der Studie, Professor Manfred Ayasse. „Die Erkenntnisse eröffnen völlig neue Forschungsfelder in der Sinnes- und Verhaltensbiologie von Bestäubern und nicht-bestäubenden Gegenspielern.“

Die Studie entstand im Rahmen von Kim Heuels Masterarbeit am Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik der Universität Ulm. Die Analyse der Blütenduftstoffe führte sie gemeinsam mit Professor Robert Raguso an der Cornell University in den USA durch. Professor Robert Gegear von der University of Massachusetts steuerte seine Expertise in der Verhaltensökologie von Bestäubern bei. Für die interdisziplinär angelegten Untersuchungen nutzte das Team modernste Analysemethoden zur Identifizierung von leichtflüchtigen organischen Substanzen.

Das Projekt wurde unter anderem durch das Mentorshipprogramm des Zukunftskollegs der Universität Konstanz und durch PROMOS-Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) gefördert.


Publikationshinweis:
Kim C. Heuel, Robert A. Raguso, Emma Coogan, River Mallick, Kirsten J. Keleher, Manfred Ayasse, Robert J. Gegear, Hannah Burger: Spatial partitioning of floral volatiles provides a “chemosensory roadmap” for bumblebee pollinators. Current Biology, 2025, ISSN 0960-9822
https://doi.org/10.1016/j.cub.2025.02.010

Weitere Informationen:
Dr. Hannah Burger, Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik, Mail: info(at)hannah-burger.de

Text und Medienkontakt: Christine Liebhardt

Standbilder eines Videos, das Zeigt, wie eine Hummel eine Springkraut-Blüte anfliegt
Auf den Standbildern einer Videoaufnahme ist zu sehen, wie Hummeln, die das erste Mal Kontakt mit Springkraut-Blüten haben, diese mit ihren Mundwerkzeugen erkunden. Dabei beißen sie in die Blüten und können leichtflüchtige organische Substanzen schmecken (Standbilder: Prof. Dr. Robert Gegear)
Die gelborangene Blüte des Springkrauts Impatiens capensis
Die nordamerikanischen Springkräuter-Arten - hier Impatiens capensis - haben komplexe Blüten, in die Bestäuber tief hineinkriechen müssen, um an den Nektar zu gelangen (Foto: Prof. Dr. Robert Raguso)