Mit der „Maske“, die einen Teil ihres Gesichts bedeckt, schützen sich die Männchen der Fledermausart Centurio senex wohl weder vor Viren, noch feiern sie Karneval. Über die ungewöhnliche Gesichtsbedeckung der Tiere war bisher ebenso wenig bekannt wie über das Sozialverhalten der extrem seltenen Säuger. Ausgerechnet in einer Hotelanlage machten Forschende der Universidad de Costa Rica (UCR) und der Universität Ulm sensationelle Beobachtungen: Über mehrere Wochen konnten sie das nächtliche Balzverhalten sowie die Gesänge der Greisengesichter, so der deutsche Name der Tiere, aufzeichnen und analysieren. Unter dem Titel „the masked seducers“ (die maskierten Verführer) haben sie ihre Beobachtungen jetzt im Fachjournal PLOS ONE veröffentlicht.
„Die fruchtfressende Fledermaus Centurio senex ist so selten, dass viele Forschende sie nie zu Gesicht bekommen – obwohl ihr Verbreitungsgebiet von Mexiko bis in den Norden Südamerikas reicht“, erklärt Professor Marco Tschapka vom Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik der Universität Ulm. Dabei fallen vor allem die Männchen auf: Über die untere Hälfte ihres von Runzeln durchzogenen Gesichtes mit den großen, grünlichen Augen können sie eine Hautfalte ziehen, die an die aktuell allgegenwärtigen Schutzmasken erinnert. Die Entdeckung costa-ricanischer Tourguides im Herbst 2018 war also spektakulär: Im Wald einer Hotelanlage hatten sie mit ihren Smartphones außergewöhnliche Fledertiere fotografiert, die von dem Säugetierspezialisten Professor Bernal Rodríguez-Herrera (UCR) als Centurio senex identifiziert wurden. Daraufhin fuhr Marco Tschapka, der gerade das Tropenökologische Praktikum der Uni Ulm im Regenwald Costa Ricas beendet hatte, sofort zum Sichtungsort in der Provinz Alajuela. Und tatsächlich: An einem Froschteich hatte sich eine Gruppe männlicher Greisengesichter zu einer Balzarena zusammengefunden. Erstaunlicherweise blieben die sechs bis sieben Zentimeter großen Tiere ihrem Hangplatz über sechs Wochen treu und erlaubten den Forschenden so erstmals Einblicke in ihr Liebesleben.
Männchen schließen sich zu seltener "Balzarena" zusammen
Um die seltenen Fledermäuse so wenig wie möglich zu stören, wurden die Tiere nicht gefangen und ihr Balzverhalten ausschließlich mit Lautaufnahmegeräten und Infrarotvideokameras dokumentiert. Die Aufnahmen zeigen, dass Männchen an ihrem Hangplatz immer wieder von anderen Fledermäusen angeflogen werden und darauf mit heftigem Flügelschlagen sowie mit lauten Rufen reagieren. Darüber hinaus zeichneten die Forschenden für das menschliche Gehör nicht wahrnehmbare Ultraschallgesänge auf. „Dieses Material lässt vermuten, dass die maskierten Sänger vor allem mit musikalischen Einlagen um die Gunst der Weibchen wetteifern“, erklärt der Biologie-Professor Marco Tschapka.
Balzarenen, zu denen sich mehrere singende Männchen zusammenfinden, um sich gemeinsam den Weibchen zu präsentieren, seien bei Fledermäusen äußerst selten und aus der Familie der Neuwelt-Blattnasen, zu der Centurio senex zählt, bisher gar nicht bekannt. Im Bioakustik-Labor der Universität Ulm hat die Doktorandin Gloria Gessinger die Gesänge analysiert. Werden die mit bloßem Ohr nicht wahrnehmbaren Laute elektronisch in den hörbaren Bereich übertragen, vernimmt man leises Getriller, das bei Damenbesuch von Flügelschlagen begleitet wird und schließlich mit einem sehr lauten, schrillen Schrei endet. „Insbesondere der Einsatz von hörbarem Flügelschlägen in der sozialen Kommunikation ist bei Fledermäusen ungewöhnlich“, betont Gessinger.
Welche Rolle spielt die Maske bei der Fortpflanzung?
Zumindest einer der Meistersänger war mit dieser Taktik in der Balzarena erfolgreich: Videoaufnahmen zeigen, wie er von einem Weibchen auserwählt wird. Die Besucherin schwirrt noch kurz vor dem singenden Männchen, bevor sie sich zu ihm gesellt und es ohne weitere Umschweife zur Paarung kommt. „Die Weibchen von Centurio senex haben ebenfalls ein runzeliges Gesicht, nicht aber die charakteristische Hautfaltenmaske unter dem Kinn. Daher muss diese mit den Geschlechterrollen während der Fortpflanzung zusammenhängen – zumal die Männchen während des Balzgesangs ,maskiert‘ sind“, erläutert Tschapka. Um diese Wissenslücke um die Bedeutung der „Maske“ zu schließen und um beispielsweise nach Duftstoffen in dieser Hautfalte zu suchen, sind weitere Untersuchungen nötig – was sich aufgrund der Seltenheit von Centurio senex schwierig gestaltet. Im Herbst 2019 hofften die Forschenden auf ein Wiedersehen mit den Tieren am gleichen Ort in Costa Rica, wurden jedoch enttäuscht. „Immerhin kennen wir nun die Gesänge von Centurio senex und könnten diese Laute mit unserem Bat Detector im Wald aufspüren“, so Bernal Rodríguez-Herrera.
Die jetzt veröffentlichten Felddaten sind größtenteils durch Professor Bernal Rodríguez-Herrera und seine Studierenden von der Universidad de Costa Rica erhoben worden. Die Analyse erfolgte in enger Kooperation mit der Universität Ulm. Bereits seit 1987 besteht in der Biologie eine enge Kooperation und ein Studierendenaustausch zwischen der Universität Ulm und der UCR, der vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert wird.
B. Rodríguez-Herrera, R. Sánchez-Calderón, V. Madrigal-Elizondo, P. Rodríguez, J. Villalobos, E. Hernández, D. Zamora-Mejías, G. Gessinger & M. Tschapka. 2020. The masked seducers: Lek courtship behavior in the Wrinkle-faced bat Centurio senex (Phyllostomidae). PLOS ONE https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal. pone.0241063
Zu Fledermäusen
Die Beobachtungen zur kuriosen Balz der Greisengesichter unterstreichen die biologische Vielfalt der Fledermäuse, einer Tiergruppe, die gerade in der letzten Zeit durch den Ursprung des neuartigen Coronavirus Schlagzeilen machte. Die artenreichen Fledermäuse erfüllen in den globalen Ökosystemen Funktionen, die auch für uns Menschen essenziell sind. Hier, in den temperaten Zonen, sind sie wertvolle Insektenvertilger, in den Tropen zusätzlich aber auch wichtige Bestäuber und Samenausbreiter, die bedeutend für den Erhalt der Regenwälder und deren Funktion als CO2-Speicher sind. Aktuell bedrohen die zunehmende Umweltzerstörung und der Klimawandel nicht nur die Lebensräume der Greisengesichter, sondern auch die vieler anderer Tier- und Pflanzenarten.
Text undMedienkontakt: Annika Bingmann