Die größte Herausforderung für die Wissenschaft besteht wohl darin, Grenzen zu überschreiten. Mit Professor William E. Moerner war einer der ganz großen Grenzüberschreiter zu Gast bei der letzten ULM LECTURE im Jubiläumsjahr. Der amerikanische Physiker und Chemie-Nobelpreisträger füllte Anfang November den Saal im Ulmer Stadthaus bis auf den letzten Platz und faszinierte das Publikum mit einem gleichermaßen anspruchsvollen wie anschaulichen Vortrag zu einem doch recht sperrigen Thema: der Einzelmolekülspektroskopie.
William E. Moerner, Professor für Chemie und für angewandte Physik an der Stanford University, gilt als einer der Gründerväter der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie. Zusammen mit Professor Eric Betzig und Professor Stefan Hell wurde er 2014 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Unabhängig voneinander und auf ganz unterschiedliche Art gelang es den drei Wissenschaftlern, Strukturen in biologischen Proben sichtbar zu machen, die um ein Vielfaches kleiner waren als 200 Nanometer. Alle drei griffen dabei auf eine fluoreszenzbasierte Form der Lichtmikroskopie zurück und durchbrachen damit eine Grenze, die bis dahin als unüberwindbar galt. So hatte bereits der deutsche Physiker Ernst Abbe im Jahr 1873 postuliert, dass die Lichtmikroskopie niemals Strukturen sichtbar machen könne, die kleiner sind als die halbe Wellenlänge des Lichts.
Biomoleküle zum Blinken zu bringen
Moerner, der nicht nur von seinen Kollegen mit den englischen Initialen W.E. ("Dabbelju-I") angesprochen wird, war dabei als erster Wissenschaftler in der Lage, die Fluoreszenzstrahlung eines einzelnen Moleküls zu detektieren. Gemeinsam mit Kollegen ist es ihm in seiner Zeit bei IBM im Almaden Research Center in San Jose gelungen, Moleküle mit Hilfe fluoreszierender Substanzen zum Blinken zu bringen. "Die Herausforderung bestand darin, die Fluoreszenzsignale einzelner Moleküle gezielt ein- und auszuschalten", erklärte der 1953 in Kalifornien geborene Wissenschaftler. Und wie daraus ein Bild entsteht, das Aufschluss gibt über die Form und Struktur von Biomolekülen oder Zellbestandteilen veranschaulichte er auf ganz besonders einleuchtende Art: mit Hilfe von Glühwürmchen. "Stellen Sie sich einmal vor, dass ganz viele dieser Leuchtinsekten auf den Ästen eines - blattlosen - Baumes sitzen und diese abwechselnd blinken. Wenn Sie davon eine Langzeitaufnahme machen, die jedes Blinklicht erfasst, können Sie anhand der Lichtmuster Astformen und Baumstrukturen sehr gut erkennen", erklärte der Physiker.
Moerner wurde bereits 2010 bei den "Simpsons" als Nobelpreiskandidat gehandelt
Diese Form der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie macht es heute möglich, biologische Strukturen und Einzelmoleküle mit einer Auflösung zwischen 20 und 40 Nanometer zu beobachten. Sie ist daher aus der biologischen und medizinischen Grundlagenforschung nicht mehr wegzudenken. So zeigte Moerner an konkreten Beispielen, wie man damit die dreidimensionale Form von Bakterienproteinen oder die Struktur krankheitsauslösenden Amyloid-Fibrillen sichtbar machen kann. Wie Nobel-preiswürdig dessen Forschung ist, hatten übrigens bereits 2010 die Macher der TV-Serie "Die Simpsons" erkannt. Beim Nobelpreisträger-Raten hatte Barts Freund auf W.E. Moerner getippt. "Noch schöner, als den Nobelpreis zu bekommen, ist es, von Milhouse dafür vorgeschlagen zu werden", witzelte der Amerikaner.
"Science is not an alternative fact and it´s no fake news!"
Sehr ernst wurde der Nobelpreisträger hingegen zum Ende seines Vortrages, der mit langanhaltendem Applaus quittiert wurde. Er rief dazu auf, Wissenschaft und Forschung, die an vielen Orten der Welt unter Beschuss geraten sei, zu verteidigen. "Science is essential. Science is not an alternative fact and it´s no fake news!", so Moerner wörtlich. Ganz offensichtlich waren diese Worte an den amerikanischen Präsidenten Donald Trump und dessen Gesinnungsgenossen gerichtet. Und auch für die Studierenden und Doktoranden hatte der Nobelpreisträger einen Appell parat: "Find your passion, ask how things work!". So frustrierend der wissenschaftliche Alltag auch sein könne, so wichtig sei es, die Augen immer offen für Überraschungen zu lassen und auch aus dem Scheitern zu lernen.
Zum Abschluss dankte Universitätspräsident Professor Michael Weber dem amerikanischen Gast mit einem echten Württemberger Wein für dessen faszinierende Einblicke in die Nanowelt. Beim gemeinsamen Abendessen danach nahm auch der kurz zuvor aus Frankfurt angereiste US-Generalkonsul James W. Herman teil. Dieser demonstrierte sehr eindrucksvoll, wie gut sich die US-amerikanische Politik mit deutschem Bier diskutieren lässt. Kurzerhand bestellte er für seinen Landsmann Moerner, der gerne einen regionalen Wein probiert hätte, ein dunkles Hefeweizen.
Spezialvorlesung am Vormittag
Nach Ulm geholt hatte den Nobelpreisträger übrigens Professor Peter Reineker. Der Seniorprofessor vom Institut für Quantenoptik kennt Moerner aus der gemeinsamen Zeit im Almaden Research Center von IBM. Bereits am Vormittag hatte der Nobelpreisträger in einer von dem Ulmer Biophysiker Jens Michaelis moderierten Spezialvorlesung für Wissenschaftler des neuen Sonderforschungsbereichs SFB1729, der sich mit dem menschlichen Peptidom und dessen Nutzung für medizinische Anwendungen beschäftigt, detaillierter über neuste Forschungsarbeiten zur superauflösenden Mikroskopie berichtet.
Text: Andrea Weber-Tuckermann