Mit dem Dies academicus startete die Universität Ulm am Freitagvormittag in die zweite Hälfte ihres ersten Jahrhunderts. In seiner Begrüßung zog Universitätspräsident Professor Michael Weber eine erfolgreiche Bilanz des Universitätsjubiläums und kündigte an, den Schwung und Erfolgsformate wie die ULM Lectures ins Jahr 2018 mitzunehmen. Die Voraussetzungen sind hervorragend: 2017 konnte das Drittmittelaufkommen leicht gesteigert werden und liegt nun „jenseits der 90-Millionen-Euro-Marke“.
Zudem hat die Universität mit Anträgen aus der Batterieforschung und Quantentechnologie bei der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder überzeugt und darf in diesen Bereichen Vollanträge für Exzellenzcluster stellen. Eine dritte Antragskizze zur Traumaforschung war dieses Mal – trotz überwiegend positiver Bewertungen durch die Gutachter – nicht erfolgreich. Die Universität Ulm wird aber selbstverständlich an diesem Schwerpunkt festhalten und jede Gelegenheit nutzen, um ihre Spitzenstellung in der physischen und psychischen Traumatologie zu behaupten. Im Fall einer Förderung beider Exzellenzcluster kündigte Weber eine Bewerbung bei der zweiten Förderlinie des bundesweiten Wettbewerbs an, in der „Exzellenzuniversitäten“ gekürt werden.
Gemeinsam mit den Hochschulen Biberach, Neu-Ulm und Ulm konnte die Ulmer Uni bereits 2017 einen Erfolg bei der Bund-Länder-Förderinitiative „Innovative Hochschule“ verbuchen, die sich als Ergänzung zur Exzellenzstrategie an kleinere Universitäten und Hochschulen richtet. Mit rund 15 Millionen Euro wird der hochschulübergreifende Verbund InnoSÜD für den Wissens- und Technologietransfer gefördert. „Die Universität Ulm entwickelt sich wirklich prächtig – und darauf können wir stolz sein“, betonte der Präsident.
Weitere positive Entwicklungen der letzten Monate über die Weber berichtete, umfassten die Verlängerung des Graduiertenkollegs „Cellular and Molecular Mechanisms of Aging“ (CEMMA), die Einweihung des Supermikroskops SALVE sowie Richtfest beziehungsweise Spatenstich des Zentrums für Quanten-Biowissenschaften (ZQB) und des Trainingshospitals „To train U“.
Zudem informierte der Präsident über einen neuen Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) an der Universität Ulm, an dem die Erkrankungen Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Frontotemporale Demenz (FTD) und Morbus Huntington erforscht werden sollen. Die DZNE-Mitgliederversammlung habe dem Standort in Ulm zugestimmt und somit bekomme Ulm ein zweites Helmholtz-Institut. Am 28. Februar, dem Tag der seltenen Erkrankungen, werde der Vertrag symbolisch bei der Eröffnungsfeier unterzeichnet. „Sie sehen: Unser Forscherdrang ist ungebrochen: Die Uni baut an sich selbst, denn Hightech-Standorte wie die Ulmer Universität und die Wissenschaftsstadt dürfen nicht still stehen“, resümierte Weber.
Preisverleihungen beim Festakt
Für ihre Kooperation mit dem Ravensburger Spieleverlag wurden Professorin Iris-Tatjana Kolassa, Patrick Fissler (Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie) sowie Professorin Christine von Arnim, Abteilung für Neurologie und Klinik für Neurogeriatrie und neurologische Rehabilitation (RKU), ausgezeichnet. Gemeinsam erforschen sie das Puzzeln als kognitives Training und als Entspannungstechnik. Im Projekt „Jigsaw Puzzles As Cognitive Enrichment“ (PACE) zeigte sich, dass das Puzzeln zahlreiche kognitive Fähigkeiten, darunter schlussfolgerndes Denken, Aufmerksamkeit und Gedächtnis, beansprucht. Zudem waren die kognitiven Fähigkeiten bei Erwachsenen ebenso wie die aktuelle psychische Gesundheit umso besser, je mehr sie in ihrem Leben gepuzzelt hatten. Derzeit wird untersucht, ob Erwachsene, die mit dem Puzzeln beginnen, davon kognitiv und psychisch profitieren können. Die Gruppe konnte auch zeigen, dass ein Puzzle-Test das Potenzial hat, geistige Abbauprozesse früher zu erkennen als bisherige Demenzscreenings.
Einen weiteren Kooperationspreis erhält Professor Knut Graichen vom Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik für seine Zusammenarbeit mit der Motoren- und Turbinen-Union (MTU) Friedrichshafen, einem der führenden Hersteller von Schwerlast-Dieselmotoren. Auf solche technisch komplexen Dieselmotoren, die zum Beispiel in Zugwägen, Yachten und Notstromgeneratoren eingesetzt werden, lassen sich klassische Verfahren der Regelungstechnik kaum anwenden. Gemeinsam mit der MTU hat Graichen nun ein prädiktives Verfahren entwickelt, das die ganzheitliche Regelung von Schwerlast-Dieselmotoren ermöglicht. Dabei werden die teils gegensätzlichen Ziele Verbrauchsoptimierung, dynamisches Ansprechverhalten und die Beschränkung von Emissionen bestmöglich erfüllt. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Regelungskonzeptes konnte bereits unter realen Testbedingungen an einem Dieselgroßmotor demonstriert werden. Im Zuge der Kooperation werden weiterhin „Lernverfahren“ für den optimalen Betrieb von Dieselmotoren entwickelt.
Bereits seit 2009 arbeitet der Chemiker Professor Boris Mizaikoff mit dem Labor Dr. Merk & Kollegen in Ochsenhausen zusammen. Inhalt der Kooperation ist die Entwicklung synthetischer Erkennungsmaterialien auf Basis molekular geprägter Polymere, die in der biotechnologischen Produktion zur gezielten Abreicherung von Proteasen und somit zum Schutz des Produktes beziehungsweise dessen Aufreinigung eingesetzt werden. Dafür werden die Partner beim Dies academicus mit dem dritten Kooperationspreis ausgezeichnet.
Mit der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) beforscht Dr. Vera Münch die häufigste Blutkrebserkrankung im Kindes- und Jugendalter. Obwohl mittlerweile 80 Prozent der Patienten erfolgreich therapiert werden können, ist die (auch prophylaktische) Behandlung des Zentralen Nervensystems (ZNS) nach wie vor herausfordernd und von schweren Nebenwirkungen begleitet. Vera Münch ist es nun gelungen, Signalwege aufzudecken, die zur Entstehung einer ZNS-Leukämie führen. Als Ergebnis von Genexpressions- und molekularbiologischen Analysen hat sie gezeigt, dass eine gegen den Wachstumsfaktor VEGF gerichtete Therapie die ZNS-ALL nebenwirkungsarm behandeln könnte. Für diese Entdeckung erhält sie beim Dies academicus den Franziska-Kolb-Preis zur Förderung der Leukämieforschung2018 in Höhe von 8000 Euro.
Die Preisträgerinnen des Mileva Einstein-Marić-Preises2017 der Universität Ulm (je 2500 Euro) vereinbaren ihre wissenschaftliche Arbeit hervorragend mit den Familienpflichten. Die gebürtige Palästinenserin Montaha Anjass kam 2013 nach Deutschland, um den Masterstudiengang Advanced Materials zu absolvieren. Nach ihrer hervorragenden Abschlussarbeit am Helmholtz-Institut Ulm für elektrochemische Energiespeicherung (HIU) zur „Batterieforschung“ steht die technologische Materialentwicklung im Zentrum ihrer aktuellen wissenschaftlichen Arbeit am Institut für anorganische Chemie I. Ihre herausfordernde Promotionsarbeit bringt Montaha Anjass mit der Erziehung ihrer drei Kinder und der Integration in die deutsche Forschungs- und Soziallandschaft in Einklang.
Die zweite Preisträgerin, PD Dr. Heike Rudolph, ist ebenfalls Mutter von drei Kindern und Oberärztin an der Klinik für Zahnärztliche Prothetik, wo sie den Bereich Forschung leitet. 2016 habilitierte sie sich im Fach Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und überzeugt durch ihr Engagement in der Lehre, indem sie unter anderem die Vorlesung zur Werkstoffkunde überarbeitete. Beide Forscherinnen sind herausragende Beispiele für Nachwuchswissenschaftlerinnen mit Familienaufgaben.
Neben Forschungsleistungen wurde beim Dies academicus auch hervorragende Lehre gewürdigt: Die Professorinnen Gerlinde Fellner-Röhling und Sandra Ludwig vom Institut für Wirtschaftswissenschaften sind mit dem Lehrpreis 2017 der Universität Ulm (4000 Euro) ausgezeichnet worden. Die Wissenschaftlerinnen haben Hörsaalexperimente eingeführt, mit denen Studierende in ökonomische Entscheidungssituationen versetzt werden. Typische Beispiele reichen vom Handel auf Märkten über Auktionen bis zur strategischen Positionierung eines Unternehmens am Markt. Diese Experimente helfen Studierenden, die abstrakte ökonomische Theorie praxisnah zu verstehen.
Weiterhin zeichnete Professorin Irene Bouw, Vizepräsidentin für Lehre und Internationales, das Organisationsteam des Festival contre le racismemit dem Ulmer Universitätssonderpreis für herausragendes studentisches Engagement2017 über 500 Euro aus. Mit Vorträgen, Führungen, Konzerten und Diskussionsrunden informiert die jährliche Veranstaltung über Fremdenfeindlichkeit sowie andere menschenverachtende Einstellungen und will für den allgegenwärtigen Rassismus in der Gesellschaft sensibilisieren. Seit 2016 wird das Festival, das auf eine Kampagne an französischen Universitäten zurückgeht, auch in Ulm/Neu-Ulm ehrenamtlich und meist von Studierenden organsiert. Das nächste Festival ist vom 11. bis zum 24. Juni geplant.
Antrittsvorlesungen aus Medizin und Psychologie
Neben den Preisverleihungen stellten relativ neu berufene Forscherpersönlichkeiten ihre Schwerpunkte vor. Der Mediziner Professor Reiner Siebert, Direktor des Instituts für Humangenetik, gab Einblicke in seine wissenschaftliche und klinische Arbeit. Dabei sprach er nicht nur über den Einfluss genetischer und epigenetischer Veränderungen bei der Krankheitsentstehung. Siebert thematisierte auch Beratungssituationen in der klinisch-genetischen Praxis sowie die Bedeutung humangenetischer Befunde für die personalisierte Medizin. Ein Schwerpunkt des Instituts für Humangenetik liegt auf Krebserkrankungen: Professor Siebert berät unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hinsichtlich der Bedeutung genetischer Veränderungen für die Klassifikation von Lymphomen und Leukämien und ist Projektkoordinator im internationalen Krebskonsortium.
Über emotionale und motivationale Determinanten menschlichen Verhaltens und Erlebens in den beiden Anwendungsfeldern der Ulmer Psychologie „Mensch und Technik“ sowie „Mensch und Gesundheit“ referierte hingegen Professorin Cornelia Herbert. In ihrer Antrittsvorlesung thematisierte die Leiterin der Abteilung für Angewandte Emotions- und Motivationspsychologie ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte – von der Wahrnehmung und Regulation von Emotionen durch Sprache bis zur Auswirkung sportlicher Aktivität auf die physische und psychische Gesundheit Studierender. Weiterhin verdeutlichte die Psychologin, wie ihre wissenschaftliche Arbeit für die Entwicklung technischer Assistenz- und Kommunikationssystem genutzt werden kann, und wie sie zur Erforschung emotionaler Beeinträchtigungen bei Personen mit psychischen Erkrankungen beiträgt. Beide Vortragenden waren von den Dekanen ihrer jeweiligen Fakultäten, Professor Thomas Wirth und Professor Frank Kargl, vorgestellt worden.
Der Dies academicus wurde von einem Ensemble des Universitätsorchesters begleitet und mündete in einem Empfang.
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann