Mitwirkende am Projekt „Medicine and Migration“
Prof. Dr. Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm
Warum war die Durchführung des Projekts "Migration and Medicine" wichtig?
„Die medizinische Versorgung von Geflüchteten ist ein zentrales gesellschaftliches Thema. Geflüchtete sind Teil unserer Bevölkerung. Jeder Mensch hat ein Recht auf eine medizinische Basisversorgung. Diese ist überall in der Welt sicherzustellen. Zugleich ist es eine große Herausforderung für das Gesundheitssystem, kultursensibel eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau zu gewährleisten.“
Dr. Giovanni Rubeis, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Ulm
Warum muss von Politik und Medizin mehr Aufmerksamkeit auf die medizinische Versorgung von Geflüchteten gelegt werden?
„Geflüchtete sind eine besonders vulnerable Gruppe. Zum einen haben sie einen vergleichsweise hohen Bedarf an medizinischer Versorgung. Zum anderen sind die Zugangshürden zu Versorgungleistungen für Geflüchtete oftmals sehr hoch. Somit steht der hohe Versorgungsbedarf einem stark eingeschränkten Versorgungsangebot gegenüber. Diese Situation ist aus medizinethischer Sicht nicht hinnehmbar. Hier müssen Politik und Medizin zusammenarbeiten, um eine bedarfsorientierte Versorgung zu gewährleisten.“
Dr. Katharina Weilert, Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST), Institute for Interdisciplinary Studies
Was machte die internationale Zusammenarbeit an diesem Projekt so bereichernd?
„Die internationale Zusammenarbeit mit (Nachwuchs-)Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Ländern ermöglicht, dass sich der eigene Blick weitet, hin zu neuen Perspektiven. Gerade die Organisation des Gesundheitssystems ist durch politische und kulturelle Unterschiede in den einzelnen Ländern je anders organisiert. Im Diskurs können die eigenen Ansichten neu überdacht werden, um bei der Bewältigung eines globalen Problems verschiedene Wege auszuloten und Lösungsansätze darzulegen.“
Dr. Robert Doricic, Faculty of Medicine, Department of Social Sciences and Medical Humanities, Universität von Rijeka, Kroatien
Was hat die internationale Zusammenarbeit bei diesem Projekt so bereichert?
„Dieses Projekt ermöglichte es, die Probleme von Migrantinnen und Migranten aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Gerade in der Vielfalt von Ansätzen sowie in der Heterogenität der vorgestellten Untersuchungen zu aktuellen Problemen von Migranten in diesen europäischen Zielgebieten finde ich den größten Wert für ein besseres Verständnis dieses Themas, insbesondere angesichts der Tatsache, dass ich aus Kroatien komme - in erster Linie ein Transitland auf den modernen Migrantenrouten.“
Pranab Rudra, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm
Warum war die Durchführung des Projekts "Migration and Medicine" so wichtig?
„Als bangalischer Einwanderer mit medizinisch-naturwissenschaftlichem Hintergrund, empfand ich es als wichtig, an dem Projekt teilzunehmen. Ich wollte das Arzt-Patienten-Verhältnis meines Heimatlandes mit Deutschland vergleichen. Daher wählte ich ein Thema, in dem insbesondere das paternalistische Modell und die partizipative Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patienten ausführlich behandelt wurden. Die wichtigste Erkenntnis war für mich persönlich, dass kein ideales Modell auf alle Kulturen und alle Gesellschaften anwendbar ist.“
Dr. Pedro Alejandro Villarreal Lizárraga, Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, Heidelberg
Warum war die Durchführung des Projekts "Migration and Medicine" wichtig?
„Die Zusammenarbeit betrifft per se ein multinationales Phänomen. In meinem eigenen Forschungsbereich, nämlich Völkerrecht und grenzüberschreitende Krankheiten sowie COVID-19, muss ich mich oft mit Fragen beschäftigen, bei denen die Lösungen von Problemen keinem einzelnen Staat oder Wissensgebiet zuzuordnen sind. Stattdessen ist es nötig, internationale und fachübergreifende Perspektiven zu fördern. Dafür hat in diesem Projekt der Austausch von Ideen mit Kollegen von verschiedenen Bereichen und Länder einen großen Mehrwert dargestellt.“
Vera Vogel, Düsseldorf University, LVR Clinic for Psychosomatic Medicine and Psychotherapy
Warum muss von Politik und Medizin mehr Aufmerksamkeit auf die medizinische Versorgung von Geflüchteten gelegt werden?
„In einem sozialen Bundesstaat sollte jeder Mensch ein Recht auf Gesundheit haben, unabhängig von seinem Aufenthaltstitel. Nicht nur die Behandlung akuter oder lebensbedrohlicher Erkrankungen sollte im Fokus stehen, sondern auch chronische Verläufe, da gerade diese die Lebensqualität erheblich einschränken. Psychische Erkrankungen spielen hierbei eine wichtige Rolle. Geflüchtete Menschen sind aufgrund ihrer Lebensgeschichte besonders vulnerabel. Ohne eine adäquate Versorgung ist eine Integration in die Gesellschaft des Zielstaates kaum vorstellbar.“
Associate Prof. Dr. Ivana Tucak, University of Josip Juraj Strossmayer of Osijek, Faculty of Law, Osijek, Kroatien
Warum muss von Politik und Medizin mehr Aufmerksamkeit auf die medizinische Versorgung von Geflüchteten gelegt werden?
„Migration ist eines der Hauptmerkmale der modernen Welt. Im Jahr 2015 konfrontierte eine neue Einwanderungswelle die europäischen Länder mit kulturellem Pluralismus, der eine Reihe neuer Herausforderungen für Pflegekräfte und Gesundheitsdienstleister darstellte. Nach empirischen Untersuchungen beeinflusst die kulturelle Zugehörigkeit eines Patienten seine Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit und folglich seine Fähigkeit, Entscheidungen über seine eigene Gesundheit zu treffen. Aus diesem Grund müssen Politik und Medizin Patienten aus einer nichtwestlichen Kultur besondere Aufmerksamkeit widmen.“
Tamara Schwertel, Siegen University, Department of Social Sciences
Was hat die internationale Zusammenarbeit bei diesem Projekt so bereichert?
„Der interdisziplinäre Austausch mit internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war sehr bereichernd. Auch einmal über die deutschen Diskurse und politischen Strukturen hinauszuschauen und diverse, andere kritische Perspektiven kennenzulernen, hat mir gut gefallen. So konnte ich für mein Forschungsprojekt einige spannende Impulse mitnehmen. Ich bin immer noch mit einigen Beteiligten im Austausch und diskutiere mit diesen über Herausforderungen verschiedener Gesundheitssysteme und die Bedeutung des Status „Migrant“.“
Ivana Zagorac, PhD, Associate Professor, Faculty of Humanities and Social Sciences, University of Zagreb
Was war für Sie persönlich die wichtigste Erkenntnis des Projekts?
“Das überraschendste Ergebnis für mich war die Intensität des kulturellen Einflusses auf die Medizin. Teammitglieder, die in verschiedenen Teilen der Welt Medizin praktizierten, berichteten über ihre Erfahrungen mit Angehörigen anderer Kulturen, meist Migranten. Aus philosophischer Sicht waren einige der interessantesten Aspekte, Unterschiede zwischen den Kulturen bei der Konzeptualisierung von Schmerz, der Beschreibung von Schmerz sowie Metaphern, die verwendet werden, um Schmerz zu kommunizieren.“
Marcin Orzechowski, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm
Warum muss von Politik und Medizin mehr Aufmerksamkeit auf die medizinische Versorgung von Geflüchteten gelegt werden?
„Obwohl das Recht auf Gesundheit einen Teil der allgemeinen Menschenrechte darstellt, sehen wir in diesem Bereich viele Defizite in den europäischen Ländern. Barrieren im Zugang zur medizinischen Versorgung umfassen vor allem unzureichende gesetzliche Ansprüche – Migrantinnen und Migranten haben oft kein Recht auf spezielle medizinische Leistungen. Außerdem erschweren sprachliche, administrative und kulturelle Barrieren die Gesundheitsversorgung. Hier ist es wichtig, dass gesellschaftliche Vielfalt und Migration als zentrale Themen in der modernen Medizin definiert werden.“
Dr. Frank Kressing, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm
Was machte die internationale Zusammenarbeit an diesem Projekt so bereichernd?
„Faszinierend war die völlig unterschiedliche Herkunft der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die aus so unterschiedlichen Ländern wie Bangladesch, Deutschland, Indien, Kroatien, Österreich, Polen, Syrien oder den USA kamen. Dies schuf eine außerordentlich verdichtete Arbeitsatmosphäre, in der ganz unterschiedliche Perspektiven auf Flucht, Vertreibung, politische Unterdrückung und mangelnde ärztliche Versorgung beleuchtet werden konnten – oft verbunden mit Berichten aus erster Hand, ohne dass eine bedrückende Atmosphäre entstand.“
Prof. Dr. med. Wielant Machleidt, ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Sozialpsychiatrie und Direktor der Abteilung für Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover. Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse
Wie können Geflüchtete besser in Ziel-Ländern aufgenommen und integriert werden?
„Als nachhaltig erfolgreich bei der Aufnahme von Geflüchteten vor Ort haben sich die Unterstützung bei der sozialen Orientierung und dem Einleben vor Ort, ehrenamtliches Bürgerengagement und Patenschaften sowie Sprachkurse und Bildungsabschlüsse erwiesen. Gute Voraussetzungen für die Überwindung „unsichtbarer Mauern“ sind ein kultursensibler Umgang, die Relativierung der eigenen kulturellen Herkunft und gegenseitige Akzeptanz und Respekt. Die Integration gelingt umso besser, je größer die Bereitschaft von allen Beteiligten ist, rassistische Vorurteile zu überwinden.“
Dr. Katharina Fürholzer, Comparative Literature & Literary Theory, University of Pennsylvania
Was machte die internationale Zusammenarbeit an diesem Projekt so bereichernd?
„Die internationale Zusammensetzung des Projekts sensibilisierte einmal mehr für die Komplexität und Heterogenität, die das Zusammenspiel von Medizin und Migration auszeichnet: Die Vorträge und Diskussionen der Klausurwoche zeigten, mit welch unterschiedlichen Vorstellungen und Definitionen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die beiden im Fokus stehenden Begriffe verbanden, wie unerlässlich und zugleich bereichernd die konstante Überprüfung und gemeinsame (Neu-)Definition gerade vermeintlich eindeutig erscheinender Konzepte ist.“
Associate Prof. Dr. Iva Rinčić, Faculty of Medicine and Faculty of Health Studies, Universität Rijeka, Kroatien
Was machte die internationale Zusammenarbeit an diesem Projekt so bereichernd?
„Die Teilnahme an dieser internationalen Zusammenarbeit war eine hervorragende Gelegenheit, um Ideen, Gedanken, Erkenntnisse und zukünftige Forschungspläne zu Migration und Medizin auszutauschen. Über die wissenschaftliche Dimension hinaus war es auch wichtig, unsere persönlichen, beruflichen und nationalen Grenzen zu überschreiten und gemeinsame europäische Erfahrungen und Antworten der modernen Gesellschaft zu schaffen.“
Sylvia Agbih, Bielefeld University, Department of Philosophy
Warum muss von Politik und Medizin mehr Aufmerksamkeit auf die medizinische Versorgung von Geflüchteten gelegt werden?
„Weil Geflüchtete nicht gut versorgt sind. Gesundheit ist sowohl ein Gut in sich als auch Voraussetzung für existentielle Lebensvollzüge. Medizinische Versorgung erkennen wir uns gegenseitig zu, weil wir als Menschen wissen, wie verletzlich wir sind. Erkrankung unterscheidet nicht nach Aufenthaltsstatus. Für geflüchtete Menschen ist der Anspruch auf medizinische Versorgung aber eingeschränkt und sie erleben viele Zugangsbarrieren. Sollten nicht alle gleichberechtigt nach Bedarf versorgt werden?“
Tarek Mahjoub, Zentrum für Medizin und Gesellschaft, Albert-Ludwig-Universität Freiburg
Wie könnten, Ihrer Meinung nach, Flüchtlinge besser aufgenommen und in die Zielländer integriert werden?
„Meistens wird von den Flüchtlingen und Einwanderern erwartet, dass sie sich ohne Gegenleistung vollständig in ihre Aufnahmekultur integrieren. In den meisten Schulen wird den Kindern die Sprache und Kultur der Aufnahmegesellschaft beigebracht, aber sie erhalten nicht genügend Möglichkeiten, Gleichaltrigen über ihre eigene Kultur zu erzählen. Für eine gelungene Integration müssen sich Geflüchtete und die Gastgeber über die Unterschiede des anderen informieren, diese akzeptieren und voneinander lernen.“
Prerna Thaker, University of Freiburg, Freiburg im Breisgau
Warum muss von Politik und Medizin mehr Aufmerksamkeit auf die medizinische Versorgung von Geflüchteten gelegt werden?
„Migration ist die Geschichte der Menschheit und etwa drei Prozent der Weltbevölkerung leben derzeit außerhalb ihres Herkunftslandes. Die Bedeutung intakter Gesundheitssysteme und die Versorgung von Migranten und Flüchtlingen kann nicht genug betont werden. Ich war überrascht zu sehen, dass Europa, das als einer der reichsten Teile der Welt gilt, eine ungleiche Sicht auf Migration hatte, was zu einer vielfältigen und manchmal unzureichenden Abdeckung der medizinischen Leistungen führte. Dies ist wichtig, da das Recht auf Gesundheit ein grundlegendes Menschenrecht ist.“
Prof. Dr. Amir Muzur, Faculty of Medicine and Faculty of Health Studies, University of Rijeka, Kroatien
Warum war die Umsetzung des Projekts „Migration und Medizin“ so wichtig?
„Zunächst möchte ich betonen, dass die Organisation eines Symposiums, das die Teilnahme von Experten aus verschiedenen Ländern und berufliche Hintergründe vereint, produktive und dynamische Diskussionen voller interdisziplinärer Erkenntnisse hervorbringt. Ich persönlich musste einige meiner Standpunkte zum Migrationsproblem revidieren, nachdem ich konstruktive Beobachtungen zur Wahrnehmung von Geflüchteten in unterschiedliche Kulturen gehört hatte.“
Dr. Ravi Rao, Reader, Department of Periodontics, Bangalore Institute of Dental Sciences and Research Center, Bangalore, Indien
Warum muss von Politik und Medizin mehr Aufmerksamkeit auf die medizinische Versorgung von Geflüchteten gelegt werden?
„Menschen waren schon immer Migranten, so haben sich Zivilisationen entwickelt. Über die Unterbringung von Flüchtlingen fehlte immer Klarheit. Es wäre jedoch katastrophal, gerade diesen benachteiligten Menschen die medizinische Grundversorgung zu verweigern. Daher fanden wir es sehr wichtig, die Grenzen zu verstehen, mit denen die Migranten in Bezug auf die medizinische Versorgung konfrontiert sind, und welche Barrieren die Politik aufbaut, um eine stabile Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.“