Mit dem 50. UUG-Vortrag zur Traumaforschung ist das Jubiläumsprogramm der Universität Ulm gestartet. In der sehr gut besetzten neuen Kundenhalle der Sparkasse sprach zunächst Professorin Anita Ignatius, Leiterin des Instituts für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik, über schwere körperliche Verletzungen – zum Beispiel nach Unfällen. Über Psychotraumata, also seelische Verletzungen, referierte anschließend Professor Jörg Fegert, Ärztlicher Direktor der Ulmer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie.
Unter dem Motto „Wissen erleben“ bringt die bekannte Vortragsreihe der Ulmer Universitätsgesellschaft (UUG) seit 2010 Forscherpersönlichkeiten in die Stadt. Vor dem 50. Vortrag begrüßte UUG-Geschäftsführer Dietrich Engmann das Publikum: „Nicht nur die Universität wird in diesem Jahr 50, sondern auch die Universitätsgesellschaft. Ihr Vorläufer, der Arbeitskreis einflussreicher Ulmer Bürger, der die Unigründung vorangetrieben hat, ist natürlich noch ein bisschen älter.“
Zu ihrem 50-jährigen Bestehen bezeichnete Präsident Professor Michael Weber die Universität mit nun beinahe 11 000 Studierenden als „jung und forschungsstark.“ Dementsprechend widmen sich die ersten Vorträge der Jubiläumsreihe Themen, mit denen die Uni bei der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder punkten will.
Den Anfang machte also die „Volkskrankheit Trauma“ – ein gesellschaftlich hochrelevantes Thema. „Rund 8,25 Millionen Deutsche erleiden pro Jahr ein Trauma und verursachen so geschätzte 30 Milliarden Euro Gesundheitskosten – Arbeitsausfälle eingerechnet. Insgesamt sind Traumata bei jüngeren Menschen unter 45 sogar die häufigste Todesursache“, so Professorin Anita Ignatius. Im Ulmer Zentrum für Traumaforschung sowie im 2014 eingeworbenen Sonderforschungsbereich werden jedoch nicht nur Gewebezerstörungen und daraus entstehende Entzündungsprozesse untersucht. Vermehrt rückt auch das komplexe Zusammenspiel von körperlichen und seelischen Verletzungen in den Mittelpunkt.
Anita Ignatius brachte das Beispiel eines Großelternpaars, dessen Enkel bei einer Radtour von einem Kieslaster überfahren wird. Während das Kind schwere körperliche Verletzungen davonträgt, erleiden Großmutter und LKW-Fahrer psychische Traumata. An der Ulmer Universitätsklinik werden die Unfallopfer auf höchstem Niveau behandelt, doch während Großmutter und Enkel vollständig genesen, bleibt der Fahrer berufsunfähig. Dieses Beispiel zeigt: Nicht jeder Mensch reagiert auf eine traumatische Erfahrung gleich. Einflussfaktoren reichen von der Genetik über Vorerkrankungen bis zum Lebensalter. „Zudem sind die Auswirkungen anders, wenn Menschen zum zweiten Mal in ihrem Leben Traumaopfer werden“, sagte die Referentin.
Die am Zentrum für Traumaforschung (ZTF) beteiligten Abteilungen der Universität Ulm untersuchen interdisziplinär bis auf die molekulare Ebene, wie Organismus und Psyche auf schwere Verletzungen reagieren und hoffen so, neue Therapien zu entwickeln. Dafür bietet die Universität Ulm, an der 1973 einer der ersten unfallchirurgischen Lehrstühle Deutschlands eingerichtet wurde, beste Bedingungen. Hier arbeiten nicht nur scheinbar weit entfernte Disziplinen wie die Unfallchirurgie, Biochemie und Psychiatrie eng zusammen. Kooperationen bestehen auch mit der DRK-Blutspendezentrale (Institut für Transfusionsmedizin) sowie etwa mit dem Bundeswehrkrankenhaus. Gemeinsam werden innovative Ansätze wie der Einsatz mesenchymaler Stammzellen bei schlecht heilenden Knochenbrüchen erforscht oder ergründet, warum der Zebrafisch eine verletzte Flosse innerhalb kurzer Zeit komplett regenerieren kann.
Psychotraumata: Wenn die Seele verletzt ist
Das zweite Referat drehte sich um Verletzungen der Seele: Kinder- und Jugendpsychiater Professor Jörg Fegert grenzte zunächst normale Belastungen von Traumata ab: „Der Mensch ist durchaus in der Lage, mit schrecklichen Dingen umzugehen. Die üblichen Reaktionen reichen vom Wegrennen bis zum Kampf. Schwierig wird es, wenn wir einer lebensbedrohlichen, potentiell traumatischen Situationen ausgeliefert sind oder ihr Zeuge werden, und quasi wie gelähmt darauf keinen Einfluss nehmen können“, erklärte der Mediziner. Dabei kann es sich um Einzelereignisse wie einen Unfall handeln, dessen Folgen jedoch meist gut behandelbar sind. Lang anhaltende Belastungen wie Missbrauch oder Vernachlässigung im Kindesalter führen oft zu komplexen, schwer therapierbaren psychischen Störungen und zusätzlich zu einer möglichen Posttraumatischen Belastungsstörung. Dazu können auch Entwicklungsverzögerungen und als Spätfolgen unterschiedliche psychische und somatische Erkrankungen, beispielsweise vermehrte Herz-Kreislauferkrankungen, kommen.
„In Deutschland werden rund 13 Prozent der Mädchen Opfer sexuellen Missbrauchs – dies entspricht in etwa dem Anteil an Diabetikern in der Bevölkerung“, wusste der Psychiater. Solche Übergriffe seien also nicht auf Berliner Problembezirke begrenzt. In der Studie „Meine Kindheit – deine Kindheit“, für die junge Mütter in der Frauenklinik auf dem Michelsberg befragt wurden, haben Fegert und Kollegen ähnliche Zahlen für das „mittlere Ulmer Bürgertum“ ermittelt.
Seit einigen Jahren hat der Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeut, der auch E-Learning Programme für den Kinderschutz entwickelt, eine neue Gruppe im Visier: „Junge Geflüchtete haben in ihren Heimatländern und auf der Flucht oft Furchtbares erlebt. Und auch die Integration im Gastland ist für sie nicht einfach“, schloss der Referent.
Der Jubiläumsvortrag fand erstmals nicht im Studio der Sparkasse, sondern in der neuen Kundenhalle statt. Der Hausherr und Vorstandsvorsitzender der Ulmer Sparkasse, Manfred Oster, sagte zu der Erfolgsreihe: „Ich habe bei den UUG-Vorträgen immer viel gelernt und war, wann immer möglich, dabei.“ Bei den nächsten Terminen im Februar geht es übrigens um die Energie- und Quantenforschung.
Weitere Informationen zur Vortragsreihe "Wissen erleben" der UUG
Programmflyer zum Download
Terminübersicht (1. Halbjahr 2017)
Die UUG-Vorträge finden jeweils samstags um 11:00 Uhr in der neuen Kundenhalle der Sparkasse Ulm, Neue Straße 66, 89073 Ulm, statt. Der Eintritt ist kostenlos.
- Samstag, 14. Januar, um 11:00 Uhr
Volkskrankheit „Trauma“
Prof. Dr. Anita Ignatius (Direktorin des Instituts für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik, Universitätsklinikum Ulm) und
Prof. Dr. Jörg Fegert (Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm)
- Samstag, 4. Februar, 11:00 Uhr
Neuartige Batteriekonzepte für die Herausforderungen in der elektrochemischen Energiespeicherung
Prof. Dr. Axel Groß
Leiter des Instituts für Theoretische Chemie, Universität Ulm
Helmholtz-Institut Ulm (HIU) für elektrochemische Energiespeicherung
- Samstag, 18. Februar, 11:00 Uhr
Diamanten in der Quantentechnologie
Prof. Dr. Fedor Jelezko
Leiter des Instituts für Quantenoptik, Universität Ulm
- Samstag, 20. Mai, 11:00 Uhr
Diagnostik und Behandlung von Leukämien im Zeitalter der modernen Genomforschung
Prof. Dr. Hartmut Döhner
Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin III, Universitätsklinikum Ulm
- Samstag, 24. Juni, 11:00 Uhr
Autonomes Fahren: Hype oder schon bald Realität?
Prof. Dr. Klaus Dietmayer
Leiter des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik, Universität Ulm