Die Nachrichten der Forschungsgruppe Mensch-Computer-Interaktion

Gratulation zur Promotion an Dr. Evgeny Stemasov

Universität Ulm

Mittwoch, 22.01.2025

Dr. Evgeny Stemasov, Mitglied der Forschungsgruppe Mensch-Computer-Interaktion, hat seine Dissertation des Titels Enabling Ubiquitous Personal Fabrication: Low-Effort and Expressive In-Situ Interactions Using Extended Reality erfolgreich verteidigt.

Er wurde begutachtet von Prof. Dr. Enrico Rukzio (Universität Ulm),  Prof. Dr. Jan Gugenheimer (Technische Universität Darmstadt) und Prof. Dr. Daniel Lee Ashbrook (Universität Kopenhagen) sowie den benannten Wahlmitgliedern Prof. Dr. Matthias Tichy und Prof. Dr. Timo Ropinski (Universität Ulm).

Zusammenfassung: 

Persönliche Computertechnologie hat die Gesellschaft durch die Bereitstellung von industriellen Rechenkapazitäten an Endnutzer transformiert: komplexe, teure und nur von Experten bedienbare Großrechner wurden zu allgegenwärtigen Geräten, die inzwischen für ein breites Publikum unerlässlich sind. Im Kontext der persönlichen Fertigung („Personal Fabrication“) erlangten Nutzer vor Kurzem ebenfalls Zugang zu Werkzeugen und Prozessen auf Industrie-Niveau (z.B. 3D-Druck), um verschiedene physische Objekte zu entwerfen und herzustellen. Während sich die Computertechnik als Solche in Richtung zugänglicherer Interaktionsparadigmen entwickelte (d.h. von Befehlszeilen zu grafischen Benutzeroberflächen), erzwingt die persönliche Fertigung weiterhin ein Paradigma der ex-situ Modellierung, Fertigung und Iteration, bis ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht wird. Geräte wie beispielsweise 3D-Drucker oder Laserschneider sind zunehmend einfach zu verwenden und ebenfalls erschwinglich geworden, doch das digitale Entwerfen von herstellbaren Objekten bleibt eine hochkomplexe Aufgabe: Endnutzer müssen eine Vielzahl von Disziplinen, vom Ingenieurwesen über Materialwissenschaften bis hin zu Design, in ihrer Tätigkeit vereinen. Daraus folgt, dass persönliche Fertigung vielfältige Möglichkeiten offenbart, jedoch überwiegend von Hobby-Bastlern und Technologie-Enthusiasten genutzt wird.

Diese Dissertation zielt darauf ab, die konzeptionellen Widersprüche zwischen hochgradig leistungsstarken Fertigungsgeräten (d.h. physischer Output) und den komplexen Designwerkzeugen (d.h. digitaler Input), die sie erfordern, zu lösen. Wie können wir simple Interaktionen die einen geringen Aufwand erfordern, mit einem potenziell unbegrenzten physischen Ausgaberaum in Einklang bringen? Um diese Frage zu beantworten, präsentiert die vorliegende Dissertation zunächst ein theoretisches Framework, das Entwurfswerkzeuge für die persönliche Fertigung nach dem Prozessmodell von Entwurf, über Fertigung, bis zur Nutzung des Ergebnisses umfasst. Speziell klassifiziert das Framework den benötigten Aufwand und die erreichbare Expressivität von Systemen und formalisiert drei Hauptparadigmen des Designs physischer Artefakte: „Modellieren“, „Re-Mixen“ und „Erhalten“. Die meisten etablierten Designwerkzeuge konzentrieren sich auf das Paradigma des „Modellierens“, bei dem Nutzer regelmäßig bereits existierende Objekte von neu auf gestalten müssen. Dies erfordert oft unnötigen Aufwand. Derartige digitale Designschritte sind oft vom physischen Verwendungsort getrennt (ex-situ) und finden beispielsweise an Arbeitsplätzen wie Desktop-Computern statt. Dies erfordert es von Nutzern, Anforderungen korrekt zwischen Entwurfs- und Nutzungskontexten zu übertragen. Der Kern dieser Dissertation konzentriert sich daher darauf, Modellierungsschritte entweder a) teilweise, oder b) vollständig auszulassen oder sie c) grundlegend zu verändern. Dies geschieht durch die Wiederverwendung existierender Designs und von in-situ Entwurfswerkzeugen, um Interaktionen mit geringerem Aufwand zu ermöglichen. Dieser Ansatz manifestiert sich in der Entwicklung und Evaluation mehrerer Prototypsysteme, die die etablierte Vorstellung davon, wie Design für Personal Fabrication aussehen kann, bewusst überdenken.

Basierend auf diesen Arbeiten, gewährt die Dissertation Einblicke in die Gestaltung von Entwurfswerkzeugen für Personal Fabrication. Durch das bewusste Auslassen oder Neugestalten von Arbeitsschritten (z.B. 3D-Modellierung) reduzieren die vorgestellten Prototypsysteme den Aufwand, der nötig ist, um ein herstellbares Artefakt zu entwerfen. Diese Aufwandsreduktion basiert auf Designprinzipien, die von etablierten Kernparadigmen (z.B. Modellieren) abweichen und auf in-situ Design setzen, die den einzigartigen physischen Kontext der Nutzer wirksam einsetzen. Anstatt „von Grund auf“ zu beginnen, können Nutzer existierende Modelle re-mixen, parametrische Entwürfe anpassen oder ihre gewünschten Objekte suchen und abrufen. Diese Ansätze verlagern Prozesse in der persönlichen Fertigung weg von komplexen, aber leistungsfähigen industriellen CAD (computerunterstützten Design) Systemen, ohne unmittelbar deren Expressivität einzuschränken. Ebenso soll ermöglicht werden, dass statt Designprozesse an einem separaten Arbeitsplatz durchgeführt werden, Nutzer Such-, Remix- und Vorschauschritte, am Nutzungsort des zukünftigen Objekts durchführen (in-situ). In-situ Interaktionen vereinfachen die Übertragung von Anforderungen aus der physischen Umgebung in die Designumgebung. Die Paradigmen des „Re-Mixens“ oder „Erhaltens“, kombiniert mit in-situ Interaktionen durch erweiterte Realität (Extended Reality), stellen die Kernsäulen dieser Dissertation dar.

Die Dissertation schließt mit einer Reflexion über die Vision der „allgegenwärtigen Personal Fabrication“, in welcher das digital unterstützte Handwerk und Herstellung in das tägliche Leben eingewoben werden, ähnlich der etablierten digitalen Inhaltserstellung („Content Creation“) durch allgegenwärtige Computertechnik. In diesem Kontext ergibt sich eine Zukunft, in der jeder hochgradig personalisierte Objekte erschaffen kann, die den einzigartigen kontextuellen, ästhetischen und funktionalen Bedürfnissen jeder Person entsprechen können. Die jeweilige Person erreicht dies ohne jedes einzelne Detail des Objekts genau festzulegen, was ein breites Spektrum von Nutzern, unabhängig von ihrer Motivation und Kompetenz, zur Teilnahme an Designaktivitäten ermächtigt.

Das Institut wünscht ihm herzlichst alle Gute - auch auf seinem weiteren Werdegang.