Seit Oktober letzten Jahres ist Dr. Elisabeth Oberzaucher Gastprofessorin für Vielfalt, Adaptivität und Gleichstellung an der Universität Ulm. Zwei Semester lang gibt die österreichische Verhaltensbiologin, die zu den evolutionsbiologischen Grundlagen menschlichen Verhaltens forscht, Veranstaltungen an ihrer neuen Gastuniversität. Im Mittelpunkt stehen dabei evolutionsbiologische Aspekte der Genderforschung.
"Biological sex - potential and limitation in cognitive gender studies" lautet der Titel ihrer Einführungsvorlesung, und auch die Seminare bauen thematisch darauf auf. Oberzaucher nutzt ihren Aufenthalt darüber hinaus, um interdisziplinäre Berührungspunkte für ihre Forschung auszuloten. "Ich kooperiere hier mit Kollegen und Kolleginnen aus der Psychologie, der Mathematik, der Informatik und der Ökonomie. Im Laufe des ersten Semesters meines Aufenthaltes sind vier Projektideen bereits so weit gediehen, dass wir mit der Arbeit daran begonnen haben", erklärt die Gastprofessorin. Auf erste Ergebnisse dieser Studien hofft sie im Sommer.
Großes Interesse fanden bereits ihre früheren wissenschaftliche Arbeiten. Die Forschung der Human-Ethologin kreist sowohl um Fragen der klassischen Verhaltensbiologie, hat aber auch die Mensch-Umwelt-Interaktion zum Gegenstand. Zu ihrem wissenschaftlichen Repertoire gehören Studien zur Partnerwahl und Attraktivitätsforschung, zur sozialen Interaktion und Kommunikation aber auch zu den Problemen des Menschen in seiner urbanen Umwelt. Die neue Ulmer Gastprofessorin hat dabei ein ausgesprochenes Faible für griffige und öffentlichkeitswirksame Themen. Oberzaucher, die in Würzburg und Wien Biologie studiert hat, schrieb ihre Abschlussarbeit beispielsweise über die positiven Auswirkungen von Grünpflanzen auf die kognitive Leistungsfähigkeit.
Von Frauenfreundschaften und Männerbünden
Promoviert hat sie 2003 - ebenfalls an der Uni Wien - über die Bedeutung von Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten für die Entstehung und Pflege von Freundschaften. "Menschen schließen Freundschaft mit Menschen, von denen sie glauben, dass sie ihnen ähnlich sind. Oft teilen sie gemeinsame Interessen, Vorlieben und Ansichten, oder nehmen dies zumindest so wahr. Im Laufe der Zeit verlieren diese Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten aber für die Freundschaft an Bedeutung und die Unterschiede kommen stärker zu Geltung", erklärt die medial erfahrene Wissenschaftlerin. Große Medienresonanz fanden dabei ihre Forschungsergebnisse zu den Unterschieden zwischen Männer- und Frauenfreundschaften. "Mein Kollege und ich fanden es furchtbar, dass immer behauptet wird, Männerfreundschaften seien nicht so intensiv wie Frauenfreundschaften, und haben schließlich eine wissenschaftliche Studie dazu gemacht", erklärt Oberzaucher. Die Forscher konnten dabei keine Unterschiede in der Intensität der Freundschaften entdecken, aber doch große Unterschiede, wie sich Männer- und Frauenfreundschaften zum Ausdruck bringen.
Gegen die Gleichmacherei der Geschlechter
Frauen verabreden sich, um zu reden. Männer treffen sich, um Fußball zu schauen, reden dabei aber nicht weniger. Doch während Frauen vor allem emotionalen Zuspruch suchen, geht es bei den Männern mehr um tatkräftige Unterstützung wie beispielsweise beim Hausbau. "Dort spielen auch sozio-ökonomische Faktoren eine viel größere Rolle", erläutert die Human-Ethologin, die in ihrer Forschung vor allem nach evolutionsgeschichtlichen Erklärungen für solche Unterschiede sucht. Die gebürtige Kärntnerin, die seit 22 Jahren in Wien lebt, hält nichts von der Gleichmacherei der Geschlechter. "Es macht doch keinen Sinn, Geschlechterunterschiede wegzureden. Man sollte versuchen, die unterschiedlichen Bedürfnisse zu verstehen und zu erklären", plädiert sie.
Wie kann ein einziger Mann über 1000 Kinder zeugen?
Noch größeres öffentliches Interesse fand ein Forschungsprojekt, das 2015 im amerikanischen Fachjournal PLOS One veröffentlicht wurde, und für das sie und ihr Kooperationspartner Dr. Karl Grammer mit dem Ig Nobelpreis ausgezeichnet wurden, den die Universität Harvard alljährlich für kuriose Forschung vergibt. Die Studie drehte sich um die biologischen, sozialen und kulturellen Mechanismen und Voraussetzungen, die es einem einzigen Mann möglich machen, weit über tausend Kinder zu zeugen. Konkret ging es dabei um den marokkanischen König Moulay Ismael (1672 bis 1727), der nicht nur sehr kriegerisch, sondern auch sexuell äußerst aktiv war. Mit seinen 500 Haremsdamen zeugte er nachweislich 1171 Nachkommen. "Die mathematische Modellierung baute auf komplexen mehrstufigen Wahrscheinlichkeitskaskaden auf, die auf der Grundlage reproduktionsmedizinischer Erkenntnisse gebildet wurden", erläutert die Biologin.
"Ich war damals sehr stolz auf die Auszeichnung und habe die Trophäe - einen Blumentopf ohne Pflanze - mit Freude entgegengenommen", erinnert sich die Wiener Wissenschaftlerin. Der Ig Nobelpreis feiert das Ungewöhnliche und soll das Fantasievolle ehren; die Forschung dahinter ist durchaus seriös. Und so passt dieser Preis ganz hervorragend zum Wissenschaftsverständnis von Oberzaucher: "Augen und Ohren öffnen, schmunzeln und dann denken!". An dieses Motto anknüpfen möchte sie auch als Gastgeberin der Tagung "Sex und Gender aus evolutionsbiologischer Sicht", die vom 6. bis zum 8. März an der Universität Ulm stattfinden wird. Gastgeber ist die so genannte MVE-Liste, ein lockerer Verband deutschsprachiger Wissenschaftler, die "Menschliches Verhalten in evolutionärer Perspektive" betrachten (www.mve-liste.de).
Zur Gastprofessur für Vielfalt, Adaptivität und Gleichstellung an der Universität Ulm
Die Gastprofessur für Vielfalt, Adaptivität und Gleichstellung wurde 2015 an der Universität Ulm eingerichtet, um vor dem Hintergrund des Fächerspektrums der Universität die wissenschaftlichen Möglichkeiten von Geschlechterforschung aufzuzeigen. "Elisabeth Oberzaucher ist die optimale Besetzung hierfür, weil sie als Human-Ethologin mit evolutionsbiologischem Hintergrund nahe an der psychologischen und wirtschaftswissenschaftlichen Verhaltensforschung ist, aber zugleich Berührungspunkte zu medizinischen Themen sowie zu technischen Anwendungsszenarien hat", erklärt Professorin Anke Huckauf, Leiterin der Abteilung Allgemeine Psychologie und Gleichstellungsbeauftragte der Universität Ulm.
Text und Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann