Technische Systeme zur Bewegungserfassung ("Motion Capturing") sind vielfältig einsetzbar: Sie helfen beispielsweise dabei, Arbeitsabläufe in Fabriken zu optimieren, werden in Videospielen oder bei der Produktion von Animationsfilmen eingesetzt, und sie liefern natürlich auch Daten für die Wissenschaft. Bisherige Lösungen sind jedoch teuer, und Probanden müssen oft einen speziellen "Anzug" mit reflektierenden Markern tragen.
Auf der Computermesse CeBIT zeigt das Institut für Medieninformatik der Universität Ulm vom 14. bis zum 18. März (Halle 7, Stand C14) das System "FusionKit", das Motion Capturing für jedermann bequem und erschwinglich macht - von Hochschulen über Videokünstler bis zu produzierenden Unternehmen im Zeitalter von Industrie 4.0.
Das Ulmer System basiert auf mehreren Kinect-Kameras, wie sie bei Videospielen eingesetzt werden, und der eigens entwickelten Software "FusionKit". Die Tiefenkameras filmen die Umgebung in 3D aus verschiedenen Perspektiven - natürlich mit entsprechenden Personen und Objekten. In einem zweiten Schritt verarbeitet ein spezieller Algorithmus diese Aufnahmen zu einer einzigen Simulation: Auf dem Bildschirm bewegt sich dann ein "Skelett" in Echtzeit durch den dreidimensionalen Raum. Dabei werden bis zu 25 Gelenke dargestellt. "Mit unserem System kann der menschliche Körper zu jeder Zeit und aus jeder Position abgebildet werden. Dafür müssen Probanden eben keinen störenden ,Anzug' tragen. Andere Objekte, wie zum Beispiel Werkstücke in einer Fabrikhalle, werden hingegen mit Infrarotmarkern versehen", erklären Florian Geiselhart und Michael Rietzler. Tatsächlich können die Medieninformatiker die von FusionKit abgedeckte Fläche beliebig erweitern.
"FusionKit" erkennt auch komplexe Handlungen
In Hannover präsentieren die Wissenschaftlichen Mitarbeiter einen Aufbau mit zwei Kameras und ein Video, das die vielfältigen Anwendungen des Systems erahnen lässt. Im intelligenten Haus der Zukunft ("smart home") könnten dank der Bewegungserfassung Elektrogeräte per Gestensteuerung an- und ausgeschaltet werden. Mithilfe des Systems lassen sich auch komplexere Handlungen erkennen: So könnte sich die Türklingel abschalten, wenn die Hausbewohner ganz offensichtlich schlafen. Erweitert man den Aufbau um eine Virtual-Reality-Brille, wird - im Gegensatz zu bisherigen Systemen - nicht nur der Kopf, sondern der gesamte Körper "getrackt". So kann sich der Proband noch freier in der virtuellen Umgebung bewegen und sogar mit anderen Personen sowie dem Umfeld interagieren. Hauptvorteil des Ulmer Systems ist sein günstiger Preis: Die Software der Medieninformatiker steht gratis zum Download bereit und die Kinect-Kameras kosten wenige Hundert Euro. Bisher schlagen bereits preiswerte Motion Capturing Systeme mit rund 25 000 Euro zu Buche.
Das "Skelett" lässt sich beliebig verblenden
Die Ulmer Lösung hat ihren Ursprung im EU-Projekt "INTERACT" ("Seventh Framework Programme"): Bei den Industriepartnern Daimler und Electrolux sollten Bewegungsabläufe von Beschäftigten in der Produktion erfasst und analysiert werden, um so Prozesse und die Ergonomie des Arbeitsplatzes zu verbessern. Die entsprechende Software steuerten die Ulmer Medieninformatiker bei. "Zunächst war es schwierig, das System so zu kalibrieren, dass sich die Aufnahmen aus verschiedenen Perspektiven zu einer einzigen dreidimensionalen Darstellung ergänzen", erinnert sich Michael Rietzler. Nun müsse sich ein Proband lediglich fünf Sekunden vor den Kameras bewegen, um die gewünschte Simulation auf dem Bildschirm zu erhalten. Für Spieleentwickler und Filmer interessant: Das "Skelett" lässt sich natürlich mit dem gewünschten Erscheinungsbild versehen, es kann Mensch, Tier oder Fantasiewesen sein. Die im EU-Projekt entstandene Software FusionKit ist inzwischen voll einsatzfähig und kann mit zahlreichen Anwendungen gekoppelt werden.
Bei der CeBIT hoffen die Medieninformatiker Geiselhart und Rietzler, die beide bei Professor Enrico Rukzio promovieren, auf zahlreiche interessante Kontakte. Topthema der Computermesse ist wie bereits 2015 die digitale Transformation der Gesellschaft "d!conomy". Partnerland ist dieses Mal die Schweiz.
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann