"ICT4CART" – die Abkürzung steht für "Information and Communication Technology Infrastructure for Connected and Automated Road Transport". ICT4CART ist ein auf drei Jahres angelegtes EU-Forschungsprojekt, an dem insgesamt 21 Partner vor allem aus Forschung, Automobil-, Telekommunikations- und IT-Industrie beteiligt sind. Auch Ulm ist mit von der Partie.
Oberbürgermeister Gunter Czisch: „Wir hoffen auf wirklich zukunftsweisende Resultate, die nicht nur das autonome und vernetzte Fahren voran bringen, sondern auch dem Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Ulm wichtige Impulse geben und ihn stärken.“ Um automatisiertes Fahren zu ermöglichen, „kommunizieren“ die Fahrzeuge mit ihrer Umgebung. Dabei müssen sehr große Datenmengen zwischen Fahrzeug, Umgebungssensoren und Datenspeichern hin und her transferiert werden – nahtlos und sicher. Das soll durch Vernetzung der Fahrzeuge untereinander und mit digitaler Infrastruktur unterstützt werden.
Das Projekt ICT4CART wird im Rahmen des EU-Forschungsrahmenprogramms Horizont 2020 mit knapp acht Millionen Euro gefördert, weitere zwei Millionen steuern die Projektpartner aus der Wirtschaft bei. Die Stadt Ulm bietet eines der drei Testfelder. Mit im Boot ist auch das Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik der Universität Ulm, von dem der Anstoß für die Ulmer Beteiligung kam. Die Stadt Ulm erhält für ihre Dienstleistungen im Projekt, das eine Laufzeit von drei Jahren hat, knapp 100.000 Euro. Sie stellt u.a.ein städtisches Parkhaus, eine Kreuzung und eine vernetzte Ampel für Testfahrten zur Verfügung. Czisch bezeichnete das Ulmer Testfeld als gutes Beispiel, wofür die Wissenschaftsstadt seit nunmehr fast 30 Jahren stehe: Für eine gemeinsame Grundlagenforschung im vorwettbewerblichen Bereich, die jetzt aber auch auf die europäische Ebene ausgedehnt werde. Erfreulich sei auch, dass eine zweite Kommune, die Stadt Verona, am Projekt beteiligt ist. Leadpartner ist das ICCS - Institute of Communication Computer Systems in Athen.
Projektziele und Testsites
Grundsätzliches Ziel von ICT4CART ist es, eine ICT-Infrastruktur zu schaffen, die im Kontext des autonomen Fahrens höhere Level der Automatisierung möglich macht. Eine solche Infrastruktur soll im Rahmen des Projekts entwickelt, implementiert und unter Realbedingungen getestet werden. Hierfür sind drei Teststrecken in Deutschland (Stadt Ulm), Italien und Österreich vorgesehen. Eine der Teststrecken liegt an der österreichisch-italienischen Grenze, um neue Erkenntnisse im Bereich der grenzüberschreitenden Interoperabilität der ICT-Infrastruktur zu gewinnen.
Die deutsche Teststrecke wird sich auf die Stadt Ulm und ihre Umgebung erstrecken. Vor allem oberirdische Parkmöglichkeitens sollen für Tests zum Thema Flottenmanagement für Car- und/oder Ridesharing-Fahrzeuge genutzt werden. Als "HUB" dieser Fahrzeuge ist das bahnhofsnahe Parkhaus Deutschhaus vorgesehen. Weitere städtische Parkplätze im öffentlichen Raum werden in die Untersuchung mit einbezogen.
Zudem wird auf eine" Forschungskreuzung" im Stadteil Lehr zurückgegriffen, die bereits in einem Vorgängerprojekt zu Forschungszwecken diente. Ein weiterer geplanter Testfall ist ein Knotenpunkt bei der Nordtangente/Albert-Einstein Allee (Sporthalle Ulm Nord). Die Stadt Ulm wird im Rahmen des Projekts vor allem Unterstützung beim Aufbau und der Inbetriebnahme der (virtuellen) deutschen Teststrecke leisten.
Experten für den städtischen Verkehr: Die Uni Ulm ist mit dabei!
Für hochautomatisierte Fahrzeuge stellt die städtische Umgebung eine besondere Herausforderung dar: Autos und weitere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radfahrer teilen sich einen eng begrenzten und oft unübersichtlichen Raum. Die Ingenieure des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik der Universität Ulm sind Experten für diese schwierige Umgebung. In das Projekt ICT4CART bringen sie – neben langjähriger Erfahrung – ein mit Sensoren und Kameras ausgestattetes Testfahrzeug ein. In der Ulmer Testumgebung haben die Wissenschaftler bereits eine „Forschungskreuzung“ im Stadtteil Lehr mit Sensorik ausgestattet. Dazu kommt im Zuge von ICT4CART eine weitere Kreuzung nahe der Universität Ulm. Die Uni-Ingenieure werden im Projekt mit über 600 000 Euro gefördert.
Im Regelfall ermöglicht die am Testfahrzeug verbaute Sensorik eine zuverlässige Umgebungserfassung und darauf aufbauend die Handlungsplanung des hochautomatisierten Fahrzeugs. Doch gerade in der dicht bebauten städtischen Umgebung stoßen selbstfahrende Autos nicht selten an ihre Grenzen: An einer vorfahrtsgeregelten Kreuzung kann das Fahrzeug andere Verkehrsteilnehmer beispielsweise nicht registrieren, wenn diese durch Gebäude oder parkende Autos verdeckt sind. Für „normale“ Autofahrer wird an solchen unübersichtlichen Kreuzungen meist ein Spiegel angebracht – und diese Lösung übertragen die Ingenieure im Projekt ICT4CART nun auf das hochautomatisierte Fahren.
Zusätzlich zum Testfahrzeug kommt Infrastruktur-Sensorik, also beispielsweise an Masten angebrachte Kameras, zum Einsatz: Diese Sensoren registrieren Informationen zur Position sowie zum Verhalten der Verkehrsteilnehmer, und schließlich werden alle vom „virtuellen Spiegel“ gesammelten Daten zentral auf einem Rechner im Mobilfunknetz („Multi-Acess Computing Server“/MEC-Server) zusammengeführt. So entsteht in Echtzeit ein Abbild der aktuellen Verkehrssituation, das dem hochautomatisierten Fahrzeug per Funk übermittelt und mit dessen Daten verrechnet wird.
Besonders wichtig ist dabei eine schnelle Datenverarbeitung und -verteilung. Im Pilotprojekt MEC-View haben die Uni-Ingenieure mit Partnern wie der Stadt Ulm, BOSCH, Osram sowie Nokia bereits eine Kreuzung in Ulm-Lehr mit Sensoren ausgestattet. Dort erforschen sie das Zusammenspiel der Infrastruktur-Sensorik mit einem automatisierten Testfahrzeug. Das nun gestartete Projekt ICT4CART markiert den nächsten Meilenstein: Im Zentrum steht das Überqueren beziehungsweise das Linksabbiegen auf der schwer einsehbaren Kreuzung in Lehr. Die Sensorik an dieser Kreuzung, an der eine Nebenstraße in eine vorfahrtsberechtigte Hauptstraße mündet, wird auch im Projekt ICT4CART von den Uni-Ingenieuren betrieben. Zudem zählt die Berechnung des dortigen Infrastruktur-Umfeldmodells zu den Aufgaben der Forscher.
Bei der Datenübertragung sollen sich im Projekt ICT4CART mehrere Kommunikationskanäle ergänzen: Neben dem Nokia-Mobilfunknetz werden dem Testfahrzeug zusätzliche Umfelddaten über ein Ad-hoc-Netzwerk (ITS-G5) mittels einer Road-Site-Unit zur Verfügung gestellt. Diese beiden Kanäle kommen im Projekt auch an einer zweiten, ampelgeregelten Kreuzung zum Einsatz. Ganz konkret rüstet der Projektpartner SWARCO eine Lichtsignalanlage in der Nähe der Universität Ulm, an der Sporthalle-Nord, mit Vernetzungstechnik auf. Dadurch soll der künftige Ampelstatus frühzeitig und für jede Spur an das selbststeuernde Auto kommuniziert werden. Ziel ist eine besonders sichere, vorausschauende und energiesparende Handlungsplanung. Zur präzisen Lokalisierung der automatisierten Fahrzeuge relativ zur hochgenauen Karte sollen hochgenaue Positionierdaten (Real-Time Kinematic, RTK) eingesetzt werden. Für die Übermittlung dieser Daten über das Mobilfunknetz sorgt der Projektpartner Nokia.
Die Planungen für die Umsetzung des Ulmer Testfelds im Projekt ICT4CART haben bereits begonnen, erste Testfahrten werden 2019 stattfinden. „Das Projekt ICT4CART erlaubt es uns, das Zusammenwirken unseres Testfahrzeugs mit Infrastruktur-Sensorik über verschiedene Kanäle zu untersuchen. Ohne starke Partner wie die Stadt Ulm und Nokia wäre dieses Forschungsvorhaben nicht möglich“, sagt Dr. Michael Buchholz vom Uni-Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik, der das deutsche Testfeld sowie weitere Arbeitspakete im Zuge von ICT4CART koordiniert. „Die zusätzlichen Informationen aus der Infrastruktursensorik bieten in Verbindung mit KI-Methoden vielfältige Möglichkeiten, automatisiertes Fahren sicher und komfortabel zu machen, gerade in unübersichtlichen Verkehrssituationen. Das Projekt ICT4CART ist ein wichtiger Baustein, um die hierzu notwendigen Methoden und Technologien zu erforschen und zu entwickeln“, resümiert Institutsleiter Professor Klaus Dietmayer.
Projektkonsortium/ Beteiligte am Ulmer Testfeld:
- Universität Ulm, Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik, Ulm
- Nokia Solutions and Networks GmbH & Co. KG, Standort Ulm
- Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft (BMW), München
- SWARCO Deutschland (als Unterauftrag von SWARCO Italien)
- Airbus (Cassidian Cybersecurity SAS) für das Thema Cybersecurity und Datenschutz
- IBM Ireland u.a. für Datenmanagement, Datenspeicherung
- Stadtverwaltung Ulm
Text: Stadt Ulm/Annika Bingmann; Medienkontakt (Uni Ulm): Annika Bingmann