Die Lunge ist eines der wichtigsten Organe des Menschen: Sie versorgt unseren Körper mit Sauerstoff und ist für den Abtransport von Kohlendioxid verantwortlich. An der Universität Ulm wird nun ein Graduiertenkolleg zur weiteren Erforschung des Atemorgans eingerichtet. Neben der interdisziplinären Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern wollen die Forscher aus den Ingenieur-, Natur- und Lebenswissenschaften biomedizinischen Fragestellungen mit neuartigen Sensorsystemen nachgehen. Das Graduiertenkolleg „Mikro- und nanoskalige Sensorik für die Lunge – PULMOSENS“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für zunächst viereinhalb Jahre mit vier Millionen Euro gefördert.
Chronische Lungenerkrankungen wie COPD oder Lungenfibrose, angeborene Defekte wie Mukoviszidose oder Lungenverletzungen durch Unfälle – Leiden des Atemorgans werden mit rund einem Sechstel der Todesfälle weltweit in Verbindung gebracht. Bei der Krankheitsentstehung scheint das Lungenepithel – das ist die Zellschicht, die das Organ umgibt – eine wichtige Rolle zu spielen. Doch welche Mechanismen an dieser Barriere zwischen Luft und Gewebe im Detail ablaufen und wie sich krankhafte Veränderungen verhindern lassen, ist noch nicht hinreichend verstanden. Im neuen Graduiertenkolleg entwickeln bis zu 25 junge Forscher mit verschiedenen fachlichen Hintergründen innovative sensorische, analytische und bildgebende Methoden zur Darstellung der Funktion des Lungenepithels – zwölf Doktoranden und eine Postdoc-Stelle werden direkt über das Kolleg finanziert.
Die wissenschaftliche Betreuung übernehmen zwölf Projektleiter und fünf assoziierte Forscher, darunter Elektrotechniker, Materialwissenschaftler, Biologen sowie Forscher aus der analytischen Chemie und Medizin. „Diese Interdisziplinarität macht PULMOSENS weltweit einmalig. Die Erforschung von nano- und mikroskalierten Sensoren, deren Überführung in Systeme, die speziell auf die Lungenforschung zugeschnitten sind, sowie die direkte Nutzung dieser neuartigen Sensorsysteme durch die Lungenexperten besitzt ein extrem hohes Potential. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf molekularer und zellulärer Ebene sowie auf Organniveau haben die Forscher des Graduiertenkollegs die therapeutische Anwendung stets im Blick“, sagt Professor Maurits Ortmanns, Sprecher des Kollegs und Leiter des Instituts für Mikroelektronik. Aufgrund der hohen Interdisziplinarität gelte es allerdings auch, Barrieren zwischen den Fachbereichen zu überwinden.
Koordinatoren des Kollegs sind Professor Ortmanns, der sein Knowhow zu integrierten Sensorschaltungen beisteuert, sowie der Physiologe Professor Paul Dietl und PD Dr. Christine Kranz, die auf dem Gebiet miniaturisierter Sensoren forscht. „Am Institut für Analytische und Bioanalytische Chemie kooperieren wir bereits seit Jahren mit der Gruppe Dietl und auch den Ingenieurwissenschaften. Deshalb ist es für uns besonders spannend, nun gemeinsam neue Sensortechnologien und -verfahren zu entwickeln, die unmittelbar Anwendungen im Rahmen lungenphysiologischer Fragestellungen finden“, so Christine Kranz.
Die Lunge: Herausforderung für die Sensortechnik
Die menschliche Lunge verfügt über eine einzigartige Struktur mit engen anatomischen Verflechtungen und einer Luft-Flüssigkeitsgrenze, die aufgefaltet 130 Quadratmeter groß wäre! Das Organ stellt also hohe Anforderungen an Mess- und Analysesysteme: Lungenbläschen können zum Beispiel gar nicht instrumentell über die Atemwege erreicht werden. Die Entwicklung fortgeschrittener Epithel-Zellkulturen sowie eines künstlichen Lungenbläschensystems („Lung on a chip“) sind deshalb neben einer hochauflösenden Sensorik Forschungsziele von PULMOSENS.
Im Zuge des Graduiertenkollegs sollen insgesamt lebenswissenschaftliche Projekte zur Sekretion und zu transepithelialen Transportprozessen – vor allem in Hinblick auf die Barrierefunktion des Epithels – durchgeführt werden. Dazu kommen Untersuchungen im beschriebenen künstlichen Alveolensystem und in anderen Modellen. „Eine verbesserte Diagnostik und ein tieferes Verständnis der mikro- und makroskopischen Funktionalität der Lunge dient der Grundlagenforschung und sollte neue Ansätze für Therapien liefern“, betont Paul Dietl als Vertreter der Medizinischen Fakultät.
Die Startbedingungen an der Universität Ulm sind hervorragend: Synergien bestehen mit dem Boehringer Ingelheim Ulm University BioCenter (BIU), einem Verbund zwischen der Uni und dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, in dem Lungenforschung wesentlicher Bestandteil ist. Außerdem gibt es Überschneidungen mit dem interdisziplinären „Trauma-Sonderforschungsbereich“ und der Internationalen Graduiertenschule für Molekulare Medizin der Uni Ulm. Weiterhin soll PULMOSENS mit Studiengängen der beteiligten Fakultäten vernetzt werden.
„Das bewilligte Ulmer Graduiertenkolleg verbindet ein interdisziplinäres Ausbildungsprogramm mit neuartigen Projekten in der Lungenphysiologie sowie Biosensorik und bereichert so die Ulmer Forschung und Lehre gleichermaßen“, sagt Professor Joachim Ankerhold, Vizepräsident für Forschung und Informationstechnologie.
Insgesamt hat die DFG Mitte Mai die Förderung von 18 Graduiertenkollegs in Höhe von 74 Millionen Euro bekannt gegeben.
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann