Hochautomatisierte Fahrzeuge werden in Zukunft auch im innerstädtischen Verkehr unterwegs sein. Videokameras und Radarsensoren helfen den Autos dabei, die aktuelle Verkehrssituation zu erfassen. Doch was ist, wenn Verkehrsteilnehmer durch Hindernisse verdeckt und damit für die Fahrzeugtechnik "unsichtbar" sind? Abhilfe leisten könnte hier womöglich eine intelligente Verkehrsinfrastruktur, die dem Fahrzeug stationäre Sensordaten zuarbeitet, um solche "toten `Daten´-Winkel" zu überwinden. Das von Bosch koordinierte Projekt "MEC-View", an dem unter anderem die Universität Ulm und die Firma Nokia beteiligt sind, will herausfinden, wie mit Hilfe von Mobilfunkservern mobile und stationäre Daten in Echtzeit verrechnet und dem Fahrzeug zur Verfügung gestellt werden können. Getestet wird der Prototyp des Systems in Ulm.
Nicht nur auf der Autobahn, sondern auch im innerstädtischen Verkehr sollen in Zukunft hochautomatisierte Systeme den Fahrer unterstützen, beispielsweise beim Einfädeln auf eine stark befahrene Straße oder beim Abbiegen an einer schwer überschaubaren Kreuzung. Mithilfe von Videokameras und Radarsensoren können sich diese hochentwickelten Fahrzeuge zwar einen Rundumblick verschaffen. Doch wenn Gegenstände oder Personen von Hindernissen verdeckt sind, bleiben sie für die Technik des Fahrzeugs "unsichtbar". Ein umfassenderes Bild der aktuellen Verkehrslage versprechen hier die Daten von Sensoren, die fest installiert sind in der Verkehrsinfrastruktur, zum Beispiel an Straßenleuchten. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert nun mit "MEC View" ein dreijähriges Verbundprojekt, das die lokale Verarbeitung solcher Sensordaten aus der Verkehrsinfrastruktur in Echtzeit ermöglichen soll, und zwar durch den Einsatz von lokalen Servern, die im Mobilfunknetz integriert sind. Das von Bosch koordinierte Projekt, an dem auch die Universität Ulm und die Firma Nokia beteiligt sind, trägt den Titel "Mobile Edge Computing basierte Objekterkennung für hoch- und vollautomatisiertes Fahren" (MEC-View).
Mobile und stationäre Sensordaten müssen in Echtzeit verrechnet werden
"Die Herausforderung besteht darin, die verschiedenen Sensordaten aus der Verkehrsinfrastruktur in Echtzeit miteinander zu verrechnen, um hieraus ein Gesamtmodell der aktuellen Verkehrssituation zu ermitteln", sagt Prof. Klaus Dietmayer, Leiter des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik der Universität Ulm. Solche Informationen können dabei helfen, den Verkehr flüssiger zu machen, beispielsweise beim Einfädeln auf eine vorfahrtsberechtigte Straße. "Mit Hilfe der Daten aus der Infrastruktursensorik können Fahrzeuge und andere Verkehrsteilnehmer auf der Hauptstraße frühzeitig erkannt und in die Planung des automatisierten Fahrzeugs einbezogen werden, auch wenn mit den Fahrzeug-eigenen Sensoren die Hauptstraße nicht oder nicht vollständig erfasst werden kann", erklärt Dr. Michael Buchholz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut.
Die Stadt Ulm ist Partner des Projektes und stellt das Testgebiet
Getestet und prototypisch aufgebaut wird das System übrigens an einer Straßenkreuzung in Ulm, wo die Sensoren an Lichtmasten befestigt werden. Die Stadt unterstützt das Verbundprojekt als assoziierter Partner. "Digital gestützte Mobilität ist eines der Zukunftsthemen für eine Stadt, deshalb stehen wir gerne als Testfeld zur Verfügung. Wir sind natürlich auch an Ergebnissen interessiert, die dazu beitragen, die städtische Verkehrsinfrastruktur effizienter und sicherer zu machen", so Oberbürgermeister Gunter Czisch.
"Um möglichst genaue Informationen zur Position einzelner Verkehrsteilnehmer zu bekommen, ist es wichtig, dass die Daten schnellstmöglich verarbeitet und verteilt werden", erklärt Nokia-Projektleiter Birger Hätty. Das intelligente Herzstück der Anlage bildet daher ein so genannter "Multi-Access Edge Computing"- Server von Nokia, der direkt ins Mobilfunknetz integriert ist und aufgrund der lokalen Datenverarbeitung Echtzeit-Kommunikation möglich macht. Der MEC-Server verrechnet die Daten der Videokameras und Radarsensoren mit Hilfe hochgenauer digitaler Karten aus einem Cloudserver zu einem lokalen Umfeldmodell, das über Funk an das hochautomatisierte Fahrzeug übermittelt wird. Und genau hier bringt der Telekommunikationskonzern Nokia seine Expertise ein. "Die technischen Möglichkeiten des Mobilfunknetzes müssen auf die Anforderungen beim automatisierten Fahren zugeschnitten werden. Vor allem muss die Latenz der Datenübertragung im Mobilfunknetz deutlich reduziert werden. Zum Einsatz kommen soll hier deshalb das LTE- und später das noch schnellere 5G-Mobilfunknetz", sagt Hätty.
Die Ulmer Forscher sorgen für eine zeitnahe Fusion der Daten
Der Arbeitsschwerpunkt der Ulmer Uni-Wissenschaftler liegt in der "latenzarmen" Fusion der Daten, die von Seiten der Infrastruktur über Sensoren gewonnen werden. Dabei geht es darum, möglichst ohne Zeitverzug Informationen zur Position und zum Verhalten von Verkehrsteilnehmern zu gewinnen, die dem automatisierten Fahrzeug die zeitnahe Handlungsplanung erlauben. Verrechnet werden dafür die Bilddaten von Videokameras sowie die Daten von sogenannten LiDAR-Sensoren. Diese Abkürzung steht für Light Detection And Ranging und bezeichnet ein laserbasiertes Messverfahren zur optischen Abstandserfassung. Die Ingenieure und Informatiker vom Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik (MRM) arbeiten zudem an der Entwicklung eines Referenzmesssystems, mit dessen Hilfe die Ergebnisse des Systems evaluiert werden können. Außerdem stellen sie eines ihrer hochautomatisierten Fahrzeuge zur Verfügung, mit dessen Hilfe die erfolgreiche Datenfusion im Straßenverkehr getestet werden kann. Für ihr Teilprojekt stehen den Ulmer Forschern gut 650 000 Euro aus dem Fördertopf zur Verfügung.
Zu den Projektpartnern des von Bosch koordinierten Verbundprojektes MEC View gehören die Universitäten Duisburg-Essen und Ulm sowie die Unternehmen Daimler, Nokia, Osram, TomTom und die Firma IT-Designer. Assoziierter Partner ist die Stadt Ulm.
Text und Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann