Seit Montag bündeln die Universität Ulm, das FZI Forschungszentrum Informatik sowie das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ihre Kompetenzen im Bereich automatisiertes Fahren im Tech Center a-drive. Als starker Industriepartner ermöglicht die Daimler AG die rasche Umsetzung in die Praxis. An der federführenden Universität Ulm hat Forschungsministerin Theresia Bauer das Zentrum eingeweiht.
Neben einem Festvortrag (Matthias Schulze, Daimler AG) und Grußworten der Partner hatte Bauer Gelegenheit, selbststeuernde Versuchsfahrzeuge zu inspizieren. „Forschungsverbünde wie das Tech Center a-drive sind überaus wirkungsvoll, um Wirtschaft und Wissenschaft eng zu verbinden – und um das Innovationsgeschehen noch reger, noch lebendiger zu machen. Lassen Sie uns alle gemeinsam – Wissenschaft, Wirtschaft und Politik – mit aller Kraft eine neue Ära der Automobilität einleiten: effizient, sicher, ökologisch, komfortabel und einfach intelligent“, so die Ministerin. Insgesamt wird das Tech Center a-drive für fünf Jahre mit 7,5 Millionen Euro gefördert: Die Daimler AG steuert 5 Millionen Euro bei, dazu kommen jeweils 1,25 Millionen Euro vom Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg.
„Ich wünsche dem Tech Center a-drive einen guten Start und eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Technologien, um Baden-Württemberg weiterhin als ,Automobil-Land Nummer 1‘ voranzubringen. Die erforderlichen Grundlagen sind geschaffen, die beteiligten Partner nehmen allesamt eine Vorreiterfunktion auf dem Gebiet des autonomen Fahrens ein. Die Universität Ulm wird ihrerseits die Forschungsarbeiten mit Nachdruck unterstützen und begleiten“, sagt der Ulmer Universitätspräsident Professor Michael Weber.
„Im Tech Center a-drive arbeiten Forschung und Industrie intensiv zusammen, um das automatisierte Fahren als zukunftsweisende Technologie zu etablieren. Das Automobilland Baden-Württemberg ist prädestiniert dafür, entscheidende Beiträge in diesem wichtigen Innovationsfeld zu liefern“, bekräftigt auch der Präsident des KIT, Professor Holger Hanselka. „Autonome Fahrzeuge helfen den Menschen dabei, sich sicherer von einem Ort zum anderen zu bewegen und auch im Alter mobil zu sein. Daher forscht das KIT an der Technologie für autonome Fahrzeuge und untersucht gleichzeitig die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik mit Blick auf die Akzeptanz neuer Mobilitätskonzepte in der Gesellschaft sowie ihre rechtlichen, ethischen und sozialen Aspekte.“
Auf dem Weg zum autonomen Fahren sind Wissenschaftler und Automobilbauer bereits weit gekommen: Assistenzsysteme erleichtern das Einparken oder andere Standardmanöver und unter idealen Rahmenbedingungen steuern Testfahrzeuge völlig führerlos durch den Straßenverkehr. Ein prominentes Beispiel ist die autonome „Bertha Benz-Fahrt“ der Daimler AG von Mannheim nach Pforzheim, die Daimler 2013 mit dem FZI Forschungszentrum Informatik und dem KIT möglich gemacht hat. Dafür ist ein ausgeklügeltes Zusammenspiel von Sensoren und Kameras nötig, die Umgebungsdaten an Rechner im Fahrzeug schicken. Diese „Mini-Computer“ analysieren die Daten, planen sinnvolle Handlungen und steuern schließlich Lenkung und Gaspedal an. Allerdings können veränderte Witterungsbedingungen oder unübersichtliche Verkehrssituationen dieses Zusammenspiel durcheinander bringen. Die Robustheit der Wahrnehmungs- und Handlungsplanung automatisierter Fahrzeuge zu verbessern, ist Forschungsziel des Tech Center a-drive.
Denn das autonome Fahren bringt zahlreiche – auch gesellschaftliche – Vorteile mit sich: Die Sicherheit und Effizienz im Verkehr nimmt zu, außerdem kann die Fahrtzeit für Nebentätigkeiten genutzt werden. Selbststeuernde Taxis könnten darüber hinaus die Mobilität älterer und behinderter Personen verbessern.
Starke Partner bündeln ihre Kompetenzen
An der Universität Ulm wird seit mehr als zehn Jahren zum automatisierten Fahren geforscht. Schwerpunkt des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik (Leitung Professor Klaus Dietmayer) ist der oft unübersichtliche innerstädtische Verkehr, in dem der Fahrer entlastet werden soll. Gemäß des interdisziplinären Forschungsschwerpunkts der Uni Ulm „Mensch-Maschine-Interaktion“ arbeiten Ingenieure, Informatiker und Psychologen eng zusammen – etwa im Forschungszentrum F3, gefördert von der Carl-Zeiss-Stiftung. Seit 2012 betreiben das Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik und die Daimler AG zudem das gemeinsame Innovationszentrum driveU. Eine Stiftungs-Juniorprofessur der Daimler AG für Informationsfusion und Tracking befindet sich im Besetzungsverfahren.
Forschungsergebnisse können umgehend in die Praxis übertragen werden: Zwei führerlose Fahrzeuge, die ihre Handlungen untereinander abstimmen, steuern über eine Teststrecke am Campus.
Ins Tech Center a-drive bringen die Ulmer Wissenschaftler um Klaus Dietmayer insbesondere ihr Know-how zur Sensorik, zur Sensorsignalverarbeitung, dem Multiobjekttracking und zur Informationsfusion ein. Ziel ist ein umfassendes dynamisches Umgebungsmodell des Fahrzeugs sowie dessen situative Bewertung. Professor Christian Waldschmidt (Institut für Mikrowellentechnik) wird zudem neuartige adaptive Sensoren für die Umgebungserfassung des Fahrzeugs entwickeln, die auf einzelne Umweltbereiche oder Objekte fokussieren können. Besonders wichtig: Diese Sensoren müssen unter allen Umweltbedingungen präzise funktionieren. „Das neue Tech Center a-drive ermöglicht eine deutlich intensivere Zusammenarbeit der beteiligten und auf dem Themengebiet schon langjährig sehr erfolgreichen Forschungseinrichtungen. Hierdurch wird es sicher gelingen, die Sichtbarkeit des Technologiestandorts Baden-Württemberg im Forschungsbereich ,automatisiertes Fahren‘ national wie international deutlich zu erhöhen“, betont Professor Dietmayer, Sprecher des Tech Center a-drive.
Auch das KIT forscht mit seinem Institut für Mess- und Regelungstechnik seit vielen Jahren erfolgreich an der Entwicklung autonomer Fahrzeuge. Im Tech Center a-drive untersucht das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT die Erwartungen und Wahrnehmungen, die Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich des automatisierten Fahrens haben. Denn im Zuge der Weiterentwicklung des automatisierten Fahrens verschieben sich die Verantwortlichkeiten im Verkehrsgeschehen erheblich. Dieses komplexe Netzwerk aus Technologie, Infrastruktur und menschlichem Verhalten wird heute weitgehend eigenverantwortlich durch den Menschen bestimmt. Beim automatisierten Fahren treten mehr und mehr technische Systeme als selbstständig handelnde Akteure in das Netzwerk ein. Diese neuen Formen der Kooperation zwischen Mensch und Technik müssen nicht nur erprobt, sondern auch rechtlich, ethisch und sozial bewertet werden. Als Beitrag dazu wird das ITAS in empirischen Studien die Sicht der Bürgerinnen und Bürger untersuchen. Was erhoffen sie sich von der neuen Technologie? Wie nehmen sie die Veränderungen wahr? Die Antworten auf diese Fragen werden entscheidend für die gesellschaftliche Akzeptanz des automatisierten Fahrens sein und bilden eine wichtige Orientierungshilfe für Forschung und Entwicklung.
Zentrale technische Herausforderungen bei der Umsetzung des automatisierten Fahrens beschäftigen die Wissenschaftler des FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe: Wie kann ein automatisches Auto schnell, zuverlässig und sicher auch auf spontane oder schwer vorhersehbare Situationen reagieren und dann entsprechend ausweichen oder den Fahrweg umplanen? Im Rahmen des Tech Center a-drive arbeitet das FZI daher zum einen an der Planung des Fahrwegs, der sogenannten Trajektorienplanung. Ziel ist, dass das automatische Auto nicht nur kollisionsfrei und regelkonform fährt, sondern auch sicher, effizient und aus Sicht der menschlichen Verkehrsteilnehmer kooperativ und natürlich. Zum anderen arbeitet das FZI an Beschreibungen und Konzepten zur durchgängigen wahrscheinlichkeitsbehafteten Situationsanalyse, um Fahrzeuge auch in schwierigen Verkehrssituationen zuverlässige, robuste Verhaltensentscheidungen treffen zu lassen. Hier sollen schwer einzuschätzende Objekte und Situationen im Fahrgeschehen möglichst präzise modelliert und vorhergesagt werden, um daraus automatisiert geeignete Fahrmanöver abzuleiten. In beiden Projekten sollen zusätzlich zu statischen Verkehrssituationen (wie Fahrstreifen oder Vorfahrtsregeln, die bereits gut beherrschbar sind) insbesondere die situativ entstehenden, dynamischen Verkehrsherausforderungen betrachtet und für das Fahrzeug plan- bzw. vorhersagbar werden.
Professor J. Marius Zöllner, Direktor und Vorstand am FZI Forschungszentrum Informatik: „Für den menschlichen Fahrer ist es einfach, auf Verkehrssituationen zu reagieren, die spontan auftreten: ein Fußgänger, der eine Straße überqueren will, oder ein Paketauto, das kurzfristig zum Ausliefern den Fahrstreifen blockiert und zum Überholen über den Fahrstreifen des Gegenverkehrs verleitet. Für ein automatisiertes Fahrzeug sind derartige Fahrmanöver eine Herausforderung. Solche Situationen für das selbstfahrende Fahrzeug beherrschbar zu machen, ohne dabei den Komfort, einen effizienten Verkehrsfluss und die Sicherheit zu vernachlässigen, ist Schwerpunkt unserer Forschung im Tech Center a-drive.“ Insgesamt ist das FZI an drei Projekten im Tech Center a-drive beteiligt.
Darüber hinaus befasst sich die gemeinnützige Forschungseinrichtung in zahlreichen öffentlich oder direkt geförderten Projekten auch mit Fragestellungen der IT-Sicherheit, mit Methoden und Tools für die Verifikation sowie mit geeigneten Architekturen von automatisierten Fahrzeugen.
„Das weltweite Rennen um die Führungsposition beim autonomen Fahren nimmt spürbar an Fahrt auf. Daimler will dabei auch weiterhin an der Spitze bleiben. Deshalb haben wir uns entschieden, mit dem Tech-Center a-drive die bestehende enge Kooperation mit der Universität Ulm, dem Forschungszentrum für Informatik (FZI) und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in eine strategische Partnerschaft zu überführen", resümiert Professor Ralf Herrtwich, Leiter der Fahrzeugautomatisierung bei Daimler.
Bildmaterial (Fotos: Eberhardt/Uni Ulm):
Foto (oben): Forschungsministerin Theresia Bauer mit den starken Partnern des Tech Center a-drive (v.l.): Stephan Wolfsried, Matthias Schulze (beide Daimler AG), dem Ulmer Universitätspräsidenten Prof. Michael Weber, Prof. Christoph Stiller (FZI/KIT), Dr. Thorsten Mahler (EICT), Prof. Klaus Dietmayer (Uni Ulm), Prof. Marius Zöllner (FZI/KIT) und Prof. Christian Waldschmidt (Uni Ulm)
Foto (unten): Ministerin Theresia Bauer lässt sich das Testfahrzeug der Uni Ulm von Prof. Klaus Dietmayer, Sprecher des Tech Center a-drive, erklären
Text und Medienkontakt: Annika Bingmann