Den Ulmer Physikprofessoren Martin Plenio und Fedor Jelezko ist erneut ein Coup gelungen: Wie bereits 2012 haben sie einen selten vergebenen Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) eingeworben. Drittes Mitglied im neuen Projekt HyperQ ist Professor Jan Hendrik Ardenkjær-Larsen von der Technischen Universität Dänemark. In den nächsten sechs Jahren werden die Wissenschaftler mit rund 9,4 Millionen Euro gefördert. Ziel ihres Forschungsvorhabens ist die Revolution von Kernspinanwendungen mithilfe der Quantentechnologie. Dabei haben die Forschenden nicht nur den allseits bekannten MRT-Scanner im Krankenhaus im Sinn, sondern auch winzige Sensoren, mit denen Stoffwechselprozesse in lebenden Organismen untersucht werden können.
Die Magnetresonanztomographie (MRT) eignet sich hervorragend, um Gewebe und Organe darzustellen, weshalb sie zum Beispiel in der Krebsdiagnostik eingesetzt wird. Allerdings sind diesem bildgebenden Verfahren aufgrund der geringen Empfindlichkeit bei Raumtemperatur Grenzen gesetzt: die Beobachtung von Stoffwechselprozessen oder von chemischen Reaktionen auf der Nanoskala sind nicht möglich. Dabei würden solche Anwendungen die Diagnostik und die Überwachung des Therapieerfolgs bei Krebs oder bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer erleichtern. Bisher kann die Sensitivität von Kernspinanwendungen wie MRT nur durch sehr starke Magnete erhöht werden.
Im Zuge des neuen Synergy Grants nimmt die Gruppe HyperQ die Herausforderung an, Kernspinanwendungen mithilfe der Quantentechnologie auf das nächste Niveau zu heben. Der Schlüssel zu neuen Möglichkeiten in Diagnostik, Therapie und Forschung ist die Hyperpolarisation. Darunter versteht man die kontrollierte Ausrichtung aller Kernspins in einer Materialprobe. Je präziser diese Ausrichtung gelingt, desto größer ist das magnetische Feld der Kernspins und das hierdurch erzeugte Signal. „Dank der Hyperpolarisation könnten Kernspinanwendungen wie die MRT-Bildgebung oder NMR-Spektroskopie eine nie dagewesene Empfindlichkeit erreichen“, erklärt Professor Martin Plenio, Leiter des Instituts für Theoretische Physik an der Universität Ulm.
Führende Forscher bündeln ihre Expertise
Um solche bildgebenden Verfahren und Sensoren der Zukunft zu entwickeln, bündeln führende Wissenschaftler ihre Kompetenzen im Projekt HyperQ: Ohne ihre selbst erdachten Methoden sowie Technologien zwischen Biomedizin und Quantentechnologie wäre das Forschungsvorhaben nicht umsetzbar.
Eine wichtige Grundlage hat Professor Jan Henrik Ardenkjær-Larsen mit dem Prinzip der „dissolution Dynamic Nuclear Polarisation“ (DNP) gelegt. Diese Technologie beruht auf dem Transfer der Polarisation von Elektronen- auf Kernspins. Bisher funktioniert das Verfahren allerdings nur bei extrem tiefen Temperaturen und starken Magnetfeldern. In Kombination mit der Diamantquantentechnologie könnten hingegen die gleichen Effekte bei Raumtemperatur und moderaten Magnetfeldern erreicht werden. Bei dieser von den Ulmer Professoren Jelezko und Plenio entwickelten Technologie spielen künstliche Nanodiamanten eine Schlüsselrolle: In den Farbstoffzentren dieser winzigen Steine können Elektronenspins kontrolliert und kohärent ausgerichtet werden.
Wenn es gelingt, diese Ausrichtung auf die umgebenden Moleküle zu übertragen, ist die Hyperpolarisation erreicht und das Kernspinsignal erheblich verstärkt – im Optimalfall sogar um Faktor 100 000. „Im Laborversuch konnten wir bereits Kernspinanwendungen auf der Mikro- und Nanoskala bei Raumtemperatur umsetzen“, sagt Professor Jelezko, Leiter des Instituts für Quantenoptik an der Universität Ulm und Sprecher des Projekts HyperQ.
Ungeahnte Einblicke in den Stoffwechsel als Projektziel
In der Laufzeit des ERC Synergy Grants wollen die Forschenden die verschiedenen Technologien kombinieren, weiterentwickeln und in die Anwendung tragen. Neben optimierten Kontroll- und Detektionsmethoden sollen neue Quantenmaterialien auf Basis künstlicher Diamanten entstehen. Weiterhin arbeitet die Gruppe HyperQ an „Diamantchips“, die eine Doppelfunktion als Polarisationsquelle und Detektor des Kernspinsignals haben. Im Zusammenspiel mit hyperpolarisierten Biomolekülen ermöglichen diese Sensoren ungeahnte Einblicke in den Zellstoffwechsel. Dazu müssen einzelne Zellen an die Sensoroberfläche andocken, denn nur so können die Magnetresonanzsignale der zuvor eingebrachten Biomoleküle gemessen werden. „Solche Stoffwechselscans in Echtzeit haben das Potenzial, die medizinische Bildgebung zu revolutionieren und ebnen den Weg zur personalisierten Präzisionsmedizin“, sagt Professor Jan Henrik Ardenkjær-Larsen, Sektionsleiter am „Department of Health Technology“ der Technischen Universität Dänemark. Insgesamt soll die HyperQ-Technologie an Herausforderungen der biologischen und medizinischen Bildgebung überprüft werden. Ein praktisches Ziel sind kostengünstige und handliche Kernspinanwendungen, die beispielsweise auch in Arztpraxen oder kleineren Forschungseinrichtungen zum Einsatz kommen.
„Die Einwerbung des zweiten Synergy Grants in Folge unterstreicht die Leistungsfähigkeit unserer Quantenphysiker, die regelmäßig unter den meistzitierten Wissenschaftlern der Welt zu finden sind und hochdotierte Projekte erhalten. Die Quantentechnologie zählt zu den strategischen Entwicklungsbereichen der Universität Ulm. Im Projekt HyperQ schlagen die Forschenden außerdem den Bogen von der Quantenphysik in die Medizin“, sagt Universitätspräsident Professor Michael Weber zu dem herausragenden Erfolg der Ulmer Physiker.
Viele Techniken und Ideen, die dem Projekt HyperQ zugrunde liegen, sind im Laufe des ersten Synergy Grants („BioQ“) entstanden. Aus dem Forschungsvorhaben sind zudem das Projekt HYPERDIAMOND zur Verbesserung der Magnetresonanztomographie sowie das Start-up „NVision Imaging Technologies“ hervorgegangen.
Erst kürzlich konnten die beteiligten Forschenden das auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Zentrum für Quanten- und Biowissenschaften (ZQB) auf dem Ulmer Campus beziehen. In diesem 23 Millionen Euro teuren, von Bund, Land und Universität finanzierten Gebäude ist auch das Projekt HyperQ angesiedelt.
Informationen zum ERC Synergy Grant
Um einen Synergy Grant des European Research Council (ERC) können sich Forschende mit einer exzellenten Leistungsbilanz bewerben.
Die ausgewählten Projekte sind oft an der Schnittstelle mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen angesiedelt und umfassen regelmäßig die Entwicklung neuer Technologien und Methoden. Die Bearbeitung der Forschungsfragen soll ausschließlich durch die am Projekt beteiligten Wissenschaftler möglich sein. In einem hochkompetitiven, mehrstufigen Verfahren werden Anträge für einen Synergy Grant von einem unabhängigen Expertengremium begutachtet. Forschende, die in diesem Verfahren die letzte Stufe erreichen, werden zu einem Interview nach Brüssel eingeladen. Die maximale Förderung pro Projekt beträgt 10 Millionen Euro für eine Laufzeit von sechs Jahren. Im Zuge des aktuellen Auswahlverfahrens werden 37 Forschergruppen in 20 Ländern mit insgesamt 363 Millionen Euro gefördert. Der ERC Synergy Grant ist Teil des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizon 2020.
Text & Medienkontakt: Annika Bingmann