Chronische Durchfallerkrankungen beginnen meist schon im ersten Lebensjahr und können schlimme Folgen haben – von Wachstums- und Gedeihstörungen bis zum Tod. Kinder mit diesen seltenen, meist genetisch bedingten Erkrankungen müssen in vielen Fällen künstlich ernährt werden, denn ihr Darm kann die Mineral-, Protein- und Nährstoffbilanz nicht aufrecht erhalten („Darmversagen“). Die Aufklärung zugrunde liegender Gendefekte hilft nicht nur den Betroffenen, sondern führt auch zu einem besseren Verständnis der komplexen Verdauungsvorgänge. Einen weiteren Baustein hat Dr. Carsten Posovszky von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin beigesteuert. Für seine Veröffentlichung im Journal „Pediatric Blood and Cancer“ über die seltene Erkrankung FHL Typ 5, die auch ein Darmversagen verursachen kann, ist er mit dem Wissenschaftspreis der deutschsprachigen Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) über 2500 Euro ausgezeichnet worden. Im Zuge der GPGE-Jahrestagung war die Arbeit von einer Jury und dem Publikum bewertet worden.
Die familiäre lymphohistiozytäre Hämophagozytose (FHL) ist eine Erkrankung des körpereigenen Abwehrsystems. Eine überschießende Immunreaktion mit hohem Fieber, die einer Blutvergiftung ähnelt, ist charakteristisch und teils lebensbedrohlich. Dazu kommen oft Darmversagen, Innenohrschwerhörigkeit oder eine gestörte Nierenfunktion. „Diese Symptome werden durch fehlerhafte Transportprozesse in weißen Blutzellen, den Lymphozyten, verursacht. Die Erkrankung kann normalerweise mit einer Stammzelltransplantation geheilt werden, wobei die körpereigenen, kranken Lymphozyten erst ausgemerzt und dann durch gesunde Spenderzellen ersetzt werden“, erklärt der Preisträger. Bei den vier in der ausgezeichneten Publikation beschriebenen Patienten mit FHL Typ 5 blieb die Darmsymptomatik jedoch auch nach einer erfolgreichen Stammzelltransplantation bestehen.
Neue Bausteine für das Verständnis von Darmversagen
Dr. Posovszky begab sich also auf Ursachensuche: Gemeinsam mit Kollegen hat er die Krankheitsverläufe der vier betroffenen Familien aus Deutschland, Pakistan, Saudi Arabien und Israel aufgearbeitet und Gewebeproben aus Darm sowie Niere untersucht. „Durch histopathologische und elektronenmikroskopische Analysen konnten wir zeigen, dass eine geregelte Nahrungsaufnahme durch eine Störung der Membranorganisation der Darmzellen verhindert wird. Tatsächlich tragen Mutationen im STXBP2-Gen dazu bei, dass die epithelialen Transportprozesse nicht richtig funktionieren“, erklärt Posovszky. Den betroffenen Geweben in Darm, Niere und Innenohr ist gemein, dass sie aus so genannten Epithelzellen bestehen. An der Oberfläche der Epithelzellen findet der Transport von unterschiedlichen Stoffen durch die Zellmembran statt. Größere Moleküle oder Nahrungsteilchen können durch Einstülpungen dieser Biomembran in die Zelle aufgenommen werden. Die Epithelzellen können durch membranverlagernden Transport aber auch Stoffe wieder an die Zellumgebung abgeben.
„Nun erforschen wir das Zusammenspiel des STXBP2 Proteins mit anderen Membranfusionsproteinen, um seine Rolle für die Zellmembranentwicklung und die epithelialen Transportprozesse aufzuklären“, sagt Carsten Posovszky, Letztautor der ausgezeichneten Publikation. In Zukunft wird er also weitere Bausteine zum Verständnis des Verdauungsvorgangs und zur Therapie seltener Darmerkrankungen beisteuern.
Verantwortlich: Annika Bingmann
Persistent defective membrane trafficking in epithelial cells of patients with familial hemophagocytic lymphohistiocytosis type 5 due to STXBP2/MUNC18-2 mutations. Stepensky P, Bartram J, Barth TF, Lehmberg K, Walther P, Amann K, Philips AD, Beringer O, Zur Stadt U, Schulz A, Amrolia P, Weintraub M, Debatin KM, Hoenig M, Posovszky C. Pediatric Blood Cancer. 2013 Jul;60(7):1215-22. doi: 10.1002/pbc.24475. Epub 2013 Feb 4.
Bildunterschrift: Auszeichnung bei der GPGE-Jahrestagung in Berlin (v.r.): Preisträger Dr. Carsten Posovszky von der Ulmer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Dr. Stephan Buderus, 1. Vorsitzender der GPGE, und Dr. Judith Pichler (Wien)
Foto: Dr. Martin Claßen