Vergesslichkeit, Orientierungsstörungen und eine verlangsamte Sprache - die Symptome der Alzheimer-Krankheit sind bekannt. Was jedoch in den Gehirnen der meist älteren Betroffenen passiert, ist noch nicht vollständig verstanden. Als charakteristisch für die häufigste neurodegenerative Krankheit gelten Eiweißablagerungen, so genannte Amyloidplaques, und Tau-Neurofibrillen. Welche Auswirkungen weitere Veränderungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten haben, untersucht eine Gruppe um den Ulmer Neuropathologen Professor Dietmar Thal. Diese bisher unzureichend beachteten Hirnschädigungen könnten eine Schlüsselrolle bei der Suche nach einer wirksamen Therapie spielen. Das Forschungsprojekt „Begleiterkrankungen im Gehirn von Alzheimer Patienten“ wird für zwei Jahre von der Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI) mit rund 79 000 Euro gefördert.
Untersuchungen an über 500 Autopsiefällen
Im Zuge des Projekts wollen die Wissenschaftler mehr als 500 Gehirne von Alzheimer-Patienten in vorklinischen (~250 Fälle) und klinischen Krankheitsstadien (~100 Fälle) und von gesunden Personen (~150 Fälle) neuropathologisch untersuchen. Bei vielen Betroffen finden sich Ablagerungen der Proteine TDP43, α-Synuklein und Aktin, die auch bei anderen neurodegenerativen Krankheiten wie Parkinson oder der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) vorkommen. Außerdem lassen sich oft Gefäßveränderungen und somit Hirngewebsschädigungen nachweisen. Der Bedeutung dieser Begleiterscheinungen für die Diagnose und Behandlung der Erkrankung sind die Forscher auf der Spur: „Bislang wurden Therapien gegen die Alzheimer-Krankheit auf Amyloid-Plaques und Neurofibrillenbündel ausgerichtet, wobei signifikante Erfolge ausgeblieben sind“, erläutert Dietmar Thal. Eventuell seien die begleitenden Schädigungen im Gehirn für die geringen Fortschritte in der Alzheimer-Behandlung verantwortlich. Die Gruppe hofft also, das Zusammenspiel der degenerativen Veränderungen besser zu verstehen und letztlich Zielproteine für Therapieansätze zu identifizieren.
„Möglicherweise können Demenzfälle, die ja meist im fortgeschrittenen Alter auftreten, durch eine Kombination neurodegenerativer und vaskulärer Erkrankungen verursacht werden“, erklärt Thal. Da sich bei den meisten neurodegenerativen Krankheiten Eiweißansammlungen im Gehirn bilden, seien gemeinsame Mechanismen und Querverbindungen sehr gut vorstellbar.
Bereits zweite AFI-Förderung für Prof. Thal
Professor Dietmar Thal (Jahrgang 1967) hat in Frankfurt am Main Humanmedizin studiert und dort auch promoviert. Nach weiteren Stationen in Offenbach, Leipzig und Bonn forscht er seit 2007 in der Sektion Neuropathologie am Ulmer Institut für Pathologie. Er gehört unter anderem dem Neurozentrum Ulm und der kürzlich gegründeten „Projektgruppe Alzheimer-Forschung“ an. Seine Schwerpunkte sind die Ablagerung des Amyloid-Beta-Proteins im gesunden alternden Gehirn und bei der Alzheimer-Krankheit sowie die Ablagerung und Toxizität des Amyloid-Beta-Proteins in einem bestimmten Mausmodell der Alzheimer-Krankheit. Für seine wissenschaftliche Arbeit zu toxischen Formen des Amyloid-Beta-Proteins ist Dietmar Thal bereits von der AFI gefördert worden. In Zukunft wird er sich weiter mit der Identifikation von Proteininteraktionen im Verlauf der präklinischen und klinischen Phase der Krankheit beschäftigen.
Deutschlandweit fördert die AFI ab sofort zehn weitere Forschungsvorhaben zur Alzheimer-Krankheit. Die Projekte in Aachen, Dresden, Freiburg, Heidelberg, Leipzig, München und Ulm sind vom wissenschaftlichen Beirat der AFI und ihren niederländischen und französischen Schwesternorganisationen ausgewählt worden.
Verantwortlich: Annika Bingmann