Professor Bernhard Rieger, 47, Direktor des Instituts für Materialien und Katalyse, verlässt die Universität Ulm und übernimmt neben dem Lehrstuhl für makromolekulare Stoffe an der Technischen Universität (TU) München auch das dort angesiedelte Institut für Siliziumchemie, eine mit sechs Millionen Euro ausgestattete Stiftung und Forschungseinrichtung der Wacker Chemie. „Keine Frage, dass dieser Ruf mit einem überaus attraktiven Angebot verbunden war. Dennoch ist mir die Entscheidung nicht leicht gefallen“, kommentiert der Chemiker seinen Wechsel an die schon im Vorjahr als Elite-Universität klassifizierte Münchner Vorzeige-Uni. Die Universität Ulm freilich verliert damit einen ihrer profiliertesten Wissenschaftler. „Natürlich bedauern wir es, wenn uns ein ausgewiesener Leistungsträger verlässt“, sagt Präsident Professor Karl Joachim Ebeling, „andererseits haben wir Verständnis für die Entscheidung, die ihm eine Riesenchance bietet“. Überdies sei der Ruf an Professor Rieger auch eine Anerkennung für die Leistungsfähigkeit der Ulmer Universität. Ebenso sieht es der Chemie-Professor selbst: „Unser Institut ist international sichtbar. Das war die Basis für das Angebot aus München.“ Und für ihn selbst sei die Zeit in Ulm „in persönlicher und beruflicher Hinsicht wertvoll“ gewesen.
„Jetzt aber freue ich mich auf neue Herausforderungen“, sagt Bernhard Rieger, der bereits zwischen Ulm und München pendelt: Zwei Tage pro Woche noch hier, ansonsten schon in der Bayern-Metropole. Wo ihn in der Tat neue wissenschaftliche Fragestellungen erwarten. Zum einen auf seinem Spezialgebiet Materialien und Katalyse, mit dem er an der TU auch die Lehre entsprechend ausrichten soll, zum anderen in dem von ihm geleiteten Institut der Wacker-Stiftung mit dem Schwerpunkt siliziumbasierte Polymere. „Wir wollen hier völlig neue Ansätze in der Siliziumchemie suchen“, erklärt der Wissenschaftler. Mithin in Forschung und Lehre schon ein gewisser Unterschied zu seiner Arbeit in Ulm. „Hier war ich gewissermaßen die Schnittstelle zwischen organischen und anorganischen Materialien“, verdeutlicht Professor Rieger. Metallorganik, Katalysatordesign, Reaktortechnologie und dies mit einem Bezug zur makromolekularen Chemie – das Ganze im Verbund und unter dem Dach seines Instituts sei schon ein Vorteil gewesen. „Nicht zuletzt ein wichtiger Faktor für Firmen, die mit uns zusammenarbeiten wollten.“ Auf rund sechs Millionen Euro beziffert der Wissenschaftler sein Drittmittel-Aufkommen in den vergangenen Jahren, fraglos eine bemerkenswerte Bilanz.
Wie für die „Ulmer Chemie“ insgesamt. „Sie hat sich hervorragend etabliert“, urteilt Bernhard Rieger, erinnert unter anderem an die sehr gute Platzierung beim jüngsten Ranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Sein bislang größer persönlicher Erfolg: Der angesehene Philip Morris Forschungspreis im Vorjahr für ein Gemeinschaftsprojekt mit dem BASF-Chemiker Dr. Gerrit Luinstra. Womöglich noch nicht die letzte Auszeichnung für die Entwicklung der beiden Wissenschaftler, neuartige Katalysatoren zur Herstellung synthetischer Biomaterialien, vielseitig verwendbar und kompostierfähig. „Inzwischen sind daran zahlreiche Firmen aus dem In- und Ausland interessiert“, berichtet Professor Rieger. Ziel jetzt: „Das Verfahren schnellstmöglich zur praktischen Anwendung bringen.“ Das werde allerdings schon noch einige Jahre dauern.
Der Wissenschaftler, der mehr als 60 Patente besitzt und für ein Projekt mit der Firma Procter und Gamble auch den Kooperationspreis Wissenschaft/Wirtschaft der Universität Ulm erhalten hat, bekennt zwar: „Ich bin halt nun mal forschungsorientiert.“ Gleichwohl engagiere er sich ohne Abstriche („das wird auch in München so bleiben“) in der Lehre. Nicht ohne Stolz betont Rieger: „Unser interdisziplinärer Anspruch in Ulm galt immer auch für die Lehre.“ Dokumentiert unter anderem durch den Landeslehrpreis 1999, aber auch durch die Vorlesungen in jeweils einem Semester über Bio- und Nanomaterialien, gemeinsam getragen mit den Professoren-Kolleginnen Nicola Hüsing und Katarina Landfester sowie den Professoren Dirk Volkmer und Peter Bäuerle. „Damit hatten unsere Studenten die Chance, verschiedene Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen.“
Und die Uni Ulm aus dem Blickwinkel des Scheidenden? „Ich habe mich im Kollegenkreis und in der Fakultät immer sehr wohl gefühlt“, sagt Bernhard Rieger, „ungeachtet mitunter harter Diskussionen“. Fraglos ein Vorteil sei die Bündelung aller drei Naturwissenschaften in einer Fakultät. Bemerkenswert aus seiner Sicht auch die hervorragende Unterstützung durch die Verwaltung. Viel Spaß gemacht habe ihm zudem die Arbeit im Universitätsrat. „Jetzt drehe ich eben mein Lebensrad ein Stück weiter“, philosophiert der Noch-Teilzeit-Ulmer. Nach München mitnehmen wird er wohl rund zehn Nachwuchswissenschaftler, die mitten in ihrer Doktorarbeit stehen. Auch an seinen Hobbys will er möglichst festhalten: Das Sammeln alter naturwissenschaftlicher Bücher und Reisebeschreibungen, das Lesen, vor allem Bücher mit physikalischen Fragestellungen und zur geschichtlichen Entwicklung der Quantenmechanik, und die Musik mit ziemlich unterschiedlichen Vorlieben: Jazz und Klassik, „am liebsten aus der Bach-Ecke“. Nur ein Steckenpferd habe er bereits in Ulm absatteln müssen: „Lange habe ich noch Arabisch gelernt“, erinnert sich Bernhard Rieger, „aber irgendwann war das zeitlich nicht mehr zu machen“.
Wechsel an die TU München
Willi Baur Universität UlmProfessor Bernhard Rieger verlässt die Universität Ulm
„Drehe mein Lebensrad ein Stück weiter“