Für Professor Heiko Neumann und Cornelia Beck vom Institut für Neuroinformatik der Universität Ulm wie die weiteren Mitglieder der Forschungsgruppe war es ein „Pisa-Test“ der besonderen Art: Im Labor eines Forschungsinstituts unweit des Schiefen Turms umkurvte ein Roboter auf seinem Weg zum Ziel auch sich bewegende Hindernisse, reagierte prompt auf kreuzende Gegenstände und erreichte den Ausgang ohne jeden Rempler. Gesteuert wurde der fahrbare Geselle von einer Software, entwickelt von Neumanns Arbeitsgruppe an der Uni Ulm in Zusammenarbeit mit dem Psychologie-Professor Mark Greenlee von der Universität Regensburg sowie verschiedenen Neurowissenschaftlern aus Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, Schweden und den Niederlanden.
„Keine Frage“, sagt Professor Neumann, „der Weg zur praktischen Anwendung ist noch weit“. Aber „eine Art technischer Blindenhund“ sei durchaus vorstellbar und technisch zu realisieren. Ein Ziel des EU-geförderten Projekts mit dem Namen „Decisions-in-Motion“ sei schließlich ein Hilfsmittel, um visuell beeinträchtigte Menschen zu leiten, auch außerhalb der eigenen vier Wände und sogar im Straßenverkehr. „Die erste Förderphase über 3 Jahre haben wir mit einer Begutachtung erfolgreich abgeschlossen“, freut sich Neumann, „jetzt bemühen wir uns mit einem neuen Antrag um eine Verlängerung der Forschungsförderung zu diesem Thema“. Dabei soll in den Roboter unter anderem ein Kamerakopf mit realistischen Augenbewegungen integriert werden. Die Gesamtarchitektur des visionären Geräts jedenfalls könne auf diesen Vorarbeiten aufbauen.
Und die waren nicht unerheblich, schon im Vorfeld und nicht nur in der Ulmer Neuroinformatik. „Basis für uns war die Funktionsweise des menschlichen Gehirns“, macht Heiko Neumann deutlich, „vor allem des Sehsystems“. Zentrale Fragen dabei: Wie verarbeitet das Gehirn über die Augen wahrgenommene Informationen? Wie reagiert es auf unterschiedliche Situationen und wie kommt es zur Entscheidungsfindung? Und dazu, Neumann zufolge eine besondere Herausforderung, weil die Bewegungsanalyse in verschiedenen Bereichen entstehe: „Wie unterscheidet das Gehirn bei dem, was die Netzhaut erreicht, zwischen eigener und fremder Bewegung, wie zwischen links und rechts oder unterschiedlichen Geschwindigkeiten?“
Antworten darauf lieferten Psychologen und Neurowissenschaftler, unter anderem mit Erkenntnissen aus speziellen Untersuchungen von Probanden im Kernspintomographen, bei denen Probanden verschiedene Entscheidungsaufgaben zu lösen hatten. Die Reaktionen der Neuronen auf Bewegungen wurden in Form mathematischer Modelle beschrieben und anschließend als Rechnerprogramm simuliert. „Daraus entwickelten wir von den Vorgängen im Gehirn abgeleitete Algorithmen und letztlich eine modellierte Bewegungsanalyse, die wir praktisch in den Roboter implantiert haben“, so Professor Neumann. Diese „gehirninspirierte Software“ ermögliche ihm den unfallfreien Hindernislauf. Bislang allerdings nur im Labor der Scuola Superiore Sant’Anna in Pisa, geleitet von Dr. Antonio Frisoli und Professor Massimo Bergamasco, an dem Projekt ebenfalls maßgeblich beteiligt: Die Wissenschaftler in der Toscana haben den Roboter gebaut.
Weitere Informationen: Prof. Dr. Heiko Neumann, Tel. 0731/50-24158