Warum fliegen im wahrsten Sinne des Wortes fast ausschließlich Wespen und nicht auch andere typische Blütenbesucher wie Honigbienen oder Hummeln auf die Blüten von Epipactis helleborine, einer auch in Baden-Württemberg heimischen und hier als Breitblättrige Stendelwurz bekannten Orchideenart. Diese Frage, die schon den bedeutenden Naturforscher Charles Darwin (1809 bis 1882) beschäftigt hat, haben jetzt Professor Manfred Ayasse und seine Mitarbeiterin Jennifer Brodmann vom Institut für Experimentelle Ökologie der Universität Ulm beantwortet. Ihre Arbeit veröffentlicht dieser Tage die sehr renommierte Fachzeitschrift Current Biology und zwar am 8. Mai online sowie zwei Wochen später in der gedruckten Ausgabe.
Demnach locken die Orchideen ihre Besucher, in diesem Fall so genannte soziale Faltenwespen, mit bestimmten Duftstoffen zur Bestäubung an. Nicht mit irgendwelchen beliebig produzierten Substanzen freilich, sondern einem äußerst raffinierten Verfahren, „chemische Mimikry“ nennt es Professor Ayasse. Bereits bekannt waren Anpassungen der Blütenform an Besuch und Bestäubung durch verschiedene Wespenarten. Zur „typischen Wespenblume“ allerdings avanciert die Breitblättrige Stendelwurz erst durch ihre speziellen Duftstoffe.
Dabei seien Orchideen „Weltmeister, wenn es darum geht, mit Hilfe von Täuschmanövern ihre Bestäuber anzulocken“, erklärt der Ulmer Wissenschaftler. Ayasse und Brodmann zufolge gelingt es Epipactis helleborine, Duftstoffe nachzuahmen, die von Pflanzen als eine Art von Hilferuf abgegeben werden. Dann nämlich, wenn diese von Pflanzen fressenden Insekten befallen sind, von Kohlweißlingsraupen etwa. „Und Wespen ernähren ihre Brut oft gerade mit diesen Raupen, die sie mit Hilfe dieser Duftstoffe finden.“ Die befallenen Pflanzen lockten also die „Fressfeinde“ der Raupen an, in diesem Fall Wespen, um sich gegen den Befraß zur Wehr zu setzen.
Der Trick der Orchideen sei nun, durch Produktion dieser Verbindungen Beute jagende Wespen zur Bestäubung anzulocken. „Sie finden bei den Blüten dann zwar keine fleischliche Nahrung, dafür aber jede Menge Nektar. Das führt dazu, dass die Wespen anschließend auch weitere Blüten dieser Orchideenart besuchen und sie bestäuben“, beschreibt Professor Ayasse den Ablauf des Täuschmanövers. Die bereits identifizierten Substanzen werden von den Ulmer Forschern derzeit in Zusammenarbeit mit einem Unternehmen aus den USA (Sterling Rescue) auf ihre Eignung als Wespenlockstoff untersucht, mit dem Ziel einer umweltfreundlichen Wespenfalle nämlich. „Durch diesen anwendungsorientierten Aspekt erhält unsere Arbeit neben der wissenschaftlichen auch eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung“, freut sich Ayasse und ergänzt: „Ein weiteres Beispiel dafür, dass ursprünglich Grundlagen orientierte Forschung oft zu Ergebnissen führen kann, die in einer konkreten Anwendung enden.“