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Unterricht im „Grünen Klassenzimmer“:
Ein halber Tag mit Langzeitwirkung

Universität Ulm

Jährlich rund 2500 Schülerinnen und Schüler und auch in diesem Jahr bis weit in den Herbst hinein ausgebucht: Für den Botanischen Garten der Universität Ulm ist das „Grüne Klassenzimmer“ schon seit 1997 ein absolutes Erfolgsmodell.
Für seinen Initiator ist es das jetzt auch. Dr. Jürgen Drissner, der das außerschulische Bildungsangebot entwickelt, aufgebaut und seither geleitet hat, hat sich mit einer breit angelegten Arbeit über das Konzept und die Wirkungen des bundesweit in dieser Form wohl einmaligen Unterrichts habilitiert, lehrt inzwischen als Privatdozent auch Biologie an der Pädagogischen Hochschule (PH) Schwäbisch Gmünd.

„Keine Frage“, sagt Drissner, die Kinder und Jugendlichen seien bei der Beschäftigung mit den Lebensräumen Wald, Wiese und Gewässer von Anfang an mit Feuereifer bei der Sache gewesen, die Reaktionen danach stets positiv bis begeistert und die Nachfrage sei weiter ungebremst. Gleichwohl hätten ihn seit längerem verschiedene Fragestellungen beschäftigt: „Ist unser Konzept noch zeitgemäß, auch unter Berücksichtigung modernster Aspekte der Umweltpädagogik? Müssen wir etwas ändern? Bleibt bei den Kindern etwas ‚hängen‘ und wenn ja: was?“ Im Sprachgebrauch der Wissenschaft eine Evaluation also, verbunden mit einer Einordnung der pädagogischen Maßnahmen  auf nationaler und internationaler Ebene, der Identifizierung von Anknüpfungspunkten zu aktuellen Bildungsplänen und einigen weiteren Themen mehr.

Entstanden ist die Untersuchung in Zusammenarbeit mit Professor Hans-Martin Haase, Experte für nachhaltige Umweltpädagogik an der PH Schwäbisch Gmünd, und Dr. Katrin Hille, Forschungsleiterin am Zentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) in Ulm, insbesondere ihrer psychologischen Expertise bei der Gestaltung der Fragebögen wegen. Die Arbeit, in die auch die Ergebnisse früherer Studien eingeflossen sind, bestätigt Dr. Drissner zufolge dem „Grünen Klassenzimmer“ fraglos die damit angestrebten Wirkungen.

„Demnach haben wir viele Forderungen moderner Umweltpädagogik mit Erfolg umgesetzt“, freut sich der Wissenschaftler, der an der Uni Ulm studiert und promoviert hat. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang sei etwa, „dass Schüler die Möglichkeit haben, Lebewesen direkt in realer Lebenssituation durch eigenes Handeln kennen zu lernen“. Die dabei entstehenden Emotionen förderten einerseits die Motivation, sich mit den Kleintieren der Heimat zu beschäftigen, andererseits beeinflussten sie ganz entscheidend die Einstellungen der Schüler zu diesen Lebewesen. „Und gerade den Emotionen wird in der Bildungsarbeit für eine nachhaltige Entwicklung im Hinblick auf eine langfristige Wirkung große Bedeutung zugemessen“, so der Biologe, „selbst nach fünf Jahren ist eine gesteigerte Emotionalität gegenüber Kleintieren noch nachzuweisen“.

Dabei seien die Wirkungen des naturnahen Unterrichts umso bemerkenswerter angesichts der Tatsache, dass der Aufenthalt im Botanischen Garten gerade mal einen halben Tag dauere. „Ein überschaubarer Aufwand auch für die Lehrkräfte, die das Thema durchaus in der Schule nachbereiten können“, erklärt Drissner weiter. Zudem könne ein Besuch des „Grünen Klassenzimmers“ problemlos in Lehrpläne aller Schularten integriert werden. Anknüpfungspunkte jedenfalls gebe es für alle Schultypen zur Genüge. Wobei, wie der gebürtige Günzburger weiß, Pädagogen mitunter auch fächerübergreifende Themen wählen, Biologie in Verbindung mit Kunst etwa, Geografie oder Deutsch.

Grundsätzlich aber erfolge die Übernahme einer Schulklasse unabhängig von der Vorbildung der jeweiligen Lehrkraft. „Dies gewinnt vor allem dadurch an Bedeutung, weil viele Lehrer gern einen Spezialisten integrieren, um dann mit ihren Schülern in den einzelnen Lebensräumen aktiv werden und hier unterrichten zu können“, hat Dr. Drissner festgestellt. Vertraut ist ihm freilich auch die Ausgangslage: „Die Artenkenntnis, gerade was Kleintiere betrifft, liegt darnieder“, meint der Biologe und dies gelte wohl auch für das Verhältnis zur Natur. Letzteres indes nicht nur hierzulande, wie er bedauert: Einer amerikanischen Studie zufolge spielen Schüler lieber zuhause als im Wald. Begründung: Da gibt es mehr Steckdosen.

Von Willi Baur