Was haben flossenamputierte Zebrafische und trübe Hornhäute auf einem Dermatologen-Kongress zu suchen? Rund 350 Mediziner und Naturwissenschaftler, die von Donnerstag bis Samstag an der 42. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Forschung (ADF) in Ulm teilgenommen haben, kennen die Antwort.
Das Bindeglied sind Stammzellen, „Alleskönner“ und „Mechaniker“ des Körpers, die sich in verschiedene Gewebe verwandeln können und so Defekte reparieren. „Stammzellen sind wichtig, um das Gleichgewicht der Haut aufrecht zu erhalten. Sie können jedoch auch eine entscheidende Rolle bei der Krebsentstehung spielen“, sagte Professorin Karin Scharffetter-Kochanek, Gastgeberin der Tagung sowie Ärztliche Direktorin der Ulmer Universitätsklinik für Dermatologie und Allergologie. Bei dem Kongress zeigte ein hochrangig besetzter Workshop mit Molekularmedizinern und einem Entwicklungsbiologen das Forschungsspektrum und eben diese beiden Seiten der Stammzellen auf. Und auch sonst bewiesen die Dermatologen Sinn für Interdisziplinarität.
Stammzellen gelten als Hoffnungsträger der Medizin: Mit ihrer Hilfe sollen bereits Wunden von Diabetikern oder Brandopfern geschlossen worden sein, denen die Amputation des betroffenen Glieds drohte. Und auch an der Universität Ulm wird intensiv zu den Alleskönnern geforscht: Im neuen „Trauma“-Sonderforschungsbereich untersuchen Wissenschaftler, wie Stammzellen die Regeneration des verletzten Gewebes nach schweren Unfällen unterstützen können. Die Alterung der „Mechaniker“, die ihren Reparaturauftrag im Körper dann nicht mehr richtig erfüllen können, ist darüber hinaus ein wichtiges Thema der Klinischen Forschergruppe 142 (Sprecherin Prof. Scharffetter-Kochanek).
Eines Tages könnten Blinde durch die Übertragung bestimmter Stammzellen sogar das Augenlicht wiedererlangen. Entsprechende Forschungsergebnisse stellte Professorin Natasha Frank von der Harvard Medical School bei dem Workshop vor. „Am Übergang von der Hornhaut zur Lederhaut des Auges, im so genannten Limbus, finden sich Stammzellen, die für die Regeneration der Cornea sorgen. Ein Mangel dieser Stammzellen führt zur Erblindung“, erklärte Natasha Frank. Bisher sei es jedoch schwierig gewesen, limbale Stammzellen aufzuspüren. Doch nun hat die Gruppe um Frank das Molekül ABCB5 als Marker identifiziert und so bereits erfolgreiche Transplantationen im Mausmodell durchgeführt. Dank gesunder limbaler Stammzellen, die einer Maus mit Hornhautschaden übertragen wurden, konnte das Tier wieder sehen. „Unsere Ergebnisse tragen womöglich zur besseren Behandlung von Hornhautschäden beim Menschen nach Unfällen mit Chemikalien oder Verbrennungen bei“, sagte die Medizinerin. Doch Stammzellen aus dem Limbus sind rar, deshalb hofft Natasha Frank in Zukunft auf andere „Mechaniker“ zurückgreifen zu können – zum Beispiel aus der Haut.
Zebrafisch als Vorbild
Über die unglaublichen Fähigkeiten des Zebrafischs können selbst Stammzellforscher nur staunen: „Verliert der Wasserbewohner eine Flosse, wächst sie innerhalb von nur zwei Wochen vollständig und perfekt nach“, verdeutlichte Professor Gilbert Weidinger vom Institut für Molekulare Biologie und Biochemie bei der Tagung. Im Gegensatz zu Säugetieren, bei denen nur einige Organe wie die Leber und die Haut regenerieren, erneuern Zebrafische sogar Gehirn, Herz und Retina in kurzer Zeit. Die Grundlagen dieser „Wunderheilung“ konnte Weidinger bereits aufdecken: Verletzt sich der Wasserbewohner, werden differenzierte, adulte knochenbildende Zellen aktiviert, die sich zurück ins Vorläuferstadium entwickeln und so den Knochen reparieren. Aber welche Gene steuern die unerschöpfliche Regenerationsfähigkeit des erwachsenen Tiers und welche molekularen Signalwege sind dabei aktiv?
Bei der ADF-Tagung brachte Gilbert Weidinger die Ärzte und Naturwissenschaftler auf den neuesten Stand: „Der Wnt-Signalweg ist zweifelsfrei wichtig für die Regeneration der Fischflosse. Allerdings konnten wir keine entsprechende Aktivität in der Oberhaut oder in den ,Vorläufer-Zellen‘ nachweisen und nehmen deshalb an, dass Wnt-signaling indirekt wirkt, also ,Organisationszentralen‘ ansteuert, die wiederum den Heilungsprozess in angrenzenden Geweben anstoßen.“ Es lohnt sich genauer hinzuschauen, denn der Zebrafisch hat als Wirbeltier viel mit dem Menschen gemeinsam, als Modellorganismus ist er etabliert.
Die dunkle Seite der Stammzellen verdeutlichte die Molekularmedizinerin Dr. Catherin Niemann. Die Kölnerin sprach über Mutationen in Stammzellen des Haarbalgs, die das Wachstum von malignen Talgdrüsentumoren befördern. Doch auch abseits der Stammzellforschung schauten die Tagungsteilnehmer über den „Tellerrand“: Für das Verständnis und letztlich die erfolgreiche Behandlung von Neurodermitis bei Kindern ist die Zusammenarbeit mit Epidemiologen wie Professor Dietrich Rothenbacher und PD Dr. Jon Jakob Genuneit von der Uni Ulm wichtig. Gemeinsam mit Professor Johannes Weiss (Universitätsklinik Ulm für Dermatologie und Allergologie) stellten sie bei der Tagung Ergebnisse der SPATZ Gesundheitsstudie vor, bei der Kinder und ihre Familien über einen längeren Zeitraum regelmäßig untersucht werden. Weiterhin standen bei der ADF-Jahrestagung 36 Einzelvorträge und fünf Spezialvorträge internationaler Forscher sowie Posterbegehungen und Preisverleihungen auf dem Programm.
„Insgesamt waren die Beiträge auf hohem wissenschaftlichen Niveau. Ganz bewusst haben wir Anleihen in der Entwicklungsbiologie und anderen Fächern genommen. So können wir womöglich Analogieschlüsse auf evolutionär konservierte Signalwege bei der Wundheilung und Regeneration der Haut ziehen. Die Forschung an Zebrafischen hilft eventuell dabei, diese Signalwege aufzuklären und das Wissen für die narbenfreie Abheilung von Wunden zu nutzen“, resümierte Professorin Scharffetter-Kochanek. Und auch weitere Forschungsarbeiten, die bei der Tagung vorgestellt wurden, könnten den Sprung in die Klinik schaffen. Da wären zum Beispiel der Einsatz mesenchymaler Stammzellen zur Behandlung von chronisch nicht heilenden Wunden sowie die spezifische Zerstörung von Krebsstammzellen des malignen Melanoms und anderer Hautkrebse, um Rezidive und Metastasen dieser Tumore langfristig behandeln zu können.
Die Gäste, darunter klinisch und naturwissenschaftlich orientierte Forscherinnen sowie Forscher, waren vom Löwenmenschen und von Ulm begeistert. Im Ratskeller haben sie Erfolge und das Wiedersehen bis in die Nacht gefeiert.
Auszeichnungen bei der ADF-Jahrestagung
Bei der ADF-Jahrestagung wurden zahlreiche Preise vergeben: Professor Kilian Eyerich aus München erhielt für seine Forschung den Paul Langerhans Preis über 10 000 Euro, das Stipendium der Deutschen Stiftung für Dermatologie/ADF (50 000 Euro) für Nachwuchsforscher geht nach Zürich an Dr. Martin Glatz. Den Egon Macher Preis für junge Wissenschaftler über 5000 Euro teilen sich Tobias Bald aus Bonn und Yuliya Skabytska (Tübingen).
Dr. Karmveer Singh und Dr. Andrea Kügeler (beide Universitätsklinik für Dermatologie und Allergologie, Ulm) wurden mit einem Reisestipendium für Ihre Arbeiten zur Regulation des IGF-1 Signalweges durch sehr hohe Konzentrationen von Superoxidanionen bei der Alterung und zur Bedeutung von freien Radikalen bei der Wundheilung ausgezeichnet. Hier scheint es ganz spezifische Unterschiede der Radikalspezies und des darauf reagierenden Gewebes zu geben. Diese Arbeiten verdeutlichen, dass es auch zukünftig keine einfachen Lösungen mit Antioxidantien geben wird. Darüber hinaus wurden weitere Auszeichnungen wie der ADF/ECARF-Award für eine Arbeit über Ko-Faktoren beim allergischen Schock (Florian Wölbing aus München, 5000 Euro), Posterpreise und weitere Reisestipendien vergeben.
Verantwortlich: Annika Bingmann