Der Tag war gut gewählt und nicht ohne Symbolcharakter: Während Bundesumweltminister Sigmar Gabriel („Die Erde steht am Scheideweg“) am Montag in Bonn die UNO-Artenschutzkonferenz eröffnete, stellte die Universität Ulm in einem Wald auf der Schwäbischen Alb das erste großflächig angelegte Langzeitprojekt in Deutschland zur Biodiversitätsforschung vor. Und während der Minister vor mehr als 5000 Delegierten aus 191 Ländern freimütig einräumte, dass zahllose Konferenzen zu diesem Thema bislang ohne sichtbare Fortschritte geblieben seien, erläuterten die Wissenschaftler ihr Vorhaben, das Grundlagen für Gegenrezepte zum Artensterben liefern soll. Zunächst auf nationaler, langfristig auch auf internationaler Ebene. Denn: „Hier sieht es weltweit nicht gut aus“, sagt Professorin Elisabeth Kalko, Direktorin des Instituts für Experimentelle Ökologie der Universität Ulm und Mitglied des fünfköpfigen Leitungsgremiums für das bundesweit angelegte Projekt.
Auch die einstige Zielvorgabe, den weltweiten Artenverlust bis 2010 zu stoppen, ist wohl kaum einzuhalten. „Ziel ist es jetzt, mit interdisziplinärer und weltweit abgestimmter Forschung ein tiefgreifendes Verständnis der Funktion von Biodiversität und den damit verbunden Ökosystemprozessen zu erlangen “, so Kalko, eben zurück aus Bonn von einer Vorkonferenz zur großen Konferenz, die jetzt begonnen hat. „Dass Kraftstoffe aus Pflanzenmaterial gewonnen werden“, nennt sie „das aktuell große Problem“. Vor allem der dazu gerodeten Regenwälder wegen. Wohlweislich schließe das Forschungsprojekt hierzulande den Menschen ein, betont die Wissenschaftlerin, die in mehreren Ländern auf verschiedenen Kontinenten forscht: „Wir können ihn nicht nur als Störenfried sehen. Er kann auch einen Beitrag zum Bewahren der Artenvielfalt leisten.“
Aber wie? „Wir wollen erforschen, was durch die menschliche Nutzung im Ökosystem passiert“, erklärt Professorin Kalko, „vor allem wollen wir die Bedeutung von Wechselwirkungen besser verstehen“. Funktionale Interaktionen unterschiedlicher Organismen also, wie es die Biologen ausdrücken. Im Boden, an Pflanzen und in der Luft. Denn einbezogen in die Untersuchungen sind neben einigen Insektengruppen und Mikroorganismen auch Pilze, Vögel, Fledermäuse und andere Säugetiere sowie eine große Bandbreite an mikrobiologischen und bodenkundlichen Faktoren. „Wir wollen nicht nur die Entwicklung der Artenvielfalt verfolgen, sondern auch die Beziehungen zwischen der Biodiversität und der Intensität der Landnutzung“, ergänzt Dr. Konstans Wells, so genannter Gebietsmanager für das rund 350 Quadratmeter große Areal auf der Schwäbischen Alb.
Insgesamt 100 so genannte Experimentierplots finden sich im Exploratorium, die Hälfte jeweils in Wäldern und auf Grünflächen. Regulär genutzte Wiesen und Waldflächen ebenso wie extensiv bewirtschaftete Buchenwälder. Ein Buchen-Mischwald auf dem Experimentierplot A 29568 zum Beispiel, auf dem die Wissenschaftler ihre Arbeit anschaulich erläuterten. Inklusive einer exakten Zustandsbeschreibung versteht sich, von der Meereshöhe und Hangneigung über den Bodentyp bis zum Bewuchs, der gesamten hier versammelten Vegetation also. „Die Schwäbische Alb zeichnet sich durch eine hohe Artenvielfalt aus“, betont Elisabeth Kalko und verweist unter anderem auf mehr als 400 Gefäßpflanzenarten sowie 115 Moos- und 200 Flechtenarten, die besonders sensitiv auf Veränderungen im Lebensraum reagieren. Auch auf Klimaschwankungen, die ebenso penibel erfasst werden wie örtlich individuelle Entwicklungen.
Was zum einen eine Vielzahl technischer Voraussetzungen erfordert, meteorologische Messstationen etwa, zum anderen ein überaus aufwendiges Kommunikationsmanagement. Vor Ort insbesondere eine laufende Abstimmung mit rund 50 Land- und Forstwirten nämlich, intern die Koordination von mehr als 160 Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen, Botaniker, Zoologen, Bodenexperten, Molekularbiologen und Landschaftsökologen, aber auch Fachleuten für Stoffkreisläufe und Mikroorganismen sowie Techniker. Nicht zu vergessen eine voluminöse zentrale Datenbank zur Erfassung, Verarbeitung und Speicherung der Informationen. Mit allein rund 25 000 meteorologischen Einzelmessungen pro Tag. Und nicht nur von der Schwäbischen Alb übrigens. Denn die insgesamt 26 Teilprojekte des Forschungsvorhabens erstrecken sich auf zwei weitere großflächige Exploratorien im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin nördlich von Berlin sowie im Nationalpark Hainich-Dün (Thüringen). Beteiligt an dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) derzeit mit 13 Millionen Euro geförderten Projekt sind neben dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie Jena die Universitäten Potsdam, Würzburg, Jena und Ulm. Momentan noch gesichert für drei Jahre. „Ich bin jedoch optimistisch, dass es eine Verlängerung geben wird“, erklärt Professorin Kalko. Zudem geht sie davon aus, dass die Ergebnisse längerfristig in einem größeren Rahmen bearbeitet werden dürften. „Schon jetzt gibt es ja weltweit verschiedene Programme.“
Weitere Informationen: Prof. Dr. Elisabeth Kalko, Tel. 0731/50-22660 oder Dr. Konstans Wells, Tel. 0731/50-22667