Die Behandlung von Folgeerkrankungen bei Lungen-Traumata ist ein aktuelles Forschungsgebiet. Die Arbeitsgruppe von Professorin Tanja Weil am Max-Planck-Institut für Polymerforschung hat gemeinsam mit der Gruppe von Professor Holger Barth vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Ulm in Labortests mit menschlichen weißen Blutzellen (Leukozyten) gezeigt, dass sie durch den Einsatz eines bakteriellen Proteintoxins gezielt molekulare Mechanismen in Leukozyten hemmen können, welche für deren Fortbewegung notwendig sind. Dadurch könnten Folgeerkrankungen nach Trauma gezielt reduziert werden, was einen wichtigen Schritt zur Entwicklung zukünftiger Therapien darstellen könnte.
Massive Gewebs- und Organverletzungen, Knochenbrüche – sogenannte Traumata – wie sie zum Beispiel bei Autounfällen entstehen können, aktivieren das natürliche Reparatursystem im menschlichen Körper, um weitere Schäden zu vermeiden und die Heilung zu begünstigen. Hierfür werden im Körper in erhöhtem Maße weiße Blutkörperchen – sogenannte Leukozyten – an den Ort der Verletzung, zum Beispiel der Lunge, geschickt. Durch diese erhöhte Aussendung kann allerdings auch die Schranke zwischen den Blutgefäßen und den Lungenbläschen gestört werden. Die Folge: Es kann sich Flüssigkeit in der Lunge ansammeln und Entzündungsmediatoren übermäßig produziert und in das Blut abgegeben werden.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nun in ersten Experimenten Erfolge erzielt, die molekulare Grundlage für die Beweglichkeit der weißen Blutkörperchen im Reagenzglas gezielt einzuschränken. Sie hoffen, damit Folgeerscheinungen, zum Beispiel eines stumpfen Thorax-Traumas, reduzieren zu können. Hierfür setzt ihre Methode an dem inneren Antriebsmotor der weißen Blutkörperchen an, dem sogenannten Zytoskelett, welches deren Bewegung im Körper ermöglicht. Dieser Motor besteht aus Molekülen, die sich zu langen Ketten verbinden – sogenannten Polymeren – und danach wieder zurückwandeln. „Man kann sich die weißen Blutkörperchen wie ein U-Boot vorstellen“, so Dr. Seah-Ling Kuan, Gruppenleiterin am MPI-P im Arbeitskreis von Tanja Weil. „Dieser Umwandlungsprozess hin und her ist wie ein kleiner, molekularer Motor, der das U-Boot voranbringt. Aber der Prozess braucht natürlich auch so etwas wie Treibstoff“.
Die Forscherinnen und Forscher haben nun einen Weg gefunden, den weißen Blutkörperchen spezifisch diesen „Treibstoff“ abzuschalten, was deren Beweglichkeit einzuschränken könnte. Hierfür haben sie eine Plattform genutzt, die aus dem Protein „Avidin“ besteht. Avidin kann man sich vorstellen wie einen kleinen Legostein mit vier Noppen, an die man andere Bausteine befestigen kann. „Wir haben an drei der Bindestellen des Avidins nun ein sogenanntes Peptid mit besonderen Eigenschaften befestigt: Das Peptid ist so gebaut, dass es direkt an einen bestimmten Teil der weißen Blutkörperchen andocken kann, also wie ein Anker wirkt“, so Seah-Ling Kuan. Die vierte Bindestelle belegten die Wissenschaftler mit einem Toxin. „Das Toxin greift in eine komplexe molekulare Prozesskette ein und dreht den Blutkörperchen sprichwörtlich den Benzinhahn zu“, so Professor Barth, der mit seiner Gruppe den Effekt des Konstrukts auf die weißen Blutkörperchen untersucht.
Mit ihrer neuen, auf Avidin basierenden Plattform haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler also eine Möglichkeit geschaffen, spezifisch Leukozyten zu adressieren und mit Hilfe eines Toxins hier die Energiezufuhr für die zum Antrieb verantwortlichen molekularen Prozesse zu unterbinden.
Ihre Forschungsarbeit führen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler innerhalb des Sonderforschungsbereiches 1149 aus, in dem Gruppen der Universität Ulm und des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung zusammenarbeiten. Ziel ist es, die genauen biologischen Prozesse eines Traumas genauer zu untersuchen und zu verstehen sowie für Begleiterscheinungen wirksame Therapieansätze zu entwickeln. Ihre Arbeit haben die Forscher nun in der renommierten Zeitschrift „Advanced Healthcare Materials“ veröffentlicht.
Text und Medienkontakt: Dr. Christian Schneider, Max-Planck-Institut für Polymerforschung Mainz
SFB 1149 im Zentrum für Traumaforschung der Universität Ulm