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Schwierige Gratwanderung:
Medizin zwischen Ethik und Ökonomie

Universität Ulm

Entscheiden in Kliniken künftig Betriebswirte oder Wirtschaftsmathematiker über Behandlungsmaßnahmen? Noch ist es nicht so weit. „Aber wir müssen die Balance schaffen zwischen einer unvermeidbaren Ökonomisierung der Medizin und dem Erhalt der ärztlichen Professionalität“, sagt Professor Franz Porzsolt, Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Ökonomik der Universität Ulm. Ein umfangreicher Aufsatz des Ulmer Mediziners dazu soll demnächst in einem bekannten Fachblatt veröffentlicht werden. Auch eine Tagung an der Uni Ulm beschäftigte sich kürzlich mit dieser Thematik.

Wann ist ein Kosten-Nutzen-Verhältnis für Allokationsentscheidungen im Gesundheitssystem angemessen und zumutbar? Wissenschaftler der gastgebenden Universität und der Ludwig-Maximilians-Universität München äußerten sich zu der Fragestellung, neben Chirurgen, Gynäkologen und Anästhesisten unter anderem auch Volkswirte und Pharmakologen. Dabei sei es weniger um eine gemeinsame Formel zur Lösung eines fundamentalen Problems der Gesundheitsversorgung gegangen, betont Porzsolt. „Vielmehr wollten wir die Facetten aufzeigen, an denen die verschiedenen Gruppen arbeiten.“ Und die Allokation, die Zuteilung beschränkter Ressourcen also, wie sie sich nicht nur im deutschen Gesundheitssystem verstärkt abzeichnet, dürfte in der Tat an Bedeutung gewinnen, auch hierzulande. Das sei bei der Tagung mehr als deutlich geworden, Professor Porzsolt zufolge „möglicherweise ein kleines bisschen mehr als nur eine klinisch-ökonomische Mini-Roadshow“.

Nicht ohne politische Brisanz jedenfalls, fraglos aber hoch aktuell. Das gelte zumindest für die meisten Begriffe und Faktoren, die Therapie-Entscheidungen künftig mehr denn je beeinflussen dürften. Neben gängigen Begriffen wie Letalität oder Morbidität auch solche, die bislang eher Experten vertraut sind: NNT (number needed to treat) zum Beispiel, eine statistische Messzahl, die darstellt, wie viele Patienten pro Zeiteinheit mit einer bestimmten Methode behandelt werden müssen, um das gewünschte Therapieziel bei einem zusätzlichen Patienten zu erreichen. Wobei von solchen Abwägungen nicht primär der  Kostenträger sondern der Patient profitieren könne, betont Franz Porzsolt, bei bestimmten teuren Medikationen vor allem. Hier sei es  absolut angemessen und zulässig, das „richtige Fenster“ im Spannungsfeld potenzieller Folgen zu ermitteln. Etwa die Chancen einzugrenzen, auf das Medikament anzusprechen (chance to benefit/ CTB), unter Berücksichtigung der gesamten Bandbreite zwischen Überleben oder Tod unabhängig vom Einsatz des Medikaments samt der jeweils bekannten „Wahrscheinlichkeit eines unerwünschten Ereignisses“, was im Sprachgebrauch der Fachleute gemeinhin das „baseline risk“ bedeutet.

„Dieses Fenster zu finden ist in Zukunft eine Aufgabe der Kliniker“, ist der Wissenschaftler überzeugt, „auch deshalb brauchen wir für dieses Thema ein spezielles Zentrum“. Bestätigt sieht er sich dabei nicht zuletzt durch das Interesse an seiner Arbeit, dokumentiert unter anderem durch eine Einladung an die Harvard University im Februar. Anschließenden Verhandlungen zudem in Boston mit einem namhaften Wissenschaftsverlag über die Herausgabe eines weiteren Lehrbuchs, diesmal gemeinsam mit Professor Heiner Fangerau, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik in der Medizin der Uni Ulm. Wachsendes Interesse an der Klinischen Ökonomik signalisiert haben  auch die Stadt Rio de Janeiro und die Universität in Niterói, an der Professor Porzsolt schon im Vorjahr unterrichtet hat. Im Sommer wird er an beiden Orten Kurse abhalten, vor Studenten, Ärzten und Managern.

Prof. Franz Porzsolt