Als Jurist an der Universität Ulm ist Heribert Anzinger, Inhaber der neu geschaffenen Professur für Wirtschafts- und Steuerrecht, nur auf den ersten Blick Exot. Zum einen hat er sich neben seinem Studium der Rechtswissenschaft in Bayreuth die für einen Steuerrechtler unabdingbaren Wirtschaftskenntnisse angeeignet (Zusatzqualifikation „Wirtschaftsjurist“).Zum anderen sieht er frappierende Ähnlichkeiten zwischen der juristischen Technik der Subsumtion und der theoretischen Mathematik: „Egal ob Naturwissenschaftler, Ingenieur oder Jurist. Wir alle zerlegen komplexe Zusammenhänge“, sagt Anzinger.
Mit seinen Forschungsschwerpunkten im nationalen und internationalen Unternehmenssteuerrecht mit Bezügen zum Bilanz-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht habe er in Ulm sogar mehr Anknüpfungspunkte als an seiner vorherigen Station, dem Darmstädter Fachbereich für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Exemplarisch nennt der neue Professor die Wirtschaftsprüfung, Versicherungs- und Finanzwissenschaften sowie Behavioral Economics. An der hiesigen Universität hätten ihn zudem „der gute Ruf des Instituts für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung und seine hervorragenden Dozenten“ gereizt.
Heute wirkt Heribert Anzinger wie ein Vollblutwissenschaftler, lange hat er jedoch mit einer Karriere in der freien Wirtschaft oder der elterlichen Steuerkanzlei geliebäugelt. Nach dem Referendariat in München arbeitete er zunächst als Gutachter mit den Schwerpunkten Unternehmensveräußerungen und Nachfolgeplanung. Seine ausgezeichnete Promotion im Finanz- und Steuerrecht an der Technischen Universität Darmstadt erleichterte ihm jedoch die Entscheidung für eine universitäre Laufbahn. Jetzt lautet Anzingers Mission „Steuergerechtigkeit in alle Richtungen, fernab von Profit und Kundenwünschen.“
Dabei müssen Handlungsvorschläge praktikabel und international wettbewerbsfähig sein. „Ist es also rechtens, dass die FIFA 800 Millionen Euro Gewinn aus der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nicht versteuern musste, obwohl die Bundesrepublik die nötige Infrastruktur zur Verfügung gestellt hat? Wie kann die Steuerlast international produzierender Unternehmen möglichst gerecht auf mehrere Staaten verteilt werden? Und auf welche Weise sind Private Equity- und Investmentfonds zu besteuern?“ sind nur einige Fragestellungen, die der 39-Jährige untersucht.
Mit Fallbeispielen reichert Anzinger gerne seine Vorlesungen an, gegenüber Unternehmenskooperationen ist er offen. Und der Erfolg gibt ihm recht: Für seine Lehrveranstaltungen ist der Jurist bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden. An der Universität Ulm will er auf E-Learning und forschendes Lernen setzen, bei dem Seminarinhalte bestenfalls in einer Publikation münden. Außerdem legt Anzinger großen Wert auf eine gewisse Allgemeinbildung seiner Studierenden. „Steuerrecht ist Recht auf Rädern, es ändert sich ständig“, erklärt der gebürtige Münchner. Es sei zudem ein Instrument der Wirtschafts-, Forschungs-, Sozial- und Familienpolitik, man müsse sich also ständig in neue, interdisziplinäre Sachverhalte einarbeiten. Während der eigenen Studienzeit hat der Jurist seinen Horizont durch zusätzliche Seminare in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften erweitert.
Heribert Anzingers Gastdozentur an der Privaten Universität im Fürstentum Liechtenstein löst sicher bei vielen Mitmenschen ein Schmunzeln aus. Der Professor selbst bezeichnet Liechtenstein als idealen Ort, um Steuerrecht zu erforschen („dort ist gerade viel im Umbruch“).
Einen idealen Ort zum Leben haben der Wissenschaftler und seine Familie offenbar in Blaustein gefunden. Vom neuen Heim aus bricht Heribert Anzinger zu Mountainbike-Touren oder Kletterausflügen in die Berge auf. Den Botanischen Garten der Uni Ulm und die Schwäbische Alb hat er bereits schätzen gelernt.
Von Annika Bingmann