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Notch-Code geknackt: Epigenetischer Kontrollmechanismus
für entwicklungsbiologischen Signalweg entdeckt

Universität Ulm

 Die Entwicklung eines Organismus aus einer befruchteten Eizelle wird in seiner ganzen Komplexität durch eine überraschend kleine Zahl von Signalkaskaden gesteuert. Eine dieser entwicklungsbiologisch relevanten Signalübertragungsketten ist der so genannte Notch-Signalweg. Dieser sorgt dafür, dass entwicklungsspezifische Signale von der Zelloberfläche in den Zellkern "transportiert" werden. So werden wiederum spezifische Genprogramme aktiviert, die die Entwicklung von Zellen, Gewebe und Organe steuern.

 "Genetische Veränderungen, die für diesen Signalweg und die darin eingebundenen Proteine codieren, haben schwerwiegende Folgen für den ganzen Organismus", so Professor Franz Oswald von der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Ulm. Notch-Mutationen, die beispielsweise den Abbau des Notch-Rezeptorproteins stören, gehören zu den häufigsten Ursachen der akuten lymphoblastischen Leukämie. Forscherinnen und Forscher der Universität Ulm, des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik, der Justus-Liebig-Universität Gießen und des FLI Jena haben nun gemeinsam einen bisher unbekannten Regulationsmechanismus entschlüsselt, der die Funktionalität des Notch-Proteins und die damit verbundene Wirkung als Onkogen entscheidend beeinflusst. Publiziert wurden die Forschungsergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift Opens external link in new window"Science Signaling".

Die Methylierung des Notch-Proteins beeinflusst dessen Aktivität

 "Das Besondere am Notch-Signalweg ist sein Rezeptor. Denn sobald ein Ligand einer anderen Zelle an dieses Protein bindet und so den Signalübertragungsmechanismus auslöst, kommt es zur Spaltung des Rezeptors. Dann bahnt sich ein Teil dieses Proteins als so genannte intrazelluläre Domäne den Weg in den Zellkern, um dort direkt als Transkriptionsfaktor zu wirken und so die Expression bestimmter Gene zu steuern", schildert Oswald die ungewöhnliche Arbeitsweise dieses Signalweges.

 Das Forscherteam hat nun herausgefunden, dass sich durch die Methylierung des Notch-Proteins dessen Aktivität und Stabilität wesentlich beeinflussen lässt, wodurch sich auch die Genexpression und damit zusammenhängende Entwicklungsprozesse maßgeblich verändert. Unter Methylierung versteht man eine Übertragung von Methylgruppen an bestimmte Aminosäurereste eines Proteins, die von speziellen Protein-Methyltransferasen katalysiert wird. Bestimmte Methyltransferasen können über sogenannte Chromatinmodifikationen die Genexpression sogar direkt beeinflussen. Mit Hilfe von in vivo Studien mit Zebrafischembryonen und Krallenfroschkaulquappen konnten die Wissenschaftler eindrucksvoll demonstrieren, dass das Notch-Protein selbst durch die Methyltransferase CARM1 methyliert wird.

Die Fehlbildungen lassen nach, wenn die Methylierung verhindert wird

Bleibt der Notch-Signalweg durch die Methylierung des Notch-Proteins während der Embryonalentwicklung dauerhaft aktiviert, führt dies zu dramatischen Fehlbildungen der Augen, der Muskulatur und im Kopfbereich. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass sich die Aktivität des Signalweges auf ein normales Maß herunterregulieren lässt, wenn man ein Notch-Protein in die Tiere einbringt, das nicht mehr methyliert werden kann. Auch die Fehlbildungen zeigten sich dadurch weitaus weniger ausgeprägt.

Über den Notch-Signalweg wird die Genexpression epigenetisch kontrolliert

 "Wir konnten also zeigen, dass die Genexpression über den Notch-Signalweg epigenetisch kontrolliert wird. Das heißt, durch die Methylierung der intrazellulären Domäne von Notch kommt es zu weiteren posttranslationalen Veränderungen am Chromatin, die sich entscheidend auf die Embryonalentwicklung auswirken", erklärt Professor Tilman Borggrefe vom Institut für Biochemie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Eine wichtige Rolle spielt bei dieser Art der Regulation, die nicht direkt am Genom angreift, das Chromatin und die so genannten Histonproteine, über die die DNA verpackt wird.

Mathematische Modelle helfen dabei, komplexe Prozesse besser zu verstehen

Darauf aufbauend konnten die Forscher ein mathematisches Modell entwickeln, das die Stärke und Dauer eines Notch-Signals berechnet, und mit dessen Hilfe die Wirkung von Notch-Modifikationen am Computer simuliert und vorhergesagt werden kann. "Die enge Verbindung zwischen empirischer und mathematisch-modellierender Forschung wird in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen", ist der Systembiologie-Experte Professor Hans Armin Kestler vom Leibniz-Institut für Altersforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) Jena überzeugt. Mit der engen Zusammenarbeit von Molekularbiologen und Systembiologen könnten Forschungsergebnisse in einen größeren systemischen Zusammenhang gestellt und komplexe biologische Abläufe besser verstanden werden. Nicht zuletzt mit dem langfristigen Ziel, Interventionsstrategien und entsprechende Medikamente zu entwickeln, die beispielsweise im Fall gestörter Notch-Signalwege die Entstehung von Blutkrebs verhindern könnten.

 

Bildinformation:

Krallenfrosch (Foto: W. Cizelsky): Die Aufnahme oben ist von einer Krallenfroschkaulquappe nach normaler Embryonalentwicklung. Das Bild in der Mitte (Notch-wt) zeigt dramatische Fehlbildungen, die durch die Methylierung des Notch-Proteins und den dadurch dauerhaft aktivierten Notch-Signalweg auftreten. Im Bild unten (Notch-mut) ist eine Krallenfroschkaulquappe zu sehen, bei der mit Hilfe einer gezielten Mutation die Methylierung des Notch-Proteins verhindert wurde. Die Fehlbildungen sind hier weitaus weniger ausgeprägt.

Zebrafisch (Foto: I.M. Berger): Derselbe Effekt zeigt sich auch im Zebrafischembryo. Oben abgebildet ist der normale Entwicklungsverlauf. In der Mitte (Notch-wt) sind die dramatischen Fehlbildungen zu sehen, die auftreten, wenn durch die Methylierung des Notch-Proteins der Signalweg dauerhaft aktiviert wird. Beim Zebrafischembryo unten konnte durch eine gezielte Mutation die Methylierung verhindert werden, sodass die Fehlbildungen weitaus schwächer ausfallen.

Text: Prof. Franz Oswald/Andrea Weber-Tuckermann