„Nach einem Leben für die atomistische Elektrochemie würde ich micht jetzt gerne mit der Bioelektrochemie beschäftigen“, sagt Professor Dieter Kolb, bis September 2010 Direktor des Instituts für Elektrochemie der Universität Ulm. „Denn für diesen Bereich mit einer engen Beziehung zur Medizin sehe ich eine große Zukunft.“ Das übernimmt nun sein Nachfolger, Professor Timo Jacob, nicht zuletzt der vielversprechenden Perspektiven wegen ausgestattet mit großzügig bemessenen Fördergeldern des Europäischen Forschungsrats (ERC). Kolb selbst, Jahrgang 1942 und von Universitätspräsident Professor Karl Joachim Ebeling kürzlich bei einer Veranstaltung als „Nestor der deutschen Elektrochemie“ gewürdigt, betreut derweil auch als „Ruheständler“ nach wie vor vier Doktoranden und einen Habilitanden.
Zudem arbeitet der Wissenschaftler noch verschiedene Projekte auf, fungiert als gefragter Ratgeber und beschäftigt sich ganz speziell mit Fragestellungen der Galvanik („sie war immer mein Hobby“). Und er freut sich wie dieser Tage wieder über die eine oder andere hochkarätige Auszeichnung für sein Lebenswerk. Jetzt ist es die Frumkin-Medaille, die höchste Auszeichnung der Internationalen Gesellschaft für Elektrochemie (ISE). Von 2003 bis 2004 war Professor Kolb deren Präsident, „für mich die wertvollste Anerkennung auf internationaler Ebene“, wie er selbst feststellt. Aber natürlich nicht die einzige. Vor zwei Jahren hatte ihm die Elektrochemische Gesellschaft der USA eine ihrer höchsten Auszeichnungen verliehen, den Olin Palladium Award nämlich.
Darüber hinaus ist die Biografie des gebürtigen Oberpfälzers gespickt mit Ehrungen unterschiedlichster Art, ausgesprochen in den USA vor allem, in Kanada, Argentinien, Großbritannien und Italien, nicht zuletzt durch die traditionsreiche Deutsche Bunsen-Gesellschaft für Physikalische Chemie.
Allerdings ging die weltweite Wertschätzung Dieter Kolb zufolge nicht immer einher mit der zuhause. Gründe? An der eigenen Universität „eher menschliche Probleme“, im Land dagegen ausschließlich in der wechselhaften Anerkennung seines Fachgebiets zu sehen. Wobei die Elektrochemie, wie viele andere Disziplinen freilich auch, in den vergangenen vier Jahrzehnten inhaltlich eine bemerkenswerte, wenngleich nicht immer angemessen beachtete Wandlung erfahren habe. Wissenschaftlich gelte das für die von Kolb entwickelte atomistische Elektrochemie, deren Ziel eine atomistische Beschreibung von Vorgängen an Elektrodenoberflächen war.
Noch spürbarer waren für den promovierten Physiker, der sich schon früh der Physikalischen Chemie verschrieben und sich für dieses Fachgebiet auch an der Freien Universität Berlin habilitiert hat, aber die Folgen mehrerer Schwenks in der Forschungspolitik. „Lange Zeit wurde die Elektrochemie in Deutschland systematisch ausgerottet“, erinnert sich Professor Kolb, „ich habe diesen Prozess ja als Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft miterlebt“. Die „Krux“ dabei sei insbesondere der Kampf um Drittmittel und Sonderforschungsbereiche gewesen. Ein Paradigmenwechsel also hin zur Einwerbung von Forschungsmitteln um fast jeden Preis. „Bis dahin waren wir noch stolz auf unsere universitäre Grundlagenforschung, reichte intellektuelle Neugierde als Rechtfertigung für die Inanspruchnahme von Steuergeldern.“
Hinzu gekommen sei eine Zeitlang überdies „der Nimbus alter Methoden“ nach der Devise „das kennen wir doch seit 100 Jahren“. Ungeachtet der Gegenwehr seitens der Bunsen-Gesellschaft, bekanntlich die Heimat der Elektrochemie, seien deren Lehrstühle dann vielfach in Richtung Laserspektroskopie umgewandelt worden.
Eine Entwicklung mit Konsequenzen auch für die Lehre: „Denn Wissen kann nur überzeugend vermitteln, wer selbst auf diesem Gebiet arbeitet“, ist Kolb überzeugt.
Fatal aus seiner Sicht zudem, dass verschiedentlich zukunftsträchtige Forschungsgebiete nicht oder zu spät erkannt worden seien, der so genannte „solar fuel“ Bereich etwa („hier sind jetzt die USA und Japan führend“) oder die Energiespeicherung. „In Deutschland hat man sich seit den 90er-Jahren mit viel Geld auf die Brennstoffzelle verbissen, während man in anderen Ländern an Batterien gearbeitet hat“, so der Ulmer Wissenschaftler, „und plötzlich war die Lithium-Batterie da“.
Die Uni Ulm dagegen habe an der Elektrochemie festgehalten, seit sie ihn 1990 auf diesen Lehrstuhl berufen hat. „Ein Lehrstuhl mit Seltenheitswert damals in Deutschland und der Weitsicht des seinerzeitigen Prorektors Professor Wolfgang Witschel zu verdanken“, meint Dieter Kolb heute rückblickend. Witschels zweiter wichtiger Schachzug aus seiner Sicht: Die Einrichtung des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW) samt der Berufung von Professor Jürgen Garche. „Ein ausgewiesener Experte als angewandter Elektrochemiker“, der kurz nach der Wende aus Dresden gekommen sei, der Elektrochemie-Hochburg schlechthin in der vormaligen DDR.
Leider habe sich die erhoffte und durchaus mögliche Wechselwirkung kaum entwickelt, bedauert Kolb, vermutet als Ursache den Druck auf das ZSW im Hinblick auf die Einwerbung von Drittmitteln. Gleichwohl habe diese Verbindung Ulm als Standort für die Elektrochemie sichtbar gemacht, letztlich auch die Basis für den Zuschlag mit dem Helmholtz-Institut für elektrochemische Energiespeicherung (HIU).
Mit großen Vorteilen für alle Beteiligten, wie der Pensionär befindet. Erkennbar nicht zuletzt am großen Interesse von Nachwuchswissenschaftlern am Uni-Institut, ganz im Gegensatz zu früher: „Da haben wir viele ausgezeichnete Leute an die Industrie verloren.“
Professor Kolb zufolge ein wichtiger Faktor für den Uni-Part an dem Projekt: Die sehr gut entwickelten theoretischen Grundlagen als Basis für den experimentellen Bereich. „Mein Nachfolger konnte zeigen, dass auch bei komplizierten Systemen sehr gute Vorhersagen möglich sind.“ Besonders stolz sei er auf die von ihm entwickelte so genannte Multiskalenmodellierung in der Elektrochemie, relevant unter anderem bei neuen Materialien für Batterien, die hohe Spannungen ermöglichen. „Auf experimenteller Ebene haben wir gegen die Chinesen wenig Chancen. Sie können Hunderte von Wissenschaftlern darauf ansetzen, wir kontern mit unserer Expertise.“
Dabei gibt sich der ehemalige Institutschef zuversichtlich: „In der Elektrochemie sind wir mit den Supermächten USA , Japan und China durchaus konkurrenzfähig. Wir müssen nur unsere Stärken nutzen und einsetzen.“ Sein Nachfolger, davon ist er überzeugt, wird seinen Teil dazu beitragen. “Seine Berufung war voll in meinem Sinne“, erklärt Dieter Kolb, „und sicher auch im Interesse der Universität“. Dies belege allein schon ein Blick auf Timo Jacobs Drittmittel und Auszeichnungen.
Von Willi Baur