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Mathe für die Medizin
Ulmer Biometriker für Studie über osteoporotische Knochenbrüche ausgezeichnet

Universität Ulm

Medizinische Erkenntnisse kommen nicht nur aus dem Labor. Auch die Mathematik und Statistik vermehren unser Wissen über Krankheiten, deren Entstehung, Verbreitung und ihren Verlauf. Wie erfolgreich hierbei der Studiengang Mathematische Biometrie an der Universität Ulm ist, zeigen nicht zuletzt mehrere Auszeichnungen für Ulmer Absolventen und Forscher aus diesem Fach. So wurde Tobias Bluhmki, Doktorand von Professor Jan Beyersmann (Institut für Statistik), für seine Masterarbeit mit dem Bernd-Streitberg-Preis der Internationalen Biometrischen Gesellschaft ausgezeichnet.

Der in Biberach geborene Absolvent der Mathematischen Biometrie hat auf der Grundlage eines umfangreichen Datensatzes der AOK Bayern den statistischen Zusammenhang zwischen osteoporotisch bedingten Knochenbrüchen und Sterblichkeitsraten älterer Menschen untersucht. Der medizinische Hintergrund: Mit fortschreitendem Alter erkranken vor allem Frauen an Osteoporose, aber auch immer mehr Männer sind von dieser Form des Knochenschwundes betroffen. Mit der krankheitsbedingten Abnahme der Knochendichte steigt besonders im hohen Alter die Anfälligkeit für Knochenbrüche.

Tobias Bluhmki wollte wissen, wie groß das Sterberisiko nach bestimmten Knochenbrüchen ist, wie sie für die Osteoporose typisch sind. Zu diesen „Index“-Brüchen gehören beispielsweise Brüche der Ober- und Unterarmknochen, des Unterschenkels und Sprunggelenks, aber auch Frakturen der Rippen, der Schulter und der Wirbelkörper. Solche Frakturen treten beispielsweise nach Stürzen aus niedriger Höhe auf. Besonders gravierend sind dabei hüftnahe Oberschenkelhalsfrakturen, die im hohen Alter mit Pflegebedürftigkeit und einem erhöhten Sterberisiko einhergehen. Anhand der Daten von über einer Million Männern und Frauen hat Tobias Bluhmki statistisch ermittelt, dass das Risiko, einen Oberschenkelhalsbruch (Femurfraktur) zu erleiden, sowohl bei Männern als auch bei Frauen erhöht ist, wenn zuvor andere „Index“-Frakturen aufgetreten sind. Besonders hoch ist das Risiko eines hüftnahen Oberschenkelbruchs für Menschen im hohen Lebensalter, wobei pflegebedürftige Menschen besonders gefährdet sind.

Die Schwierigkeit bestand darin, die Effekte statistisch zu entdecken

 „Die eigentliche Schwierigkeit bestand darin, diese Effekte und Zusammenhänge mit statistischen Mitteln zu entdecken und möglichst genau zu bestimmen“, so der Biometriker. Gelöst wurde dieses Problem von Bluhmki mit Hilfe eines sogenannten Mehrstadienmodells, das er mit fortgeschrittener mathematisch- statistischer Methodik aus der Überlebenszeitanalyse kombiniert hat. Dabei werden die Fraktur- und Mortalitätsrisiken durch „Hazards“ abgebildet und durch sogenannte Nelson-Aalen-Schätzer näherungsweise bestimmt. Um mögliche Alterseffekte direkt zu berücksichtigen, führte Bluhmki die komplette Analyse auf einer alternativen Zeitskala durch. Durch sogenannte Konfidenzbänder war es dem Nachwuchswissenschaftler zudem möglich, Risiken simultan in verschiedenen Altersklassen nachzuweisen. „Für die notwendige Approximation der zugrundeliegenden stochastischen Prozesse habe ich eine flexible Methode erarbeitet, bei der die realen Werte aus dem Datensatz einfach mit normalverteilen Zufallswerten iterativ gekoppelt werden“, erläutert der 26-Jährige das komplexe Schätzverfahren, das unter Statistikern „Wild Bootstrapping“ genannt wird. „Tobias Bluhmki ist es gelungen, ein allgemein anwendbares Statistik-Verfahren zu entwickeln, mit dessen Hilfe neue Einblicke über den Zusammenhang von „Index“- und Oberschenkelfrakturen und der Sterblichkeit älterer Menschen gewonnen werden konnten“, würdigt Professor Jan Beyersmann, der gemeinsam mit Dr. Gisela Büchele vom Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie die Arbeit betreut hat, die wissenschaftliche Leistung der mit 1,0 bewerteten Masterarbeit.

Frakturen im Handgelenk oder im Unterarm sind Hinweise auf ein erhöhtes Risiko

 Bluhmki arbeitete mit statistischen Methoden präzise heraus, dass nicht nur die Oberschenkel(hals)fraktur an sich und eine damit zusammenhängende erhöhte Pflegebedürftigkeit mit einem höheren Sterberisiko einhergeht, sondern dass vor allem eine vorherige „Index“-Fraktur, beispielsweise im Handgelenk oder Unterarm, einen wichtigen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für eine Oberschenkel(hals)fraktur liefert. „Medizinisch lässt sich aus den nachgewiesenen Zusammenhängen ableiten, dass auch Knochenbrüche, die noch nicht zu ausgeprägten funktionellen Einbußen führen, sehr ernst genommen werden sollten. Spätestens dann sollte durch spezifische Medikamente und Trainingsmaßnahmen zur Verbesserung von Kraft und Balance dafür gesorgt werden, das Risiko für weitere und schwerwiegendere Knochenbrüche zu minimieren“, meint Dr. Gisela Büchele, die die Studie von epidemiologischer Seite her betreut hat. Gefördert wurde die ausgezeichnete Masterarbeit vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes zur Prävention und Rehabilitation von osteoporotischen Frakturen in benachteiligten Populationen.

 Tobias Bluhmki, der in Ulm sowohl den Bachelor- als auch den Masterabschluss in Mathematischer Biometrie gemacht hat, hat seinen Studienwahl nicht bereut. „Ich würde das Fach gleich nochmal studieren. Denn wir lernen nicht nur, statistische Verfahren auf medizinische Problemstellungen anzuwenden, sondern auch die komplexe Mathematik hinter diesen Methoden zu verstehen“, so der gebürtige Schwabe, der zum zweiten Jahrgang des Masterstudienganges gehört. Als Doktorand am Institut für Statistik ist Tobias Bluhmki gerade dabei, in der Wissenschaft richtig Fuß zu fassen. Derzeit arbeitet er im Rahmen des EU-geförderten Projektes COMBACTE-CARE (Combatting Bacterial Resistance in Europe) an der Entwicklung statistischer Methoden, die in klinischen Studien zur Bekämpfung multiresistenter Erreger von Krankenhausinfektionen zum Einsatz kommen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Statistik hat aber auch schon Erfahrung in der Wirtschaft gesammelt. „Ich habe bei dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim in Biberach ein Industriepraktikum in der Statistik-Abteilung gemacht und dort auch meine Bachelor-Arbeit geschrieben. Ich weiß aber noch nicht, wie es nach der Promotion weitergehen soll, ob in der Wirtschaft oder der Wissenschaft“, sagt Tobias Bluhmki. Vermutlich stehen ihm dann viele Türen offen, sowohl im In- als auch im Ausland.

 

Weitere Auszeichnungen aus diesem Bereich:

Ausgezeichnet von der Deutschen Region der Internationalen Biometrischen Gesellschaft wurde auch die Biometrie-Absolventin Sarah Friedrich. Als „Young Statistician“ erhielt sie eine Einladung zur Jahrestagung der Fachgesellschaft für ihre Masterarbeit über den Einfluss von Statinen während der Schwangerschaft. Professor Markus Pauly vom Institut für Statistik wurde für seinen Fachaufsatz über „Asymptotic permutation tests in general factorial designs“ mit dem Gustav-Adolf-Lienert-Preis 2015 dieser internationalen wissenschaftlichen Fachgesellschaft geehrt.

Weitere Informationen zur Mathematischen Biometrie gibt es auf dem Opens external link in new windowyoutube Kanal der Fakultät. 

 

Text und Opens external link in new windowMedienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann