Wäre sie in ihrem Dorf im Jemen geblieben, hätte sie sich ein Leben lang auf Knien robbend fortbewegen müssen. Jetzt kann die 12-jährige Zaifa, die mit einer Fehlbildung des rechten Unterschenkels geboren wurde, erstmals auf zwei Beinen laufen. Eine Amputation des funktionslosen Unterschenkels und eine speziell angepasste Prothese machen das Wunder möglich. Professor Lothar Kinzl, Unfallchirurg und Emeritus der Uni Ulm, hatte das schwerbehinderte Mädchen bei seinem Einsatz für die Hilfsorganisation „Hammer Forum“ im jemenitischen Taiz kennengelernt. Kinzl zögerte nicht lange und stellte den Kontakt zu Professor Heiko Reichel her, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Orthopädie (Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm/ RKU). In Ulm wurde Zaifa wie ihre jemenitische Zimmergenossin Ashan (2), die mit einer komplexen Hüftfehlstellung auf die Welt kam, vor einigen Wochen kostenlos operiert.
Zahlreiche Operationen hat auch der etwa sechsjährige Hamdullah aus Afghanistan hinter sich. Wahrscheinlich ist beim Spielen eine Bombe neben dem Jungen explodiert. Seit Anfang des Jahres wird Hamdullah in der Universitätsklinik für Unfall-, Hand-, Plastische- und Wiederherstellungschirurgie von Professor Florian Gebhard kostenfrei behandelt. Die Oberhausener Kinderhilfsorganisation Friedensdorf International hatte den Jungen bei ihrem letzten großen Afghanistan-Hilfseinsatz nach Deutschland geholt und den Transport in die Ulmer Uniklinik organisiert.
Auf Krücken in ein gesundes Leben
Obwohl zehn Jahre zwischen ihnen liegen, sind Zaifa und Ashan unzertrennlich. Gemeinsam haben sie schwere Zeiten in einem Land durchlebt, dessen Sprache sie zunächst nicht verstanden. Jetzt starten sie gemeinsam in eine bessere Zukunft. „Ende April haben wir Zaifa auf der Kinderorthopädischen Station aufgenommen. Auf der rechten Seite fehlte ihr das Schienbein, der Fuß war unterhalb des Knies angewachsen“, erinnert sich Heiko Reichel. Mit Krankengymnastik wurde die Zwölfjährige auf die Amputation des Restunterschenkels vorbereitet, eine jemenitische Familie aus Ulm erklärte ihr den Behandlungsablauf in ihrer Muttersprache. Trotzdem verkraftete Zaifa den Verlust des Unterschenkels zunächst schlecht: Ihre gelegentlichen Aggressionen bekamen Ärzte der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie jedoch schnell in den Griff. Eine weitere Operation zur Nervendurchtrennung am überempfindlichen Beinstumpf machte die junge Patientin schließlich schmerzfrei. Inzwischen hat das Mädchen im wöchentlichen Unterricht ein paar Brocken Deutsch gelernt und sich mit Pflegekräften angefreundet. Auf der Kinderorthopädischen Station gelten die jemenitischen Patientinnen ohnehin als „Stars“: „Wir haben Kleidung für die Mädchen gesammelt und einen Koffer für die Rückreise besorgt“, sagt die stellvertretende Stationsleiterin Sabine Heinzmann. Zaifa dankt es ihnen mit bunten Bildern, die die Wände des Krankenzimmers schmücken.
Zaifas kleine Freundin Ashan leistet ihr seit Mitte Juni Gesellschaft: Das Mädchen ist mit einer Fehlstellung der Hüfte, einer so genannten hohen Hüftluxation mit ausgeprägter Pfannendysplasie, auf die Welt gekommen. Aufgrund ihres extrem verkürzten Beins konnte sich die Zweijährige nur schleppend fortbewegen. Zwei Operationen in Jemen, durchgeführt von Ärzten des Hammer Forums, waren leider nicht erfolgreich. „In Ulm haben wir eine offene Hüftgelenksreposition durchgeführt, also den Hüftkopf in die Hüftpfanne eingestellt. Gleichzeitig wurden eine Operation des Oberschenkelknochens, eine so genannte Varisierungs-Verkürzungsosteotomie, und ein pfannenverbessernder Eingriff vorgenommen“, erläutert der behandelnde Arzt, Heiko Reichel. Noch schränkt ein Beckenbeingips die Bewegungsfreiheit des kleinen Mädchens ein. Wenn Ashan in etwa fünf Wochen die Heimreise antritt, wird sie aber wieder laufen können – genau wie ihre Zimmergenossin Zaifa, die schon eifrig mit der Prothese übt.
Hamdullah: beim Spielen von einer Bombe überrascht
Auf der anderen Straßenseite, in der neuen Chirurgie, erholt sich Hamdullah, ein junger Patient aus Afghanistan, von zahlreichen Eingriffen. Gerade ist sein künstlicher Darmausgang vom Bauch rückverlegt worden. Sein linkes Bein ist stark vernarbt und steckt in einem Metallgestell. Der Junge im Grundschulalter kann aber auf Krücken laufen. Was Hamdullah zugestoßen ist, weiß sein Arzt, Professor Florian Gebhard, auch nicht genau. Die komplexen Verletzungen sprechen aber für eine Bombenexplosion: „Hamdullah war bereits in Afghanistan und in einem süddeutschen Krankenhaus vorbehandelt worden. Vor allem aufgrund einer Schienbein-Knocheneiterung kam er dann im Februar zu uns“, erläutert Gebhard. Bereits seit rund zehn Jahren nimmt die Universitätsklinik für Unfall-, Hand-, Plastische- und Wiederherstellungschirurgie verletzte Kinder auf, die über Friedensdorf International nach Deutschland kommen. Ärzte und Pflegepersonal sind also auf Fälle wie Hamdullah vorbereitet: „Bei dem Jungen war es nach einem schlecht verheilten Trümmerbruch des Unterschenkels zu einer Fehlstellung gekommen, die wir operativ korrigiert haben. Jetzt stabilisiert ein äußeres Metallgestell die Knochen“, erklärt Professor Gebhard.
Im Gegensatz zu den jemenitischen Mädchen konnte Hamdullah noch keine Freundschaften mit anderen Kindern schließen: Er ist mit multiresistenten Erregern infiziert und muss deshalb von anderen Patienten isoliert bleiben. Gespendete Spielsachen und die Zuwendung des Pflegepersonals erleichtern ihm jedoch den Krankenhausalltag. Außerdem haben vom Friedensdorf vermittelte afghanische Familien den Sechsjährigen, der außerhalb seines Zimmers Schutzkleidung tragen muss, besucht und bei Bedarf gedolmetscht. Inzwischen spricht Hamdullah selbst ein bisschen Deutsch: Neben der krankengymnastischen Betreuung erhält er mehrfach pro Woche Unterricht. Schon bald kann er zur weiteren Rehabilitation ins Oberhausener Friedensdorf einziehen, muss aber noch bis Ende des Jahres in der Ulmer Chirurgie nachbehandelt werden. Die Ärzte und Pfleger des Jungen gehen davon aus, dass er in Afghanistan weitgehend normal aufwachsen kann.
Das Hammer Forum entsendet Mediziner und Pflegekräfte in Krisengebiete. So können Kinder behandelt werden, die ansonsten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Ist eine Therapie vor Ort nicht möglich, werden die Mädchen und Jungen in deutschen beziehungsweise österreichischen Kliniken versorgt. Übergeordnetes Ziel des Forums ist jedoch der Aufbau eines funktionierenden Gesundheitssystems vor Ort. Deshalb liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Aus- und Weiterbildung von lokalen Ärzten und Pflegern.
Auch Friedensdorf International vermittelt kranke und verletzte Kinder zur weiteren medizinischen Behandlung in die Bundesrepublik. Die Rehabilitation erfolgt dann im Oberhausener Friedensdorf bis die Kinder in ihre Heimatländer und zu ihren Familien zurückgebracht werden. Haupteinsatzgebiete von Friedensdorf International sind derzeit Afghanistan und Angola. Neben der Einzelfallhilfe ist Friedensdorf International auch in der weltweiten Projektarbeit tätig, um medizinische Strukturen im Ausland zu verbessern: Zukünftig sollen Kinder in ihrer Heimat behandelt werden können.
Verantwortlich: Annika Bingmann