News

Fledermäuse im Mittelpunkt:
Kooperative Virenforschung zwischen Ulm, Bonn und Kumasi

Universität Ulm

Die Ziele sind ehrgeizig, die Ansprüche hoch: „Bisher können wir bei schweren Virus-Infektionen nur behandeln und versuchen, die weitere Ausbreitung zu stoppen“, sagt Dr. Stefan Klose, Wissenschaftler im Institut für Experimentelle Ökologie der Universität Ulm, „künftig wollen wir bei Epidemien oder gar Pandemien die ökologischen Ursachen verstehen und dazu beitragen, Infektionsrisiken zu vermeiden, zumindest zu reduzieren“. Klose spricht dabei auch von Erkrankungen des Kalibers SARS oder Ebola. Der Ulmer Biologe, 33, Experte im Bereich der Wildtierökologie, koordiniert seit einem Jahr ein interdisziplinäres deutsch-afrikanisches Forschungsprojekt, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und auf deutscher Seite geleitet von Professor Christian Drosten, einem renommierten Virologen der Universität Bonn sowie bis zu ihrem Tod Ende September von Kloses Ulmer Institutsdirektorin Professorin Elisabeth Kalko, international anerkannt für ihre Fledermaus-Forschungen.

Kein Zufall. Den Tieren obliegt eine zentrale Bedeutung bei den Forschungsarbeiten. Denn: „Der Ursprung vieler gefährlicher Viren liegt in Afrika und einer ihrer Wirte ist oft die Fledermaus“, so Klose. Das sei bekannt. Viel mehr aber auch nicht.

Viele Fragen dagegen seien noch nicht beantwortet: Was löst Erkrankungen im Zusammenhang mit Fledermäusen aus? Werden dieTiere selbst überhaupt krank? Wie bewegen sich die Fledertiere in der Landschaft? Wie verläuft die Fortpflanzung, wie verändert sich ihr Körperzustand im Laufe ihres Lebens? Und wie entwickeln sich damit die Viren, die sie beherbergen? Gibt es einen Einfluss der Trocken- und Regenzeiten zum Beispiel? Unter welchen Bedingungen können die Viren von einer Art zur anderen springen? Diesen ökologischen Fragen, die einer medizinischen Betrachtung zu Grunde liegen, gehen die Ulmer Ökologen nach. Dabei erfüllen Fledermäuse wichtige Aufgaben bei der Aufrechterhaltung biologischer Vielfalt und der Agrarpflanzenbestäubung, sind also eigentlich sehr nützlich.

Erste Antworten auf diese Fragen suchen die Wissenschaftler im tropischen Regenwald Ghanas, mitunter in feuchtwarmen Höhlen nördlich der Provinzhauptstadt Kumasi, mit rund 1,5 Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt des westafrikanischen Landes. In einer mobilen Feldstation werden die Fledermäuse vermessen, markiert und mit Ortungssendern versehen, wird ihr Kot eingesammelt und in kleinen Röhrchen verpackt. Für die späteren Untersuchungen im Labor nämlich, einem wichtigen Schritt der Methodik, der den Zerfall des viralen Erbgutes verhindert. So können dann Viren nachgewiesen werden.

Beteiligt daran sind Dr. Stefan Klose zufolge auch Wissenschaftler der Universität Kumasi, zum einen Biologen um den renommierten Wildtier-Ökologen Professor Samuel Oppong, zum anderen aber auch um die Soziologin Olivia Agbenyega für weitere Fragestellungen in diesem Zusammenhang. Resultierend vor allem aus Kontakten der einheimischen Bevölkerung mit den Tieren. Genutzt werden die Fledermäuse durch die einheimische Bevölkerung nämlich auch als Nahrung, denn ihr Fleisch gilt als gesund und wird vielfach auf Märkten angeboten. Nicht minder problematisch zudem: Fledermausausscheidungen in Höhlenbächen, die zur Trinkwasser-Versorgung dienen.

„Ziele unserer Arbeit sind neben einem tiefgreifenden ökologischen Verständnis auch Aufklärung und Tipps für den Alltag als Prävention“, verweist denn auch der Ulmer Biologe auf weitere Aspekte „des einzigartigen Projekts“, das Ökologie, Virologie und Soziologie über die Disziplingrenzen hinweg zusammen bringt. Eher banale Tipps aus deutscher Sicht wie gutes Durchbraten des Fledermausfleisches und Abkochen des Trinkwassers, vor Ort freilich durchaus berechtigt, können hier viel bewirken. Schon verschiedener religiöser Bräuche wegen: „Risiken resultieren auch aus dem Beten und rituellem Übernachten in Höhlen, wo die Einheimischen Kontakten mit Fledermäusen und ihren Ausscheidungen direkt ausgesetzt sind“, hat Dr. Klose festgestellt. Wichtig sei deshalb, für die Aufklärungsmaßnahmen das Vertrauen der Stammeshäuptlinge zu gewinnen. Dazu werden Workshops angeboten.

Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Forscher bei ihren bisherigen Untersuchungen ghanaischer Fledermäuse bereits auf zwei verschiedene Coronaviren gestoßen sind, eines davon entfernt verwandt mit dem SARS-Virus, das andere ein bei Entdeckung unbekannter Typ. „Auf diese und ihre Dynamik im Jahresverlauf werden wir uns nun konzentrieren“, erklärt der Ulmer Koordinator. Dabei sei inzwischen festgestellt worden, dass zwischen acht und 25 Prozent der Fledermaus-Population die Viren aufweisen. „Geplant ist, dass wir die Untersuchungen auch auf andere Tiere ausweiten.“ Auf Hunde und Katzen etwa oder verschiedene Wildtiere wie Nager und Vögel.

Zwar sei das Projekt zunächst auf drei Jahre angelegt, aber eine Verlängerung wäre sehr zu wünschen. Eine erfolgreiche Evaluierung vorausgesetzt, versteht sich. „Denn unsere Arbeit ist nur langfristig sinnvoll. Die Dynamik von Viruserkrankungen in Ökosystemen zu verstehen erfordert über Jahre hinweg einen sehr langen Atem“, ist der Wissenschaftler überzeugt. Wobei sich diese Arbeit nicht nur auf Forschungen beschränkt. „Wir wollen auch vor Ort eine angemessene Expertise aufbauen“, so Dr. Stefan Klose, mit Kursen zum Beispiel für einheimische Studenten und wissenschaftliches Personal. „Schließlich wollen wir mit unseren afrikanischen Partnern vor Ort auf Augenhöhe arbeiten.“

Von Willi Baur