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Fehlerkorrekturverfahren in der Kommunikationstechnik
Prof. Martin Bossert: Zukunftsforschung mit Spiralblock und Bleistift

Universität Ulm

Professor Martin Bossert, Direktor des Instituts für Telekommunikationstechnik und Angewandte Informationstheorie der Universität Ulm, ist dieser Tage von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein ungewöhnliches Forschungsvorhaben bewilligt worden: 500 000 Euro verteilt auf fünf Jahre für ein so genanntes Reinhart Koselleck-Projekt zum Thema „Algebraische Decodierung von Codes über die halbe Mindestdistanz und Listendecodierung“.

Eigentlich nicht viel Geld für innovative Spitzenforschung. Aber: „Das reicht für zwei bis drei Postdocs und einen Doktoranden“, sagt Bossert, „mehr brauche ich dazu nicht“.

Was so nicht ganz stimmt, wie der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler postwendend einräumt. „Ganz wichtig ist das hier“, sagt er und zeigt auf einen Stapel unscheinbarer Spiralblocks sowie einige Bleistifte. Um schließlich einen Zeigefinger an die Stirn zu führen: „Und nicht zu vergessen den Kopf eben.“ Dann schaut er hinaus aus seinem Institutsturm auf die Dächer der Uni West, erklärt nachdenklich: „Mehr aber nicht.“ Das ganze Projekt bestehe aus Rechnen, Rechnen, Rechnen. „Algebra über endlichen Körpern“, verdeutlicht Professor Bossert, blättert in einem der Blocks mit handschriftlich notierten Formeln, Seite für Seite, und lacht: „Im Grunde so kompliziert, dass man es nicht erklären kann.“ Zumindest einem unbedarften Laien nicht, wie er indes einschränkt.

Inhalt und Ziel jedoch schon: „Es geht um Fehlerkorrekturverfahren in der Kommunikationstechnik, bei der Speicherung und Übertragung von Informationen nämlich, basierend auf Algebra“, so der seit 1993 in Ulm wirkende Inhaber des Siemens-Stiftungslehrstuhls, einer der deutschen Mobilfunk-Pioniere der ersten Stunde und einst maßgeblich an der Entwicklung des so genannten GSM-Standards (Global System für Mobile Communications) beteiligt, inzwischen weltweit genutzt für volldigitale Mobilfunknetze. 

Ein künftiger Mobilfunkstandard sei denn auch unter anderem das Fernziel seines neuen Projekts, erläutert Martin Bossert, genutzt werden könnte die Entwicklung überdies für den digitalen Rundfunk, für Hochleistungs-Datennetze und die Datenübertragung im Weltraum. Hintergrund: Der weltweit anerkannte Experte will gewissermaßen ausloten, wie die gemeinhin mit einer Erhöhung der Fehlerrate verbundene Optimierung der Schreibdichte von Festplatten so ausgereizt werden kann, dass ein Maximum an Speicherkapazität erreicht wird.

Ein ehrgeiziges Unterfangen, ohne Frage. Doch Professor Bossert wirkt entspannt. Aus gutem Grund: „Wir stehen hier im Gegensatz zu normalen Projekten nicht unter Druck.“ Das Förderprogramm der DFG nämlich ist der Ausschreibung zufolge speziell auf „im positiven Sinn risikobehaftete Projekte“ zugeschnitten. Was im Klartext heißt: „Es kann auch sein, dass am Ende gar nichts rauskommt.“ Dazu freilich will es der Ulmer Forscher nicht kommen lassen. Schließlich habe die DFG bei der Auswahl der Projekte bewusst eine Klausel zur eigenen Risikominimierung eingebaut: Gefördert werden nur durch besondere Leistungen ausgewiesene Wissenschaftler mit großem wissenschaftlichem Potenzial. Und dass der Ruf in gewisser Weise verpflichtet, weiß er denn auch nur zu gut.

„Aber es läuft gut“, freut sich der ausgewiesene Experte auf dem Gebiet der Kanalcodierung, vor geraumer Zeit schon von Fachkollegen als DFG-Fachkollegiat gewählt, „als einer von nur zweien in Deutschland“. Nicht minder ehrenvoll vor wenigen Wochen die Wahl („erst der vierte Deutsche in diesem Gremium“) in den „Board of Governors“ der IEEE Information Theory Society, der internationalen Fachgesellschaft in der Nachrichtentechnik und verantwortlich für die wichtigsten Konferenzen und Zeitschriften auf diesem Gebiet. Nicht zu vergessen der Zuschlag seitens der DFG zur Einrichtung einer so genannten Emmy Noether-Forschungsgruppe im Rahmen eines der hochkarätigsten Förderprogramme für internationale Nachwuchswissenschaftler, erstmals in Deutschland bewilligt für einen Nachrichtentechniker. Dass sich Dr. Aydin Sezgin, der Leiter dieser Gruppe, für sein Institut entschieden habe, sei doch bemerkenswert, strahlt Professor Martin Bossert und genießt den Panorama-Blick aus seinem Büro. „Immerhin war er zuvor an der TU Berlin, danach zwei Jahre in Stanford und zuletzt im kalifornischen Irvine.“ Verständlich insofern, dass er seine Karriere jetzt in Ulm fortsetzen wolle, lacht sein wissenschaftlicher Ziehvater: „Er wollte einfach noch eine Steigerung.“