Kürzlich wurde bekannt: Eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) war wohl ursächlich für den plötzlichen Tod des italienischen Fußballspielers Piermario Morosini im Frühjahr. Oft werden solche Herzmuskelentzündungen und etwa die schwerwiegendere inflammatorische Kardiomyopathie von Viren wie dem Coxsackie-Erreger oder durch eine verschleppte Grippe ausgelöst. Diese verschiedenen Ursachen haben eine Gemeinsamkeit: Stets ist der molekulare Signalweg IKK/NF-kB im Herzen aktiviert. Jetzt haben Wissenschaftler um Dr. Harald Maier und Professor Thomas Wirth von der Uni Ulm herausgefunden, dass bereits die alleinige Aktivierung des Signalwegs ohne Beteiligung von Erregern alle Symptome einer entzündlichen Herzerkrankung hervorrufen kann.
Diese am Mausmodell gewonnenen Ergebnisse hat die Arbeitsgruppe aus Medizinern und Naturwissenschaftlern jetzt im Fachjournal PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) veröffentlicht. „Wir waren überrascht, dass die Aktivierung dieses molekularen Schalters ausreicht, ein Pumpversagen des Herzens und weitere krankhafte Veränderungen auszulösen“, sagt der Erstautor, Harald Maier, vom Ulmer Institut für Physiologische Chemie. Noch verblüffender sei die Tatsache, dass sich selbst lebensbedrohliche Symptome nach Ausschalten des Signalweges wieder vollständig zurückbildeten.
Für ihre Studie haben die Forscher Mäuse mit speziellen genetischen Merkmalen gezüchtet. Dadurch kann im Herzen zu einem beliebigen Zeitpunkt ein wichtiger Aktivator von NF-kB, das Eiweiß IKK, angeschaltet werden. Mit deutlichen Folgen für die betroffenen Mäuse: Untersuchungen zeigten unter anderem, dass ihre gewöhnlich rund einen Zentimeter messenden Herzen stark vergrößert waren – sie brachten auch bis zu 60 Prozent mehr auf die Waage. Um das Krankheitsbild möglichst vollständig zu erfassen, betrachteten die Forscher Mäuseherzen sogar mithilfe desMagnetresonanztomographen (MRT) und konnten eine dramatisch verschlechterte Pumpfunktion nachweisen. In biochemischen und molekularbiologischen Analysen fanden sie außerdem viele Charakteristika der Herzinsuffizienz beim Menschen. Diese Symptome sind nicht nur umkehrbar durch Ausschalten des Aktivators IKK. Sie bleiben gänzlich aus, wenn die Forscher durch einen weiteren molekularen Eingriff NF-kB selbst hemmen. Stehen Harald Maier und seine Kollegen also kurz vor dem Durchbruch für ein neues Herzmedikament? „Wir betreiben reine Grundlagenforschung. Das Funktionsgefüge von IKK/NF-kB ist noch zu wenig verstanden, um eine gezielte, nebenwirkungsarme Therapie zu entwickeln“, erklärt der Mediziner. Die Gruppe steuere vielmehr einen Mosaikstein zum besseren Verständnis des Signalweges bei. Thomas Wirth sieht interessante Perspektiven, die sich aus der Studie ergeben: „Jetzt gilt es, Zielstrukturen stromabwärts von IKK/NF-kBzu identifizieren, die womöglich in Zukunft medikamentös beeinflusst werden können." IKK/NF-kBsteuert unter anderem die Zellantwort bei Infekten. Gemäß einer verbreiteten Hypothese hat erst die chronische Aktivierung des Signalweges im Herzen negative Folgen.
Die Idee zu der jetzt veröffentlichten Studie ist Professor Thomas Wirth, Leiter des Ulmer Instituts für Physiologische Chemie sowie Dekan der Medizinischen Fakultät, und Professor Thomas Braun, Direktor am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim, schon vor einigen Jahren bei einer Tagung gekommen. Für die aktuelle Studie haben sie die Ulmer Expertise im Bereich des IKK/NF-kB-Signalweges mit dem Bad Nauheimer Schwerpunkt Herzerkrankungen kombiniert.
Weiterhin waren PD Dr. Cornelia Brunner und Dr. Tobias Schips (jetzt: Cincinnati Children's Hospital Medical Center) von der Uni Ulm sowie Forscher des Universitätsklinikums Tübingen an der Publikation beteiligt.
Von Annika Bingmann
Harald J. Maier, Tobias G. Schips, Astrid Wietelmann, Marcus Krüger, Cornelia Brunner, Martina Sauter, Karin Klingel, Thomas Böttger, Thomas Braun, and Thomas Wirth: "Cardiomyocyte-specific IκB kinase (IKK)/NF-kB activation induces reversible inflammatory cardiomyopathy and heart failure". Proceedings of the National Academy of Sciences.