„Ich werte die Auszeichnung als Zeichen der Anerkennung für mehr als fünf Jahrzehnte Forschung auf diesem Gebiet“, sagte der Ulmer Wissenschaftler. Seinen frühen Kontakt mit der Thematik erklärt er mit einem speziellen Auftrag 1958 bei seinem ersten längeren Forschungsaufenthalt als junger Mediziner in den USA: „Da durfte ich das Knochenmark und das Blut von acht Menschen betreuen, die bei einem Unfall Strahlenschäden erlitten hatten.“
„Als experimenteller, aber immer der klinischen Anwendung verbundener Forscher hat er die früher aussichtlose Prognose onkologisch-hämatologischer Erkrankungen entscheidend verbessert“, sagte Professor Dieter Hoelzer, Stiftungsvorstand und Geschäftsführer der Deutschen Knochenmarkspenderdatei. Schließlich könne der Kampf gegen Leukämie nur gewonnen werden, wenn Innovationen und Initiativen immer neue Wege gegen den Blutkrebs aufzeigten. Alle 45 Minuten erkrankt der Stiftung zufolge in Deutschland ein Mensch an Leukämie, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Und für viele von ihnen sei die Übertragung gesunder Stammzellen die einzige Überlebenschance.
Professor Theodor Fliedner sei es durch radioaktive Markierung gelungen, die Existenz und Bedeutung der Stammzellen im Knochenmark für die Blutbildung nachzuweisen, nachdem ihre Eigenschaften in den 1960er-Jahren noch weitgehend unbekannt gewesen seien. Fliedner habe in diesem Zusammenhang auch die Auswirkung der Strahlenbelastung auf das Knochenmark nach radioaktiven Unfällen untersucht. Wegweisend sei ferner die Erprobung neuer Technologien gewesen, um sie für den klinischen Alltag zu nutzen, wie etwa die kontrollierte Tiefkühlung lebensfähiger Stammzellen.
„Bahnbrechend“ nennt die Stiftung Professor Fliedners Selbstversuche der autologen Stammzellübertragung in den 70er-Jahren, um im Knochenmark das blutbildende System zu regenerieren – letztendlich der Weg zur ambulanten Stammzellapherese, die heute in mehr als 80 Prozent aller Fälle angewandt werde und eine Entnahme des Knochenmarks weitgehend ersetze.
In diesem Gesamtkontext stehe schließlich auch die verbesserte Behandlungsfähigkeit von Menschen mit Strahlungsschäden. So sei denn auch 1993 die Kompetenz des Ulmer Forschers global anerkannt worden. Wenige Jahre nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl nämlich habe ihm die Weltgesundheitsbehörde WHO für fünf Jahre die Leitung ihres höchsten wissenschaftlichen Beratergremiums übertragen.
Unter den Trägern des Mechtild-Harf-Preises in den vergangenen sechs Jahren findet sich übrigens mit dem Münchner Wissenschaftler Professor Hans-Jochem Kolb nur ein Deutscher. Allein drei Auszeichnungen gingen in diesem Zeitraum an Forscher aus den USA, darunter der Hämatologe und Nobelpreisträger Edward Donnall Thomas aus Seattle.