Beim Dies academicus feiert die Universität Ulm traditionell ihre akademischen Erfolge. In diesem Jahr gab es mehrfachen Grund zur Freude. So ist die Uni nach dem Ende der Pandemie wieder in den Normalbetrieb zurückgekehrt, und offensichtlich auch das Interesse an der persönlichen Begegnung und dem gemeinsamen Erlebnis. Das zeigte sich auch im bis auf den letzten Platz besetzten Multimediaraum des Forschungsgebäudes N27, wo die Veranstaltung stattfand.
Wie gut sich die Uni Ulm insbesondere in der Forschung entwickelt hat, verdeutlichte Universitätspräsident Professor Michael Weber in seinem Rückblick auf das vergangene Jahr. „Bei den Drittmitteln gab es erneut ein Allzeithoch, mit mehr als 136 Millionen Euro“, so Weber. Gewachsen ist auch die Anzahl der Promotionen auf mittlerweile rund 500, und wieder gehören mehrere Forschende der Uni zu den meist zitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit. Große Fortschritte macht auch der Ausbau der außeruniversitären Forschung in den letzten Jahren mit dem Aufbau weiterer Forschungseinrichtungen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Die Liste der Neuen ist eindrucksvoll: dazu gehören DLR-QT und DLR-KI, DZNE, DZKJ und DZP. Mit zwei neuen Skizzen für Exzellenzcluster will die Uni Ulm auch in der Traumaforschung und der Quantenchemie ihren Exzellenzstatus weiter ausbauen. Mit einem Fortsetzungsantrag zu POLiS wird die Batterieforschung bei der Exzellenzstrategie wieder ins Rennen gehen. Und wie kürzlich erst bekannt wurde, erhält Ulm im Verbund mit Tübingen und Stuttgart einen gemeinsamen Standort des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT).
Was die Studierendenzahlen angeht, habe die Uni Ulm mit 10.316 zwar wieder die Zehntausender-Marke deutlich geknackt, allerdings gibt es – ähnlich dem Bundestrend – einen sichtbaren Rückgang bei den Anfängerzahlen von vier Prozent. „Leider nimmt gerade in den MINT-Fächern die Nachfrage weiter ab“, bedauert Unipräsident Weber. Mit einem Strategieprojekt Lehre und einem Unterstützungspaket Studiengangentwicklung möchte die Uni diesem Trend begegnen. Neue Studiengänge zu neuen Schlüsseltechnologien wie Quantum Engineering und Biomedizintechnik werden das Portfolio ergänzen. Dazu kommen Studienangebote für klinische Psychologie und Psychotherapie. Tatenlos ist die Uni auch nicht auf dem Gebiet Wissenstransfer und Gründerförderung gewesen. So betont Weber den Fördererfolg für das Transferzentrum für Digitalisierung, Analytics und Data Science (DASU), das als Leuchtturmprojekt im RegioWIN2030-Wettbewerb mit 4,9 Millionen Euro gefördert wird. Hinzu kommt ein von der IHK unterstützter „Life Science-Inkubator“, der Unternehmensgründungen in den Natur- und Lebenswissenschaften erleichtern soll.
Künftige Herausforderungen sieht die Universitätsleitung nicht nur im Rückgang der Studierendenzahlen und in der digitalen Transformation der Hochschule, sondern insbesondere in der weiteren baulichen Entwicklung der Universität. Die anstehende Sanierung der restlichen Gebäudekreuze der Uni Ost sowie im Anschluss der Uni West sind nicht nur finanziell eine Riesenherausforderung. Lichtblicke im letzten Jahr waren dagegen die Einweihung des Mez-Starck-Hauses und der sichtbare Baufortschritt beim Neubau für Multidimensionale Traumawissenschaften. Auf jeden Fall hat die Uni auch in den nächsten Jahren noch viel vor. Richtungsweisend wird hier sicherlich der neue Struktur- und Entwicklungsplan der Uni sein, der kürzlich vom MWK genehmigt wurde sowie das neue Energiespar- und Klimaschutzkonzept. Und auch die Herausforderungen durch den Krieg in der Ukraine werden fortwirken. Hier setzt die Uni weiterhin auf Solidarität und den Ausbau von Unterstützungsprogrammen wie ConnectUlm.
Auszeichnungen aus Forschung, Studium und Lehre
Mit dem Forschungspreis ExzellenziaUlm für exzellente Nachwuchswissenschaftlerinnen der Universität Ulm über 5000 Euro wurde Juniorprofessorin Nathalie Oexle ausgezeichnet. Mit ihrer herausragenden wissenschaftlichen Arbeit erfüllt die Leiterin der Arbeitsgruppe Suizidprävention der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II in Günzburg eine Vorbildfunktion für andere Wissenschaftlerinnen. Das Forschungsinteresse der Gesundheitswissenschaftlerin gilt innovativen und gesellschaftlich hochrelevanten Bereichen wie der Stigma- und Versorgungsforschung sowie der Suizidprävention. Auch Oexles Lehrveranstaltungen sind beliebt und werden von den Studierenden sehr positiv bewertet.
Den Lehrpreis 2022 erhielt Professor Othmar Marti für seine Projektpraktika für Elektrizität und Magnetismus sowie zur Kern-, Teilchen- und Atomphysik. Verbunden mit der Auszeichnung ist ein Preisgeld von 4000 Euro. Die Praktika und Lehrveranstaltungen des Leiters des Instituts für Experimentelle Physik verbinden Lehre und Forschung in vorbildlicher und innovativer Weise. Als Prüfungsleistung müssen die Studierenden beispielsweise ein Reviewpaper anfertigen, das sie auf reale Anforderungen in einem wissenschaftlichen Arbeitsumfeld vorbereitet. Die Lehrveranstaltungen von Othmar Marti demonstrieren vorbildlich, wie auch ein theorielastiges Fach wie die Physik kompetenzorientiert gelehrt werden kann.
Hannah Kniesel, Doktorandin am Institut für Medieninformatik, wurde als Preisträgerin des Harald Rose-Preises 2022 geehrt. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sich Kniesel mit der Elektronentomographie und führte eine Methodik zur rauschfreien 3D-Rekonstruktion von Tomographiedaten ein, die neuste Verfahren des Deep Learning, der 3D-Rekonstruktion als auch der Rauschverteilung kombinierte. Zurzeit ist Hannah Kniesel Promotionsstudentin in der Visual Computing Gruppe des Instituts und forscht weiter im Bereich der Datenverarbeitung in der Elektronenmikroskopie. Sie erhielt ein Preisgeld in Höhe von 3000 Euro.
Der Ulmer Universitätssonderpreis für herausragendes studentisches Engagement ging an die Lokalgruppe der deutschlandweiten Initiative „Impf Dich!“. Der 2008 gegründete Ableger ist in der Impf-Aufklärung aktiv. Die Studierenden halten Vorträge an weiterführenden Schulen und sprechen über verschiedene Themen rund um das Impfen – von der Immunisierung über vermeidbare Erkrankungen bis hin zur Aufklärung über häufige „Impfmythen“. In der universitären Lehre konnte die Gruppe „Impf Dich!“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Allgemeinmedizin ein klinisches Wahlfach innerhalb des Medizinstudiums etablieren. Der Preis ist mit 500 Euro dotiert.
Kooperationspreise Wissenschaft-Wirtschaft
Neben der Forschung und Lehre gehört der Transfer von Wissen zu den drei tragenden Säulen einer Universität. Die Uni Ulm würdigt die produktive Zusammenarbeit von Forschenden und Firmen eigens mit dem Kooperationspreis Wissenschaft-Wirtschaft. Beim diesjährigen Dies wurden drei dieser Auszeichnungen vergeben, jeweils dotiert mit 3000 Euro.
Digitale Schnittstelle zum Gehirn
Einen Kooperationspreis Wissenschaft-Wirtschaft erhielten drei Elektroingenieure vom Institut für Mikroelektronik für die Entwicklung eines Mikrochips mit 32 Kanälen, der als Herzstück eines biomedizinischen Implantats zur Neuromodulation eingesetzt wird. Institutsleiter Professor Maurits Ortmanns, Dr. Joachim Becker und Stefan Reich kooperieren dabei im Rahmen eines langjährigen BMBF-Projektes eng mit dem Neuroimplantate-Hersteller CorTec, repräsentiert durch Dr. Martin Schüttler (CTO). Neuromodulationssysteme können elektrische Signale aus dem Gehirn sowohl aufzeichnen als auch Nervengewebe gezielt elektrisch stimulieren. Besonders vielversprechend ist dabei die sogenannte „closed-loop“-Neuromodulation, bei der die Stimulationsparameter genau abgestimmt sind auf die zuvor gemessenen Bioparameter. Solche hirnstimulierenden Medizinimplantate werden heute bereits erfolgreich eingesetzt bei der Behandlung verschiedener neurodegenerativer Erkrankungen. Therapieerfolge gibt es auch bei Menschen mit chronischen Schmerzen oder Depressionen. Der an der Universität Ulm entwickelte Mikrochip ist nur 5x5 mm2 groß. Er hat 32 Kanäle und verbraucht dabei weniger als 10mW elektrische Leistung. Die digitale Verarbeitung der abgeleiteten Daten ist im Chip voll integriert. Eine erste Version des Neuromodulationssystem von CorTec ist bereits im FDA-Zulassungsprozess für die Anwendung im Menschen.
„Superhelden“ aus der Haut mit heilenden Kräften
Für die Entwicklung einer Stammzelltherapie zur Behandlung von Wundheilungsstörungen wurde ein weiterer Kooperationspreis Wissenschaft-Wirtschaft vergeben. Die Auszeichnung erhielt Professorin Karin Scharffetter-Kochanek, Ärztliche Direktorin der Klinik für Dermatologie und Allergologie, für ihre Zusammenarbeit mit Dr. Christoph Ganss von der Firma TICEBA und Dr. Andreas Kluth von RHEACELL. Die Forschenden aus dem Uniklinikum und den Unternehmen haben gemeinsam ein stammzellbasiertes Medizinprodukt entwickelt, mit dem sich chronische Wunden erfolgreich behandeln lassen. Die Grundlage bilden sogenannte mesenchymale Stammzellen. Diese besonderen Hautzellen machen nur zwei Prozent aller Hautzellen aus, aber sie haben enormes regeneratives Potential. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben herausgefunden, dass diese besonderen Hautstammzellen überaktive Fresszellen (Makrophagen) „beruhigen“ können, die eine Schlüsselrolle in chronischen Entzündungsprozessen spielen. Werden mesenchymale Stammzellen auf die Wunde aufgebracht, klingt die Entzündung ab und das Gewebe kann sich wieder regenerieren. Klinische Studien mit Patientinnen und Patienten (Phase IIa) haben gezeigt, dass sich chronische Wunden wie beim venösen Ulcus mit solchen mesenchymalen Hautstammzellen verkleinern und abheilen lassen. Dank dieser Kooperation ist es gelungen, Grundlagenerkenntnisse möglichst schnell in ein Medizinprodukt zu überführen. Für AMESANAR® wurde 2021 die nationale Marktgenehmigung erteilt, und es kann nun helfen, Leid und Schmerzen vieler Menschen zu lindern.
Sparsame Destillationskolonnen im Labormaßstab
Der dritte Kooperationspreis ging an Johannes Neukäufer und Professor Thomas Grützner vom Institut für Chemieingenieurwesen für ihre Kooperation mit der Firma BASF SE. Gewürdigt wurde laut Urkundentext die „Entwicklung effizienter und ressourcenschonender Teststände zum Scale-Up von Destillationskolonnen durch den Einsatz von 3D-Druck in Kombination mit numerischen Strömungssimulationen“. Die Wissenschaftler erläutern dies so: Zur Aufreinigung und Trennung flüssiger Stoffgemische nutzt die chemische Industrie Destillationskolonnen, die Höhen bis 100 Meter erreichen können. Neue Anlagen dafür – beispielsweise zur Auftrennung neuer Chemikalien – werden zunächst im Labormaßstab untersucht. Die Herausforderung besteht darin, Laborkolonnen in möglichst kleinem Maßstab zu entwickeln, die es trotz Miniaturisierung erlauben, Ergebnisse sicher auf großtechnische Anlagen zu übertragen. Die Ulmer Chemieingenieure haben in Zusammenarbeit mit der TU München und der BASF SE nun ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Laboranlagen noch weiter verkleinern lassen. Dafür haben sie Methoden der additiven Fertigung (3D-Druck) mit Verfahren der numerischen Strömungssimulation kombiniert und konnten so die Querschnittsfläche der Laborkolonnen um 84 Prozent reduzieren – bei gleichbleibend hoher, konstanter und reproduzierbarer Trennleistung. Dies minimiert Chemikalienbedarf, Entwicklungszeiten und Sicherheitsanforderungen. Dem Partnerunternehmen BASF SE, das Drittmittel für diese Entwicklung gestellt hat, bringen die damit verbundenen Kosteneinsparungen erhebliche Wettbewerbsvorteile. Vertreten war der Chemiekonzern beim Dies durch den Projektleiter Dr. Carsten Knösche.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Dana Hoffmann und musikalisch untermalt von einem Quartett des Universitätsorchesters.
Text und Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann
Fotos: Elvira Eberhardt / kiz